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„Der Richtige kommt noch“Warum Frauen heute alles sein dürfen – nur nicht Single

Lesezeit 7 Minuten
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„Weiblich, ledig, glücklich“: Autorin Gunda Windmüller.

  1. Wenn ein Mann Mitte 30 Single ist, gilt das als abenteuerlich. Frauen, die Single sind, werden dagegen oft mitleidig angesehen.
  2. Es gibt immer noch die traditionelle Annahme, dass Frau nur in einer romantischen Paarbeziehung glücklich werden kann.
  3. Zwei neue Bücher sagen jetzt: Dieses „Single-Shaming“ von Frauen muss aufhören! Schließlich hat Glück nichts mit dem Beziehungsstatus zu tun.

Köln – Ein Mann, der Mitte dreißig und Single ist, wird oft bewundert, heimlich beneidet von den gestressten Vätern in seinem Freundeskreis. Er ist der einsame Wolf, dem die Welt noch offen steht. Manchmal, da träumen sie sich in sein aufregendes Leben zwischen Work-Life-Balance, One-Night-Stands und Backpacking.

Eine Frau, die Mitte dreißig und Single ist, wird mitleidig angesehen. Sie gilt als Mängelexemplar, sogar im Freundeskreis: „Der Richtige wird schon noch kommen“, bekommt sie zu hören. Dabei ist sie vielleicht gar nicht auf der Suche. Doch ein aufregendes, erfüllendes, gar glückliches Leben wird ihr abgesprochen. Als seien Frauen nicht vollständig ohne einen Partner, als bräuchten sie einen Mann als Existenzberechtigung an ihrer Seite.

Frauen dürfen alles sein – nur nicht Single

Wer diese Gegenüberstellung übertrieben findet, wird seine Meinung beim Lesen der beiden kürzlich erschienenen Bücher „Weiblich, ledig, glücklich – sucht nicht“ von Gunda Windmüller und „A Single Woman“ von Silvia Follmann wahrscheinlich revidieren.

Windmüllers „Streitschrift“ und Follmanns „Plädoyer für Selbstbestimmung und neue Glückskonzepte“ – so die Untertitel – verdeutlichen, dass Frauen in unserer Gesellschaft so ziemlich alles sein dürfen – nur nicht Single. Frauen können Kanzlerin werden, ins All fliegen, die Welt retten. Aber alleine glücklich sein? Nein.

„Offenbar ist eine alleinstehende Frau für viele immer noch das Schlimmste“

„Offenbar ist eine alleinstehende Frau für viele immer noch das Schlimmste, ein vollkommen inakzeptabler Zustand“, zitiert Windmüller aus einem Interview mit der CSU-Politikerin Ilse Aigner: „Man kann geschieden sein, zum vierten Mal verheiratet, man kann schwul, lesbisch, irgendwas sein. Aber alleinstehend, das geht nicht.“

Egal wie sehr die Welt sich in den letzten Jahren gewandelt hat, wie offen und tolerant sie geworden ist. An der traditionellen Erwartungshaltung an Frauen, ihr wahres Glück einzig und allein in der romantischen Paarbeziehung zu finden, hat sich nichts geändert.

Singles wurden in fast jeder Kultur stigmatisiert

„Frauen, so will es das patriarchalische Gesetz, gehören zu jemandem, der sie komplettiert“, schreibt Follmann, Redaktionsleiterin des Online-Magazins Edition F. „Dem Elternhaus entwachsen ist es dann ein Mann oder ein Kind, am besten beides.“

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Autorin von „A Single Woman“: Silvia Follmann.

Und diese Maßgabe hat eine lange Geschichte, wie die promovierte Literaturwissenschaftlerin Windmüller zeigt: „Singles wurden schon historisch gesehen in fast jeder Kultur stigmatisiert – als Klotz am Bein der Gemeinschaft, als renitente Verweigerer, als nicht ganz zugehörig.“

Zu wählerisch? Zu egoistisch?

Es scheint, so die allgemeine Annahme, als seien Singles immer fehl am Platz: Bei Hochzeiten weiß man nicht, wo man sie hinsetzen soll, sie stören das Gefüge im Freundeskreis, am besten verkuppelt man sie zum Wohl aller. Schließlich sind Einzelzimmer im Hotel auch viel teurer als Doppelzimmer.„Trostlos sind dabei gerade wir Frauen, denn wir verschenken unsere saftigen Jahre, weil wir uns nicht genug anstrengen, uns zu sehr auf den Job konzentrieren, zu wählerisch, zu egoistisch oder nicht schön zurechtgemacht sind – oder nicht oft genug gelächelt haben“, so Follmann.

