Mehr Trennungen„Wenn es vorher schon gekriselt hat, dann knallt es jetzt richtig“
- Kriselnden Beziehungen gibt die Pandemie oft den letzten Rest.
- Selbsthilfegruppen berichten gar von einer Zahl an Anfragen, die kaum zu bewältigen ist.
- Hier erzählen wir die Geschichte von Thomas Meier, dessen Familie im Lockdown auseinanderbrach.
Köln – Den ersten Lockdown stand Thomas Meier noch gemeinsam mit der Familie durch. Als sich der zweite langsam andeutete schlief er bereits bei einem Freund im Gästezimmer. Seinen richtigen Namen möchte der 45-Jährige nicht nennen. Doch seine Geschichte will er erzählen. Die Geschichte einer Trennung in Corona-Zeiten, wie sie in diesen Tagen häufig vorkommt.
„Brennglas“ und „Katalysator“ – so bezeichnet Meier das Virus, das ihn seine Beziehung, sein Haus und letztendlich sein „Lebensmodell Kleinfamilie“ kostete. „Am 3. September hat mir meine Frau klipp und klar gesagt, dass sie mich nicht mehr liebt und die Trennung will, weil sie nicht mehr glücklich mit mir ist.“ Seitdem ist seine Welt aus den Fugen, „und alles steht wieder auf Anfang“.
18 Jahre zusammen, 12 verheiratet, 2 Kinder
Einfach sei die Partnerschaft schon vorher nicht immer gewesen, räumt Meier ein. „Wir sind sehr verschieden, doch wir haben uns jedes Mal wieder gut zusammengerauft.“ 18 Jahre waren sie zusammen, zwölf davon verheiratet, zwei Kinder, die das Paar als Eltern forderten - „da entwickelt man sich schon mal ein bisschen auseinander und merkt das zunächst gar nicht“.
Bis Corona die Regie übernahm und neue Regeln aufstellte.
Meiers Partnerin verliert mit dem Beginn des ersten Lockdowns am 16. März ihren Job als Tagesmutter und damit ihr Einkommen. Das „Betretungsverbot in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung“ des Landes Nordrhein-Westfalen untersagt ihr die Arbeit. Eine Katastrophe für die 43-Jährige. Sie vermisst, so klingt es in Meiers Erzählung, das morgendliche Tohuwabohu, wenn der Betrieb losgeht, die Gespräche mit den Eltern zwischen Tür und Angel. Auch die Schulen sind geschlossen, die Kinder, sieben und 15 Jahre alt, brauchen Unterstützung beim ungewohnten Homeschooling. Nur Meier, Angestellter in einem Biomarkt und damit „systemrelevant“, verlässt jeden Morgen wie gewohnt das Haus. All das zusammen, sagt er, habe als möglicher Beziehungskiller schon gereicht.
„Soziale Kontakte wurden weniger, stattdessen hockten wir aufeinander”
Weitere Stressfaktoren kommen hinzu: „Unsere sozialen Kontakte wurden weniger, stattdessen hockten wir mehr aufeinander. Wir sahen unsere Eltern kaum noch, und wenn, dann nur unter Beachtung der »AHA-Regeln«. Auch das war eine große Belastung.“ Generell hätten die Sorgen und Ängste in diesen Wochen immer mehr zugenommen.
„Ob man mit nur einem Gehalt finanziell weiterhin alles so gewuppt bekommt wie bisher. Wie es generell weitergeht mit unserer Gesellschaft. Was für wirtschaftliche Folgen die Pandemie für uns alle hat“, sagt Meier. Die „relative Sorglosigkeit“ aus Vor-Corona-Zeiten sei plötzlich wie weggeblasen gewesen. Immer häufiger kommt es zu Spannungen in dem Einfamilienhaus am Rande von Siegburg. Böse Worte wechseln sich ab mit Phasen verbissenen Schweigens. „Unsere Differenzen traten jetzt viel intensiver zutage als früher.“
„Wenn es vorher schon gekriselt hat, dann knallt es jetzt richtig.“
Auch ein gemeinsamer Sommerurlaub kann die angeknackste Beziehung nicht retten. „Ich habe schon vor dem Urlaub gespürt, dass etwas nicht stimmt“, erinnert sich Meier. „Aber ich hatte Angst, sie zu fragen, was eigentlich los ist, weil ich die Antwort ahnte.“ An einem lauen Septemberabend nimmt er schließlich seinen Mut zusammen und stellt die Partnerin zur Rede. Das Gespräch verläuft sachlich, das Ergebnis ist keine Überraschung. Noch am gleichen Abend zieht der 45-Jährige aus dem gemeinsamen Schlafzimmer aus. Zwei Wochen später werden die Kinder über die Trennung ihrer Eltern informiert.
