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„Es war schmerzhaft“Wie Lara nach 18 Jahren aufhörte, an Verschwörungen zu glauben

Lesezeit 5 Minuten
  1. Lara B. wuchs in einer Familie auf, in der Verschwörungstheorien geglaubt, verbreitet und gelebt wurden.
  2. Erst mit 18 Jahren begann sie, zu hinterfragen. Verschwörungsideologien sind ihr Lebensthema geblieben. Heute versucht sie, den Schaden in ihrer Familie zu begrenzen.
  3. Die Geschichte einer jungen Frau, die anfing, sich der Realität zu stellen.

Köln – Heuschnupfen schleppte Lara immer besonders lange mit sich herum. In ihrer Kindheit verbrachte sie lange Sommermonate zuhause, weil sie draußen sofort Atemnot bekam – wie das eben so ist, mit Heuschnupfen, ohne Medizin. Nur Globuli hat sie bekommen, manchmal auch Akupunktur. Vor den „bösen Medikamenten“ wollten sie ihre Eltern schützen.

Aufgehört hat das erst viele Jahre später. „Im Studium habe ich mir einen Hausarzt gesucht. Der hat mir Antihistaminika und andere wirksame Medikamente verschrieben. Ich habe festgestellt: Ich komme damit klar, es hilft.“ Das war lange undenkbar. Denn Lara wuchs in einer Familie auf, in der Verschwörungstheorien tiefe Wurzeln geschlagen hatten. Das fing an, als sie auf die Welt kam. Mit Allergien, die plötzlich besser wurden, als man es bei einem Homöopathen probierte. Für ihre Eltern war es ein Erleuchtungsmoment: Naturheilkunde, Homöopathie und Esoterik ersetzten fortan die Schulmedizin.

Pharma-Skepsis und Antisemitismus

Lara lebte bis zu ihrem 18. Geburtstag mit einer homöopathischen Hausapotheke. Vor allem ihr Vater lehnte es ab, sich von der Pharmaindustrie „das Geld aus der Tasche ziehen zu lassen.“ Mama wurde mitgerissen. Die kleine Lara glaubte alles, was ihre Eltern erzählten, wie sollte es auch anders sein. Mitten im Westerwald lebte die Familie in ihrer eigenen Welt. Jedes Wehwehchen wurde mit Heilpraktiken aller Art bearbeitet. Sobald Lara mit einer Erkältung auf dem Weg der Besserung war, wurde Papa euphorisch. Er sammelte emsig „Beweise“ für sein antiwissenschaftliches Weltbild. Die Theorien wurden immer weitreichender, alternativloser, eindeutiger. Laras Vater suchte sich Freunde, die ihm zustimmten. Zu der Pharma-Skepsis gesellte sich ein unterschwelliger Antisemitismus. Die Juden da oben würden ja heute machen, was die Deutschen ihnen damals angetan haben.

Alles zum Thema Universität zu Köln

Schwurbeliger Elitenhass, Geschichtsrelativismus, alternative Heilmethoden und Abschottung sind keine seltene Kombination in verschwörungstheoretischen Kreisen, wie Stephen Packard im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erklärt: „Historisch ist eine der ersten großen Verschwörungstheorien die Behauptung einer jüdisch-kommunistischen Weltverschwörung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Art und Weise, wie heute zum Beispiel über Wissenschaft gesprochen wird, hat häufig noch dieselben Züge.“ Packard ist Professor für Kulturen und Theorien des Populären an der Uni Köln, forscht seit vielen Jahren an Verschwörungserzählungen.

„Die Struktur der Verdächtigung einer Gruppe, die als fremd bezeichnet wird und einen exklusiven Machtzugang haben soll, ist dem Antisemitismus ähnlich. Zusätzlich kann aufgrund antisemitischer Traditionen in Deutschland der Antisemitismus hier wohl besonders leicht zum Thema von Verschwörungstheorien werden“, so der Wissenschaftler. Laras Vater also ist einer von vielen.