Überall werden Single-Frauen mit ihren vermeintlichen Mängeln konfrontiert

Dabei werden Single-Frauen auch heute noch in sämtlichen gesellschaftlichen Kontexten mit ihrem vermeintlichen Mängelwesen konfrontiert. Follmann berichtet von einem Netzwerktreffen, bei dem in einer Vorstellungsrunde ihre Vorredner nicht nur über ihren Job, sondern auch darüber Auskunft gaben, ob sie verheiratet sind und wie viele Kinder sie haben.

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„Als ich meinen Beruf nannte und die Stichwörter ‚Single‘ sowie ‚kinderlos‘ hinterherschob und lachen musste, weil ich das für sinnlose Zusatzdaten in einem beruflichen Kontext hielt, war ich die Einzige, die lachte. Einigen rutschte ein leises „Oh“ raus, andere schauten peinlich berührt auf den Tisch oder mich unsicher lächelnd an.“

Auch Freunde betreiben das sogenannte „Single Shaming“

Follmann widerfährt das, was Windmüller als „Single Shaming“ – als Stigmatisierung von Single-Frauen – bezeichnet, schon sehr früh. Bereits mit 24 Jahren sei sie von ihren Verwandten zum Sorgenkind erklärt worden, weil sie ohne Partner zur Familienfeier kam, während ihr einige Jahre älterer Bruder auf demselben Fest unbehelligt von seinem Single-Dasein erzählen konnte.

Auch Menschen, die den Single-Frauen nahestehen, beteiligen sich, ohne es zu merken, am Single Shaming, wie Windmüller schreibt. Etwa Freundinnen, die ihr gegenüber den immer gleichen Zuspruch wiederholen: „Das wird schon noch. Du wirst ihn finden. Du bist doch so toll. Und all die anderen haben dich halt nicht verdient.“ Windmüller ist genervt: „Ich kann es nicht mehr hören!“ Doch das Umfeld will sich einfach nicht abfinden mit dem selbstgewählten Leben.

Es gibt immer mehr Singles in Deutschland

Und: Je älter weibliche Singles werden, desto größer wird der Druck für sie: „Mit jedem weiteren Jahr, das man mit dieser ‚Bürde‘ verbringen und in dem man die anderen mit seiner Single-Existenz belästigen muss, werden die traurig oder skeptisch auf uns blickenden gesellschaftlichen Augen größer, bis sie irgendwann nervös zu blinzeln anfangen, weil eine Single-Frau zu unangenehm geworden ist“, heißt es in „Single Woman“. „Dann schweigt die Gesellschaft den Single-Status mit Betroffenheit aus – spätestens dann, wenn die Frau nicht mehr gebärfähig ist.“

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„A Single Woman“: Silvia Follmann plädiert für Selbstbestimmung.

Dabei gibt es immer mehr Alleinstehende in Deutschland. Knapp 40 Prozent der Menschen in Deutschland leben laut Statistischem Bundesamt allein, so Follmann. In der Altersspanne der Dreißigjährigen gebe es sogar mehr männliche als weibliche Singles, schreibt Windmüller. Doch: „Ihnen wird damit kein Problem gemacht. Denn Männer haben eine andere Geschichte. Weil ihnen andere Geschichten zugetraut werden. Es sind Geschichten von reifer Schönheit im Alter, von beruflichem Erfolg, der mehr zählt als Glück im Privaten. Geschichten von nicht endender Zeugungsfähigkeit und dem Spaß, den nur sexuell aktive Bachelors haben können.“

„Junggeselle“ vs. „Katzenlady“

Auf der einen Seite, so Windmüller, stehe der „Lebemann“ und „Junggeselle“, auf der anderen die „Emanze“ und die „Katzenlady“. Oder aber der „einsame Wolf“ und „die alten Jungfern“ und „ungebumsten Karrieristinnen“, so Follmann.

