Soziale AngstWarum ist es uns eigentlich so wichtig, was andere über uns denken?
Köln – Bei einem Vortrag beginnen die Knie zu schlottern und alle möglichen Katastrophen-Szenarien rasen einem durch den Kopf: „Was, wenn alle über mich lachen?!“ Auch beim täglichen Posten und Präsentieren auf Social Media geht es immer darum, bloß nicht negativ aufzufallen, sondern wenn möglich, Likes und viel Zustimmung zu sammeln. Doch warum ist es uns eigentlich so wichtig, was andere von uns denken?
Und wann wird die Angst vor der Bewertung durch andere krankhaft und gefährlich?
Ein Gespräch mit Psychologie-Professor Stephan Bender.
Warum beeinflussen uns Bewertungen von anderen so stark?
Stephan Bender: Der eigene Selbstwert hängt zwar zum einen davon ab, wie ich mich selbst erlebe, wir sind aber zu einem ganz großen Teil davon abhängig, ob andere uns ein positives Feedback geben. Die Rückmeldungen, die wir bekommen, sind unheimlich wichtig für uns. Wir möchten gelobt werden und dass das gut ankommt, was wir tun. Da der Mensch ein soziales Wesen ist, braucht er Anerkennung und das Gefühl, seinen Platz in der Gruppe zu finden.
Und die Vorstellung, diese Anerkennung nicht zu bekommen, macht uns Angst?
Bender: Ja. Man spricht dann von sozialer Angst. Es geht um die Befürchtung, durch andere negativ bewertet zu werden. Besonders in klassischen Situationen, in denen man sich vor einer Gruppe präsentieren muss, zum Beispiel bei einem Vortrag. Man macht sich viele Gedanken, wie man ankommt: „Die anderen denken bestimmt, das ist total schlecht. Ich mache mich lächerlich. Ich zieh mich lieber zurück.“
„Das wird ein Desaster!“ Oft malt man sich ja in solchen Situationen das Schlimmste aus. Ist das typisch für den Menschen?
Bender: Ja, es gibt eine gewisse Tendenz, das Negative zu sehen. Unschöne Sachen vorwegzunehmen ist ein wichtiger Schutzfaktor. Und im übertragenen Sinne zum Überleben wichtig. Wenn man immer vorprescht, wird man auch als Erster gefressen. Wenn jemand in einer Gruppe immer schlecht auffällt, wird er rasch zum Außenseiter.
Man sollte aber nicht zu sehr katastrophieren, sondern auch hier einen Mittelweg finden und positive Erfahrungen entgegensetzen - sich etwa daran erinnern, wie man solche Situationen in der Vergangenheit schon einmal gemeistert hat.
Wie kann man Kinder so stärken, dass sie selbstbewusst genug sind, auch negative Bewertungen auszuhalten?
Bender: Es hilft, wenn Eltern ihr Kind schon ganz früh gut wahrnehmen und sehen was es kann. Wenn sie es wohlwollend und konsequent in dem bestärken, was es tut. Das heißt nicht, einfach blind zu allem „Super!“ zu sagen, sondern auch mal auszudrücken, wenn ein Verhalten nicht so gut war. So lernen die Kinder, dass sie auch dann eine liebenswerte Person sind, wenn sie Mist gebaut haben. Und sie merken, dass sie sich auf das Feedback der Eltern verlassen können. Eltern sollten aber nur das Verhalten bewerten und nicht die komplette Person entwerten. Dann können Kinder, wenn sie später einmal negatives Feedback kriegen, hier auch trennen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Kann man sich von sozialen Ängsten eigentlich überhaupt ganz frei machen?
Bender: Sich ganz davon freizumachen, ist schwierig, denn dann wäre man komplett autistisch und nur noch in seiner eigenen Welt unterwegs. Hier ist ein Mittelmaß gut: Dass man Bewertungen anderer in Betracht zieht, aber ein so gutes Selbstvertrauen hat, damit einen Kritik nicht komplett umwirft. Man sollte etwas gelassener sein und unabhängiger werden von den Rückmeldungen anderer.
Wie sehr ist unser tägliches Verhalten davon beeinflusst, anderen zu gefallen oder nicht negativ aufzufallen?
Bender: Es ist sehr davon beeinflusst. Es fängt ja schon damit an, dass man sich morgens im Bad fertig macht und nett und angepasst aussehen will. Dass man bei der Arbeit nicht negativ auffallen will, sich an die Regeln hält. Der ganze Tagesablauf ist durch soziale Regeln beeinflusst und dadurch mitbestimmt, dass man anderen gefallen will.