Laras Vater war Teil einer speziellen Generation

Beide Elternteile entstammen einem bürgerlichen, linksliberalen Milieu. „Beide haben studiert, Jura und soziale Arbeit, beide waren verbeamtet. Aber naturwissenschaftlich waren sie überhaupt nicht gebildet.“ Ihren Vater, geboren in den 1950ern, ordnet Lara heute einer Generation zu, „die sich gegen alles aufgelehnt hat. Er hatte nie ein differenziertes Bild davon, wo Ordnung sinnvoll ist.“ Auch aus Bequemlichkeit: „Die Lösung, sich gesund zu ernähren und nicht so viel Alkohol zu trinken, ist nicht so reizvoll wie heilende Wasser und wundersame Mikroorganismen.“

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Als Lara 13 war, ließ sich ihre Mutter scheiden. Mit der Ehe ihrer Eltern gingen auch die Weltbilder auseinander. Mama blieb der Homöopathie verschrieben, wurde aber immer kritischer, wenn es um Weltverschwörungen ging. Über Edelsteine, die nach sechs Wochen im Wasser angeblich Wunden heilen, konnte sie schon nach wenigen Jahren wieder lachen. Papa fand eine Freundin, die seine Theorien glaubte. Aus den beiden wurde eine verschworene Gemeinschaft. Laras Kontakt zu Papa wurde weniger.

„Es war schmerzhaft, mir einzugestehen, dass Papa nicht Recht hatte“

Laras Blick auf die Welt hat sich in der Pubertät verschoben, den neuen Umständen angepasst, aber nicht grundlegend geändert. Das passierte erst mit 18. Mit dem Tod ihres Vaters, dem Studium der Politikwissenschaft, dem Umzug nach Köln. Die Debatte um eine mögliche Impfpflicht wirkte auf sie wie ein Politisierungs-Katalysator. Angetreten, um sich gegen die bösen Impfpläne der Pharma-Mafia zur Wehr zu setzen, sah sie sich plötzlich mit harten medizinischen Fakten konfrontiert. Mit der Tatsache, dass Impfungen Leben retten können – unabhängig davon, ob sie nun verpflichtend sein sollten oder nicht. Heute kämpft sie aktiv gegen Verschwörungsideologien aller Art, setzt sich politisch gegen Desinformation ein.

Einfach war die Abkehr vom Verschwörungsglauben nicht. „Es war schmerzhaft, mir einzugestehen, dass Papa nicht immer Recht hatte.“ Sein Tod war eine „Form von Befreiung“. Eine, die notwendig war für einen wirklich neuen Zugang zur Welt. Für die Erkenntnis, dass es Papas Welt nicht gibt – und dass sie trotzdem Schaden anrichten kann. Und das auch tut, immer noch.

Zum Beispiel bei Mama. „Wenn sie alt wird, werde ich zusehen, dass sie in meiner Nähe wohnt.“ Damit sie sich nicht dem Krankenhaus verweigert, damit alternative Heilmethoden nicht zur Lebensgefahr werden. Dass Wasser eine Erinnerung haben soll, klingt amüsant. Lara sieht in Pflanzenheilkunden, die sich der Schulmedizin verweigern, vor allem eine potenzielle Gefahr.

Verschwörungstheorien richten Schaden an

Geholfen haben ihr biografische Momente, man könnte auch sagen: Zufälle. Aber auch der Zugang zum wissenschaftlichen Denken und Arbeiten, die Universität. An den eigenen Haaren kann sich niemand aus einem Sumpf ziehen, auch nicht aus dem der Verschwörungsideologien. Ihrer Mutter gegenüber steht Lara heute auf der anderen Seite. „Da können persönliche Anekdoten mehr helfen als zehn Studien.“ Und trotzdem: „Man sollte sich gut genug auskennen, um gängige Thesen widerlegen zu können.“ Dass Wasser keine Erinnerung hat, lässt sich auch ohne Biologiestudium darlegen.

Die Hoffnung, man könne Menschen wie Laras Vater mit einer schlüssigen Argumentation überzeugen, hat auch Packard nicht: „Viele Verschwörungstheorien sind rational sehr leicht zu widerlegen. Es geht aber oft nicht um eine rationale Debatte, denn niemand kann vollständig rational denken, wenn seine emotionalen Erfahrungen dagegen stehen.“ Es gelte, Vertrauen aufzubauen – in wissenschaftliche und politische Institutionen, aber auch in private Beziehungen.

So kurios, abseitig und unterhaltsam die angeblichen Verschwörungen auch sein mögen: Verschwörungstheorien sind es nicht. Sie sind in den Köpfen derjenigen, die an sie glauben, real. An ihnen lässt sich der „Schaden an der Demokratie ablesen“, so Packard. Lara will diesen Schaden begrenzen. Das ist ihr Lebensthema, auch heute noch, mit 25 Jahren.