AboAbonnieren

Den Schulweg üben„Kinder sollen keine Angst haben, sondern Respekt“

Lesezeit 4 Minuten
Symbolbild Schulweg Erstklässler

Der Schulweg: aufregend, für die Erstklässler und auch die Eltern

Hamburg – Mit dem Schulanfang stellt sich Eltern auch die Frage: Wie kommt das Kind in die Schule? Am besten zu Fuß, findet der Kinderchirurg Dirk Sommerfeldt. Das will allerdings geübt sein und da sind Väter und Mütter gefragt. Worauf sie achten sollten und welchen Einfluss der Entwicklungsstand des Kindes hat, erklärt der Fachmann im Interview.

Herr Sommerfeldt, Sie bezeichnen es als existenziell wichtig, dass Eltern Schulanfänger in den ersten Wochen auf ihrem Schulweg begleiten, und zwar hin und zurück – warum?

Dirk Sommerfeldt: Weil es wichtig ist, dass man dem Kind die möglichen Gefahren im Straßenverkehr zeigt, die auf dem Schulweg lauern. Je nach Entwicklungsstadium kann das Kind bestimmte Risiken nämlich gar nicht sehen oder einschätzen.

Der Klassiker sind Straßenüberquerungen: Hier gibt es hervorragende Studien von Verkehrspsychologen, in denen simuliert wurde, wie gut Kinder die Straße überqueren – da zeigte sich: Erst im 14. Lebensjahr überquert ein Jugendlicher die Straße wie ein Erwachsener. Vorher tun sie sich etwa noch schwer damit abzuschätzen: Wie schnell kommt der Bus angefahren und schaffe ich es noch rüber?

Zur Person

Dirk Sommerfeldt

Dirk Sommerfeldt

Der Unfallchirurg Dirk Sommerfeldt ist leitender Arzt der Kindertraumatologie im Altonaer Kinderkrankenhaus.

Jetzt kann man sein Kind natürlich nicht bis zum 14. Lebensjahr zu Fuß in die Schule begleiten – worauf kommt es beim Anlernen des Schulwegs bei ABC-Schützen an?

Man muss erst mal genau schauen: In was für einer Umgebung geht mein Kind zur Schule? Je nachdem gibt es unterschiedliche Risiken. Dann kommt es auch darauf an, wie das Kind ist. Ist es risikobereit und geht an Grenzen oder ist es introvertiert und eher zurückhaltend?

Wenn man Umgebung und Kind analysiert hat, geht man mit dem Kind drei, vier, fünf Mal den Schulweg und bespricht – kindgerecht natürlich – wo es gefährlich werden kann. Das führt nicht dazu, dass dann gar nichts mehr passieren kann. Ein Restrisiko bleibt. Aber dann hat man das getan, was möglich ist, um das Kind angstfrei den Schulweg bewältigen lassen zu können.

Denn darum geht es ja: Sie sollen keine Angst haben, sondern Respekt, und sie sollten wissen, wo es gefährlich werden kann. Das Ziel sollte sein, dass das Kind in der Lage ist, am Verkehr teilzunehmen. Auch sozial ist es wichtig, dass es den Schulweg alleine mit Freunden und Freundinnen bewältigen kann. Das macht Spaß, das ist eine Leistung und es ist viel besser, als wenn man sich im Auto von Mama oder Papa kutschieren lässt.

Woran merkt man, dass das Kind so weit ist, dass es allein gehen kann?

Verkehrspsychologen raten zu einem zwei- bis dreistufigen Vorgehen. Zunächst geht man mit dem Kind einige Male gemeinsam den Schulweg ab, dann lässt man es mit anderen Kindern in der Gruppe gehen – ein Elternteil von einem der Kinder geht mit etwas Abstand hinterher und schaut, wie das funktioniert. Eine mögliche dritte Stufe: Man gibt den Kindern eine Karte mit einem anderen Weg in die Schule und lässt diese Route ausprobieren. Auch hier geht ein Elternteil im Abstand hinterher und schaut, wie das funktioniert.

Das könnte Sie auch interessieren:

Klar ist: Es gibt komplexe Schulwege in der Stadt, die sind für 6-Jährige nicht machbar. Aber im Großen und Ganzen geht man davon aus, dass Kinder in der Regel mit dem Schulanfang und nach etwas Übung allein zu Fuß in die Schule gehen können. Natürlich sollte der Schulweg so sein, dass er sicher bewältigt werden kann. Im Zweifel wählt man also lieber die etwas längere Route, wenn diese sicherer ist.

Wovon ich abrate: Das Kind zu früh allein auf dem Fahrrad in die Schule fahren lassen. Zumindest in dicht besiedelten Gegenden sollten Grundschüler das bis zum 10. Lebensjahr nicht machen, außer wenn durchgängig auf dem abgetrennten Radweg gefahren werden kann. Erst dann sind Fähigkeiten wie Tiefenwahrnehmung und räumliches Sehen und vor allem das Risikobewusstsein dafür gut genug entwickelt. (dpa/tmn)