Soziale Regeln wahrzunehmen und sich daran anzupassen, das ist wichtig und hilfreich. Lampenfieber aber sollte auf Ausnahmesituationen begrenzt bleiben, zum Beispiel wenn man vor Menschen sprechen muss. Hält eine Angst oder Nervosität dauerhaft an, bedeutet das zu viel Stress, der den Körper kaputt macht.
Woran merkt man denn, dass die soziale Angst zu viel wird?
Bender: Ein wichtiges Warnsignal ist zum Beispiel, wenn Jugendliche den Kontakt mit anderen immer mehr einschränken und sich nur noch in soziale Medien zurückziehen. Oder wenn jemand niemals etwas von sich selbst preisgibt und stattdessen nur über andere redet. Alarmiert sein sollten Eltern auch, wenn das Kind vor jedem Vortrag krank ist und nicht mehr in die Schule geht. Und natürlich, wenn es offen sagt, dass es Angst hat.
Zum Umgang mit Sozialen Ängsten führen Sie gerade eine Studie durch. Worum geht es genau?
Probanden gesucht!
Für die aktuelle Studie zum Thema „Soziale Ängste und spezifische Phobien“ werden noch Probanden (zwischen 8 und 25 Jahren) sowie gesunde Kontrollprobanden (zwischen 18 und 25 Jahren) gesucht!
Interessierte melden sich gerne bei Prof. Dr. Stephan Bender und Dr. Tomasz Jarczok.
Weitere Informationen gibt es hier.
Bender: In unserer Studie wollen wir herausfinden, wie es Menschen mit Ängsten schaffen können, sich mutig zu verhalten und gegen diese anzugehen. Es gibt bestimmte Strukturen im Gehirn, die für die Kompensation von Ängsten verantwortlich sind. In unseren Tests untersuchen wir, was genau in diesen Hirnarealen passiert. Zum einen bei Menschen mit spezifischen Phobien wie Höhenangst. Zum anderen bei Menschen mit sozialen Phobien. Und bei Menschen ohne Phobie.
Durch die Studien-Resultate wollen wir den Betroffenen besser helfen können, Strategien zu entwickeln, um sich mit den Ängsten zu konfrontieren. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt in der Therapie: Wenn man es schafft, sich genügend lange einer Angst zu stellen, besiegt man sie irgendwann. Der Körper hält die Angst nicht unendlich aus, sondern sie lässt irgendwann nach.
Weshalb haben eigentlich besonders Teenager so viel Angst, nicht dazuzugehören? Warum ist es ihnen so wichtig, wie sie ankommen?
Bender: Teenager müssen sich erst noch finden und sind in einer besonders verwundbaren Phase. Da sie selbst noch nicht ganz wissen, wer sie sind, sind sie viel abhängiger von den Rückmeldungen anderer.
Ist diese Angst vor Abwertung in Zeiten von Social Media schlimmer geworden?
Bender: Social Media bietet ja erst einmal einen gewissen Schutz, weil man kommunizieren kann, ohne dem anderen ins Gesicht schauen zu müssen. Da besteht zum einen das Risiko, dass der direkte Kontakt auf Dauer verloren geht. Zum anderen aber haben auch reale Gefahren zugenommen, wie das Cybermobbing. Mobbing hört jetzt nicht mehr auf, wenn man den Schulhof verlässt. Dinge bleiben immer online.
Und alle wissen, dass man schnell erledigt sein kann, wenn einer ein falsches Bild von einem postet. Im schlimmsten Fall kann soziale Abwertung sogar jemanden zerstören. Manche bringen sich deswegen um…
Bender: Dass es so weit geht, dass sich jemand umbringt, das sind Gott sei Dank Einzelfälle. Teenager leiden sehr unter Mobbing, aber halten im Zweifelsfall auch viel aus. Dennoch müssen Erwachsene auf solche Mobbing-Situationen reagieren und die Betroffenen schützen. Die Belastung kann extrem sein und bis hin zu Depressionen und Suizid führen. Da Jugendliche den Eltern Selbstmordgedanken häufig nicht von sich aus berichten, ist es hilfreich, bei Warnsignalen wie Rückzug, häufiger Gereiztheit und niedergeschlagener Stimmung unaufdringlich nachzufragen.
Vielen Dank für das Gespräch.