Manche Kinder verweigern regelmäßig den Schulbesuch. Das hat oft mit Angst zu tun – und mit den Eltern. Kölner Schulleiterinnen und Psychologen berichten.
An Kölner SchulenWas wirklich dahinter steckt, wenn Kinder dauernd im Unterricht fehlen
„Ich geh‘ heute nicht in die Schule!“ Diesen Satz hören viele Eltern sicher ab und zu morgens von ihrem noch müden Kind. Und dann schnappt es sich doch die Schultasche und schlurft los. Für manche Kinder aber ist der regelmäßige Gang zur Schule keine kleine Hürde, die sie eben mal so überwinden – sie schwänzen oder verweigern den Unterricht. „Wir sprechen hier von Schulabsentismus“, sagen Christiane Federlin-Dahmen und Dr. Sören Lüdeke vom Schulpsychologischen Dienst Köln: „Mädchen und Jungen sind gleichermaßen davon betroffen.“
Schulabsentismus kommt sowohl an Kölner Grundschulen als auch an weiterführenden Schulen vor. „Wir haben einige Schüler, die absent sind“, berichtet Schulleiterin Daniela Deters von der Adolph-Kolping-Hauptschule in Köln-Kalk, „in Gesprächen mit Schülern und Eltern versuchen wir dann herauszufinden, warum sie nicht kommen.“ Manchmal müssten sie sogar erst ermitteln, ob die Familie überhaupt noch in Köln wohne. „Schulabsentismus ist auch in unserer Grundschule ein Thema“, erzählt Gudrun Schlichte, Schulleiterin der Grundschule Riphahnstraße in Köln-Seeberg, „allerdings liegt es sehr selten an den Kindern, sondern daran, dass die Eltern es nicht schaffen, für einen Schulbesuch zu sorgen.“
Kontakt: Der Schulpsychologische Dienst der Stadt Köln ist erreichbar unter 0221-221-29001/2 oder Mail: schulpsychologie@stadt-koeln.de
Schulschwänzen kann in eine Schulangst übergehen
Die Gründe für das Fehlen der Kinder sind sehr individuell und doch gibt es sich wiederholende Muster. Der Schulpsychologische Dienst Köln unterstützt Schulen und Familien bei der Diagnostik. „Fehlt ein Kind häufig, kommen Eltern in unsere Beratung oder die Schule wendet sich an uns“, sagt Sören Lüdeke, „dann müssen wir herausfinden, um welche Form von Absentismus es sich handelt.“ Unterschieden werde zwischen Schulschwänzen, Schulangst und Schulphobie.
„Das Schulschwänzen kommt häufig bei Jugendlichen vor, für die die Schule gerade einfach nicht attraktiv ist“, sagt Lüdeke, „sie wollen vielleicht die nächste Mathearbeit vermeiden, verabreden sich lieber mit ihren Freunden oder testen Grenzen.“ Und doch sei häufiges Schwänzen nicht harmlos. „Hat ein Schüler den Anschluss verpasst, kann das auch in eine Schulangst übergehen“, erklärt Christiane Federlin-Dahmen vom Schulpsychologischen Dienst.
Zur Person: Christiane Federlin-Dahmen und Dr. Sören Lüdeke beraten als Schulpsychologen und Teamleitungen beim Schulpsychologischen Dienst Köln betroffene Familien und Schulen.
Mobbing, Leistungsdruck und Konflikte als Auslöser
„Auslöser für eine Schulangst können Leistungsdruck und Überforderung sein, aber auch ein Konflikt mit der Lehrkraft oder eine Mobbingsituation“, sagt Federlin-Dahmen. Häufig träten solche Probleme in der Unter- oder Mittelstufe auf. „Solche Fälle sind anfangs nicht so leicht zu erkennen“, berichtet sie, „doch wenn es einen konkreten Auslöser für die Angst gab, kriegen wir das ohne klinische Behandlung durch langfristige Begleitung des Kindes meist wieder hin.“
In der Grundschule äußert sich Schulangst häufig in Form von Trennungsangst. „Manche Erstklässler kommen mit den Herausforderungen der Grundschule nicht zurecht und können sich von ihren Bezugspersonen nicht lösen“, sagt Federlin-Dahmen. Im Gespräch mit Kind, Eltern und Schule versuche man herauszufinden, was die Angst im einzelnen Fall auslöse. „Wir beobachten zudem in manchen Fällen die morgendliche Übergabesituation am Schultor oder den Unterricht, um zu verstehen, was für das Kind so unangenehm ist“, erzählt sie. Häufig begleiteten sie Kinder auch mal in den Klassenraum.