Für Werner S. von der Bonner Selbsthilfegruppe „Aus der Traum“, bei der Meier nach mehreren Wochen mit wenig Schlaf schließlich Hilfe suchte, sind Entwicklungen wie diese keine Überraschung. „Corona ist der Funke am Pulverfass“, sagt der 62-Jährige, der selber zwei unschöne Scheidungen hinter sich hat. „Wenn es vorher schon gekriselt hat, dann knallt es jetzt richtig.“ Seit fünf Jahren berät der ehemalige Manager Trennungsopfer – und hat seit Beginn der Corona-Krise mehr zu tun denn je.
„Wachsende Grundaggressivität“: In der Pandemie laufen Trennungen viel brutaler ab
Es explodiert im Moment schneller in den Haushalten des Landes, so seine Erfahrung. Die Ablenkungsmöglichkeiten und Außenkontakte der Menschen seien infolge der Pandemie stark eingeschränkt: keine Treffen mit Freunden, kein Sport, kein Kino, keine Restaurantbesuche. „Also hängen die Paare aufeinander, und die alten Probleme kommen immer mehr ans Tageslicht.“
Inzwischen sei bei vielen Trennungswilligen eine „wachsende Grundaggressivität“ zu beobachten, was sich vor allem an der Art des Auseinandergehens zeige. „Normalerweise versucht man es auf die sanfte Tour und sagt, man habe sich auseinandergelebt und wolle im Guten auseinandergehen. Jetzt laufen die Trennungen viel brutaler ab, und es heißt knallhart: Ich liebe Dich schon seit fünf Jahren nicht mehr.“Ähnliche Beobachtungen macht Markus Könen vom Verein „Väteraufbruch für Kinder“ in Köln.
Das könnte Sie auch interessieren:
„Das Konfliktpotenzial und die Reizbarkeit sind eindeutig erhöht. Es wird nicht mehr sachlich miteinander umgegangen.“ Viele bereits getrennte Paare würden die Pandemie auch als Vorwand nutzen, um den Umgang der Kinder mit dem anderen Elternteil zu verhindern. Bereits angeschlagene Beziehungen schlitterten durch Corona endgültig in die Krise. Auch Könen und seine vier Kollegen sind seit dem ersten Shutdown verstärkt gefordert. „Wir kommen mit unseren Beratungen deutlich ans Limit.“ Die Zahl der Anfragen habe sich von acht bis zehn Hilferufen pro Woche auf rund 20 verdoppelt, die telefonische Beratung sei sogar um das Drei- bis Vierfache gestiegen.
Die Zahl der Scheidungen könnte sich in Corona-Zeiten um das Fünffache erhöhen
Es könnte sogar noch schlimmer kommen. Schon beim Lockdown im Frühling schoss die Zahl der Trennungswilligen in die Höhe, so das Ergebnis einer Umfrage des Berliner Meinungsforschungsinstituts „Civey“. 2,2 Prozent der 2500 Interviewten gaben an, dass sie sich zwischen Ende März und Ende Mai zur Scheidung entschlossen hätten. Im gleichen Zeitraum zwei Jahre zuvor waren es noch 0,42 Prozent gewesen.
Inzwischen ächzt Deutschland erneut unter Einschränkungen des öffentlichen Lebens, und die Demoskopen befürchten Schlimmes: Die Zahl der Scheidungen, so ihre Prognose, könnte sich in Corona-Zeiten um das Fünffache erhöhen.
