Sieben gute GründeWarum Untreue nicht das Ende einer Beziehung sein muss
Es gibt viele Sätze, die man von einem Paar-Therapeuten erwartet. Diesen hier nicht unbedingt: „Wir hatten Affären und haben sie gemeinsam überstanden. “ Der bekannte Paar-Therapeut Oskar Holzberg hat ihn am Ende seines Buches „Schlüsselsätze der Liebe“ trotzdem niedergeschrieben – über seine eigene 30 Jahre währende Ehe. Der Brigitte-Kolumnist schreibt darin auch: „Wir wollten uns trennen und haben es nicht getan.“ Es gibt tatsächlich sehr gute Gründe, Fremdgehen zu verzeihen. Wir haben Beziehungs-Ratgeber gewälzt und die wichtigsten aufgeschrieben:
Untreue ist „normal“
De facto gehen sehr viele Menschen fremd, je nach Statistik sind es etwa die Hälfte der Männer und rund 40 Prozent der Frauen, je nach Studie etwas mehr oder weniger. Hinzu kommt: Das sind nur diejenigen, die es in einer Umfrage zugegeben haben. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. „Wir wollen es nicht wahrhaben, aber wahre Treue ist eine rühmliche Ausnahme, nicht die Regel“, schreiben auch Lisa Fischbach und Holger Lendt in ihrem Buch „Treue ist auch keine Lösung“.
Auch die US-amerikanische Paartherapeutin Shirley P. Glass erklärt in ihrem Ratgeber „Die Psychologie der Untreue“: „Bei zwei Dritteln aller Paare, die ich in den letzten 20 Jahren in meiner Praxis behandelt habe, waren entweder der Ehemann oder die Ehefrau oder beide untreu geworden." Das regt zumindest dazu an, unsere Idealvorstellung von ewiger Treue zu hinterfragen: Ist eine jahrzehntelange Beziehung ohne jegliche Form von Betrug oder Seitensprung nicht doch etwas realitätsfern? Muss eine kurze Liaison wirklich das Ende einer langen und erfüllenden Beziehung sein?
Beide leiden in der Regel sehr
Der Schmerz ist groß – und zwar in der Regel auf beiden Seiten, wie Glass erklärt: „Öfter als ich zählen kann, saß ich in meinem Büro und wurde fast zerrissen von dem Kummer, von der Wut und der Reue der Menschen, die ich bei dem Versuch unterstütze, mit den Nachwirkungen ihrer Untreue oder der ihres Partners fertig zu werden.“ Wer ehrliche Reue zeigt, der sollte zumindest noch einen Gedanken wert sein, bevor man sie oder ihn für immer aus seinem Leben verbannt.
Treue in der Ehe ist ein relativ modernes Konzept
Die Ehe war lange Zeit eine Zweckgemeinschaft. Beide Partner waren auf diese Weise abgesichert, romantische und sexuelle Abenteuer suchte man eher außerhalb dieser Verbindung. Dass die Ehe mit Liebe einhergeht, ist eine relativ moderne Vorstellung, genauso wie die bedingungslose Treue in der Partnerschaft: Sie wurde erst im 18. Jahrhundert in der Phase der Romantik durch das Bürgertum geprägt. Man kann sich natürlich stoisch an das romantische Liebesideal halten und den Partner sofort verlassen, wenn er es nicht erfüllt – man kann es aber auch hinterfragen.
Die Krise kann das Paar wieder enger zusammenbringen
Ein Betrug in der Beziehung ist schlimm. Viele Paartherapeuten sind der Ansicht, dass der Betrogene unter Umständen sogar ein Trauma erleidet. Trotzdem kann es sich auch lohnen zu kämpfen. Die Krise kann den Experten zufolge auch eine große Chance für die Beziehung sein. Denn viele Paare, die sich nach einer Affäre nicht getrennt haben, berichten von einer regelrecht neuen Verliebtheits-Phase, von mehr Sex und mehr Innigkeit. Die Katastrophe kann sogar zu einer neuen Offenheit und Ehrlichkeit in der Partnerschaft führen. Ob die Beziehung nach dem Seitensprung ein Liebes-Comeback erleben kann, weiß man natürlich nur, wenn man es versucht – und erst einmal zusammen bleibt.
Es gibt nicht nur „Gut“ oder „Böse“
Die Sache ist klar: Der Betrüger ist der „Böse“, der Betrogene „der Gute“. Obwohl wir als erwachsene Menschen wissen, dass Schwarz-Malerei unserer komplizierten Welt nicht gerecht wird, fällen wir solche Urteile. Zu Unrecht, wie der Paar-Therapeut Ulrich Clement in seinem Buch „Wenn Liebe fremdgeht“ befindet. Eine einseitige Bewertung aus der Sichweise des betrogenen Partners ist genauso wenig hilfreich für eine Lösung wie die ausschließliche Perspektive des Betrügers, des untreuen Partners. Man sollte Clement zufolge beide Sichtweisen bedenken und versuchen, sich als Betrüger, aber auch als Betrogener, in den anderen hineinzuversetzen. „Auch der gekränkte Partner ist verführbar“, so Clement. „Und der Verführte ist kränkbar.“
Fremdgehen ist nicht immer ein Hinweis für eine kaputte Beziehung
Der erste Satz im Buch der Paar-Therapeutin Shirley P. Glass lautet: „Gute Menschen in guten Ehen haben Affären“. Seitensprünge sind nicht immer ein Beweis dafür, dass in der Beziehung etwas nicht stimmt, stellt auch Clement klar. „Es gibt alle möglichen anderen Motive zum Fremdgehen“, erklärt der Experte. Dabei sei die Unzufriedenheit mit dem Partner nur eine davon. „Übermut, Sehnsucht, Neugier, Geilheit, Spieltrieb, Bestätigungsbedürfnis, Langeweile sind nur der Beginn einer langen Liste.“
Keine Beziehung ist perfekt
So bitter diese Erkenntnis ist: Menschen sind nicht perfekt und Beziehungen erst recht nicht. Manchmal muss man Prioritäten setzen: Bleibe ich bei einem Partner, der mir jahrzehntelang immer treu war, sich dafür aber im Alltag überhaupt nicht für mich interessiert, sich gleichgültig verhält, mich ständig im Stich lässt, mich nicht unterstützt? Verlasse ich einen Partner, der einmal eine Affäre hatte, die er bereut, aber seit Jahren in sämtlichen Situationen zu mir hält, für mich da ist und zu mir steht? Das sind Fragen, die man sich als Betrogener zumindest stellen sollte, bevor man den Partner vor die Tür setzt.
Allerdings gibt es natürlich auch die notorischen Fremdgänger, die angeblich „einfach nicht anders können“ und ihre Partner ständig verletzen und hintergehen. Dann gibt es bestimmt auch gute Gründe für eine Trennung. Aber das ist eine anderes Thema... (rer)
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