Als sie später, bereits im Berufsleben, ihrer Mutter erzählt, dass sie sich sehr wohl fühlt mit ihrem neuen Job, der neuen Wohnung, und ihren Freunden, fragt ihre Mutter direkt nach dem Liebesleben. Als Follmann erklärt, dass es da gerade niemanden gebe und dass sie mit der Situation sehr zufrieden sei, entgegnet ihre Mutter: „Aber weißt du, ich wünsche mir so sehr, dass du jemanden findest und endlich wirklich glücklich wirst. Das hast du einfach verdient.“ Der Satz habe ihr einen Stich versetzt, schreibt Follmann. Er habe ihr das Gefühl gegeben, dass ihr Leben, mit dem sie glücklich und auf das sie stolz war, nur mit einem Mann vollständig sein könne.

„Alleine können wir kein Happy End erzählen“

„Alleine können wir wohl nicht gewinnen. Alleine können wir kein Happy End erzählen“, schreibt Windmüller. „Weiblich“ und „ledig“: Die meisten könnten sich kein Leben vorstellen, das sich mit diesen Eckdaten glücklich erzählen lasse.

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„Weiblich, ledig, glüclich – sucht nicht“: Gunda Windmüllers Buch ist eine Streitschrift.

Es fehlt der Prinz, der das Happy End erst möglich macht. Denn wir haben nicht nur in alten Schinken, sondern in etlichen Hollywood-Filmen, Vorabendserien und Popsongs gelernt, dass die Geschichte ohne das Auftauchen des Prinzen einfach noch nicht zu Ende ist, wie die Redakteurin beim Online-Portal Watson verdeutlicht. Von Pretty Woman, über Bridget Jones bis hin zu den vermeintlich so emanzipierten Frauen von Sex and the City – am Ende ist er da: „Der Traummann. Mr. Big. Mr. Right. Mr. Dann-arrangieren-wir-uns-halt“.

Auch der Uterus der Single-Frauen scheint eine öffentliche Angelegenheit

Wie durchdrungen unsere Gesellschaft von dieser Vorstellung ist, und wie wir sie an die nächste Generation weitergeben, zeigt auch ein Gespräch von Windmüller mit der kleinen Tochter ihrer Cousine:

Windmüller muss nach der Aussage des Mädchens lachen, aber auch wildfremde Erwachsene erkundigen sich bei Single-Frauen gleich nach dem Partner nach dem Kinderwunsch. Als hänge nicht nur von ihrem Liebesleben sondern auch von ihrem Uterus das öffentliche Gemeinwohl ab. „Aber sooo viel Zeit haben Sie nun auch nicht mehr“, muss die 38-jährige Windmüller sich dann anhören.

Frauen können heute ohne Mann Kinder bekommen

„Auch hier hilft es wieder, die Frage mal einfach umzudrehen“, rät die Journalistin. „Vielleicht mal einen Mann Ü30 fragen, ob er sich nicht um seine Prostata sorge, oder ob er sein Sperma schon mal auf Zeugungsfähigkeit hin getestet habe: 'Und, wie gut ist es? Schwimmt alles so, wie es sollte?'“

Dass Frauen sich in Zeiten von Social Freezing und Samenbanken ihren Kinderwunsch, sofern sie einen haben, heute auch ohne Partner erfüllen können, scheint bei vielen noch nicht angekommen zu sein.

Der Beziehungsstatus soll nicht bestimmend sein

Dabei betonen beide Autorinnen, dass ihre Werke keine Manifeste gegen Liebesbeziehungen seien. „Kein Leben funktioniert ohne Beziehungen und ohne Liebe. Ohne Mitgefühl und ohne Engagement“, schreibt Windmüller. Aber all das könne man auch als Single erfahren. „Man kann sich natürlich trotzdem eine Beziehung wünschen, das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass der Beziehungsstatus uns nicht bestimmt.“

Sie liefere Argumente, Single-Frauen nicht als Mängelwesen abzustempeln, ihr Single-Glück nicht zu hinterfragen, so Windmüller. An einer Sache aber, mangele es ihr aber tatsächlich: „Mir fehlt eine Gesellschaft, die mir diese Geschichte zutraut.“

Zum Weiterlesen:

Silvia Follmann: A Single Woman, ein Plädoyer für Selbstbestimmung und neue Glückskonzepte, Goldmann, 240 Seiten, 12,00 Euro.

Gunda Windmüller: „Weiblich, ledig, glücklich – sucht nicht“, eine Streitschrift, Rowohlt Polaris, 288 Seiten, 14,99 Euro.