„Die Angst vor einer Trennung nimmt ab, die Menschen werden radikaler in ihren Entscheidungen“, erklärt Christine Backhaus, Diplompsychologin und Beziehungscoach aus Frankfurt, die steigenden Trennungszahlen. Was die Beziehungsexpertin nicht weiter verwundert. Rund eine Million Infizierte allein in Deutschland, steigende Todeszahlen, Politiker, die sich nicht einig sind, dazu die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes und die Erkenntnis, dass das Leben endlich ist – die Menschen seien aus dem Lot geraten wie ein Schnellzug, der bei voller Fahrt aus den Gleisen springt. „Wir alle sind gerade einem maximalen Kontrollverlust ausgesetzt. Wir müssen uns täglich neuen Herausforderungen stellen, was zu einem Höchstmaß an Stress und Irritation führt.“
Wenn gerade alles auf dem Prüfstand stehe, warum nicht auch die eigene Beziehung?
Wer sich vorher mit den Unzulänglichkeiten des Partners oder der Partnerin arrangiert habe, sei jetzt vielleicht nicht mehr bereit dazu. Wenn gerade alles auf dem Prüfstand stehe, warum nicht auch über die eigene Beziehung nachdenken und „das Leben sanieren“? Gleichzeitig sei die Krise eine Chance, Dinge positiv zu verändern. „Viele Männer haben im Familiensystem ihre Rolle verloren und waren nur noch der Ernährer.“ Das könne sich jetzt ändern. Auch Gespräche seien wieder möglich, weil die Menschen mehr Zeit hätten.
„Schauen Sie genau hin“, rät Christine Backhaus trennungswilligen Paaren. „Jetzt liegt ohnehin alles blank. Analysieren Sie Ihre Beziehung. Fragen Sie sich, was Sie brauchen. Was Ihr Partner und Ihre Partnerin braucht. Was Sie gemeinsam ändern können. Und spielen Sie auch durch, wie es wäre, wenn Sie sich jetzt trennten.“
„Ohne Corona hätten wir es vielleicht noch ein paar gemeinsame Jahre geschafft“
Meier und seine Partnerin haben diese Gedankenspiele längst hinter sich. Ein Termin bei einer Trennungsberatung endete für beide „sehr emotional“, ein zweiter wurde nicht anberaumt. Inzwischen ist ein Anwalt eingeschaltet, um 18 Jahre Zusammensein auseinander zu sortieren. Ein Konsens, sagt Meier, sei nicht mehr möglich, zu unterschiedliche seien ihre Zukunftsvorstellungen. „Mein Lebenstraum war eine eigene Familie, ein Haus mit Garten, ein gutes gemeinsames Auskommen.“ Seiner Partnerin sei dieses Leben zu eng geworden. „Diese klassische Kleinfamilie war auf einmal nicht mehr ihr Ding. Ohne Corona hätten wir es vielleicht noch ein paar gemeinsame Jahre geschafft“, sagt er. „So hatten wir keine Chance.“ Am 1. Dezember ist er in ein möbliertes Appartement gezogen: 35 Quadratmeter, eine integrierte Küchenzeile. Die Wohnungssuche in Corona-Zeiten sei „der nackte Horror“ gewesen. „Vor allem die Besichtigungen waren interessant.“
Eine Erfahrung, die er mit Kurt Franke aus Köln teilt. Auch Franke möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, das Ende der Ehe nicht öffentlich machen. Franke und seine Frau trennen sich auf ihren Wunsch hin kurz vor dem ersten Lockdown, wenig später verliert der Freiberufler einen Großteil seiner Aufträge. Drei, vier Wochen habe er damals gebraucht, um sich zu sagen, „ich kriege meinen Hintern hoch“, und mit der Wohnungssuche zu beginnen. Dennoch dauert es ein halbes Jahr, bis sich eine bezahlbare Unterkunft findet.
Können wir uns jetzt nicht zusammenreißen?