„Viele der Kinder mit Trennungsangst, die wir unterstützt haben, konnten nach wenigen Wochen wieder zur Schule gehen“, berichtet Federlin-Dahmen. Mit großem Einsatz aller Beteiligten. Das berichtet auch Schulleiterin Schlichte: „Einzelne Kinder mit erheblicher Schulangst konnten bei uns mithilfe von intensiver Elternarbeit, sehr individueller Unterstützung von Lehrkräften und Sozialarbeiterinnen wieder in die Schule integriert werden.“
Ursache für Schulphobie liegt oft im Elternhaus
Im Fall einer Schulphobie wiederum halten die Ängste mindestens mehrere Monate an und sind so schwerwiegend, dass sie zu erheblichem Leiden oder Beeinträchtigungen in der Familie und anderen Lebensbereichen führen. Manchmal liegen der Schulphobie ausgeprägte Trennungsängste zugrunde. Betroffene Kinder und Jugendliche benötigen oft psychotherapeutische oder kinderpsychiatrische Unterstützung.
Dass das Fehlen chronisch werde, habe seine Ursachen jedoch auch häufig im Elternhaus. „Manche Eltern wissen nicht, dass es eine Schulpflicht gibt und wie das Bildungssystem funktioniert“, sagt Federlin-Dahmen. „Oder sie haben in ihrer eigenen Bildungsbiografie keine guten Schulerfahrungen gemacht und vermitteln das an die Kinder.“
Und auch eine schwierige Situation zu Hause könne Trennungsängste verstärken. „Die Kinder wollen bei ihren Eltern bleiben, aus Angst, daheim könnte etwas passieren, wenn sie in der Schule sind“, beschreibt Federlin-Dahmen. Und die Eltern kaschierten das manchmal mit Krankschreibungen. „Manche Familien haben sich mit der Situation eingerichtet, und das Kind wird zu Hause gehalten. Genau dadurch bekommt es aber noch größere Ängste vor der Schule“, sagt Sören Lüdeke. „Die Eltern spielen beim Thema Absentismus eine ganz wichtige Rolle“, berichtet auch Daniela Deters, „manche wollen sich nicht kümmern oder müssen den ganzen Tag arbeiten.“
Bußgeld und Zuführung sind erst der letzte Schritt
Es gebe aber auch engagierte Eltern, die schlicht verzweifelt sind. „Sie bringen ihr Kind morgens zur Schule, aber es geht direkt wieder zum Schultor raus“, sagt Deters. Gespräche allein würden in solchen Fällen kaum helfen. „Unsere Schulsozialarbeiter oder die Klassenleitung rufen dann auch morgens mal an, um den Schüler zu wecken oder holen ihn oder sie in Einzelfällen zu Hause ab.“ Im Zweifelsfall komme es zu Bußgeldverfahren oder die Schüler werden der Schule zugeführt.
Solche Kinder wieder ins Schulsystem einzufügen, ist besonders schwierig. „Ein Teil der schulabsenten Kinder wird auf jeden Fall zu Schulabbrechern“, sagt Daniela Deters. „Wir tun als Hauptschule schon viel, um die Kinder wieder zum Schulbesuch zu bewegen, für die Schulmüden haben wir zum Beispiel eine Langzeitpraktikumsklasse“, berichtet sie, „doch wenn ein Kind gar nicht will oder heftige Schulängste dahinter stecken, dann macht es oft eben keinen Schulabschluss.“
Prävention und frühe Hilfen beugen Schulabsentismus vor
Die Abwärtsspirale fängt oft schon früh in der Schullaufbahn an. „Wir beobachten häufig, dass Kinder, die in der Grundschule nicht regelmäßig zur Schule gehen, als Jugendliche die Lernmotivation gänzlich verlieren“, berichtet Gudrun Schlichte. „Wenn wir es aber bei den Kleinen schaffen, dass sie regelmäßig und erfolgreich die Schule besuchen, haben sie an den weiterführenden Schulen deutlich bessere Chancen auf einen regelmäßigen Schulbesuch und damit auch auf einen Schulabschluss.“
Umso wichtiger sei eine gute Präventionsarbeit, besonders bei Familien aus sozial- und bildungsbenachteiligten Standorten. „Wir suchen in unserer Schule bereits bei mehr als drei unentschuldigten Fehltagen oder häufigen Verspätungen sofort den Kontakt zur Familie und bieten über unsere Schulsozialarbeit Hilfe an“, sagt Gudrun Schlichte. Wenn die Erziehungskompetenz fehle, würden auch über das Jugendamt Hilfen in die Familien gebracht. „Wir raten auch, im Grundschulalter genau hinzuschauen und frühzeitig Hilfssysteme zu aktivieren“, sagt Sören Lüdeke.