In der Zwischenzeit versuchen die Eheleute, sich aus dem Weg zu gehen. „Sie schlief im Schlafzimmer, ich im Wohnzimmer auf der Couch.“ Wenn die Partnerin zwei Mal in der Woche im Homeoffice arbeitet, verlässt Franke die Wohnung, „sonst hätte es Mord und Totschlag gegeben“. Dennoch knallt es zwischendurch immer wieder. „Ohne die Pandemie wäre die Trennung wahrscheinlich friedlicher abgelaufen“, sagt der Mittfünfziger, für den das Beziehungsende nach 17 Jahren Ehe „aus dem Nichts“ kam. Auch finanziell sei die Trennung eine Katastrophe für ihn. Frankes Auftragslage ist Corona-bedingt weiterhin mau, auf Unterstützung durch die Ex-Partnerin kann er nicht hoffen.
Uwe Weiland von der „Katholischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche“ in Köln rät trennungswilligen Paaren daher, sich gut zu überlegen, ob sie in diesen Zeiten auseinandergehen wollen. Es gelte abzuwägen, ob genug Kraft vorhanden sei, um eine Trennung durchzuziehen. Wollen wir uns das auch noch draufpacken zu all dem Stress, den wir durch die Pandemie ohnehin schon haben? Oder können wir uns zusammenreißen, um die Zeit gemeinsam zu überstehen, und dann schauen wir, wie wir uns auseinanderdividieren?“
„Die Familien rütteln sich gerade neu zusammen“
Bislang verzeichnet die Beratungsstelle nur einen minimalen Anstieg von Anfragen hilfesuchender Paare, doch dass die Pandemie und deren Begleiterscheinungen „Auswirkungen haben können auf das Interfamiläre“, ist auch für Weiland unbestritten. Manche Familie seien durch Mehrbelastungen wie Homeschooling oder Homeoffice extrem gestresst, so die Erfahrung des Sozialpädagogen. Es gebe aber auch solche, die den Lockdown sogar als Chance empfinden, weil sie mehr Zeit füreinander hätten. „Sie machen einfach das Beste aus der Situation.“
„Die Familien rütteln sich gerade neu zusammen“, beobachtet auch Oliver Fina, stellvertretender Leiter der „Evangelischen Beratungsstellen Köln und Region“. Gerade für Väter könne die Pandemie eine Möglichkeit sein, sich mehr in die Familie einzubringen. „Manche entdecken gerade ihre Kinder neu.“ Corona sei bei allen Gesprächen ein Thema, auch wenn der Beratungsbedarf generell nicht gestiegen sei. Eine Falle für ein harmonisches Zusammenleben in Pandemiezeiten seien vor allem die unerfüllten Erwartungen der Familienmitglieder aneinander. „Die Kinder denken, dass sie den ganzen Tag bespielt werden. Die Männer, die im Homeoffice sind, wollen jetzt endlich mal zeigen, wie und was sie arbeiten. Die Frauen erwarten Anerkennung dafür, was sie tagtäglich leisten, doch der Partner ist mit ganz anderen Dingen beschäftigt.“ Finas Rat an alle Paare und Familien in Zeiten der Pandemie: „Sie müssen sich neu erfinden und Anker setzen, um den Alltag zu strukturieren“. Und: „Sie müssen reden, reden, reden. Darüber, was sie vom anderen erwarten und wie man das Zusammenleben verbessern kann.“ Was nicht nur in Krisenzeiten eine gute Idee ist.
Meier hat sich inzwischen mit seinem neuen Leben arrangiert. Oder versucht es zumindest. „Trennungen passieren“, sagt er. „Das ist nicht schön, aber es ist eine Lebenserfahrung, die für das spätere Leben viel bringt.“ Ein Psychologe, den ihm die Selbsthilfegruppe „Aus der Traum“ vermittelt hat, kümmert sich um seine Seelenleben. Allmählich gehe es ihm besser, sagt Meier. Der räumliche Abstand von seiner Familie helfe ihm, emotional stabil zu werden.
Auch für den nächsten Lockdown.