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Was hilft gegen Verschwörungsglauben?„Der Weg zurück aus einer anderen Welt ist lang“

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Attila Hildmann gehört zu den populärsten Verschwörungstheoretikern in Deutschland. Pia Lamberty meint: „Wir befassen uns viel zu sehr mit seiner psychischen Verfasstheit – und viel zu wenig mit den ideologischen Versatzstücken seiner Thesen.“

  1. Das Coronavirus: Erfunden, von 5G-Strahlen ausgelöst oder doch von Bill Gates gesteuert? Populäre Verschwörungstheorien gibt es viele, nicht erst seit der Pandemie.
  2. Die Sozialpsychologin Pia Lamberty hat das viel beachtete Buch „Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ geschrieben – und erklärt, warum der Glaube an Weltverschwörungen nicht nur eine marginale Gruppe betrifft.
  3. Außerdem beschreibt die Wissenschaftlerin, wie Verschwörungstheorien psychologisch funktionieren. Und wie man mit Bekannten umgehen sollte, die Attila Hildmann und Co. hinterherlaufen.

Wie ist der Glaube an Verschwörungstheorien aus psychologischer Sicht zu erklären?

Es gibt unterschiedliche Motivationen, an Verschwörungen zu glauben. Es geht zum einen darum, mit Unsicherheit umzugehen. Das beste Beispiel ist die aktuelle Situation. Corona lässt verschiedene offene Fragen entstehen: Gibt es eine zweite Welle? Wo treten lokale Hotspots auf? Wir können zwar als Gesellschaft versuchen, die Pandemie einzugrenzen – und trotzdem sind wir alle der Lage ausgeliefert. Man weiß nicht, was als nächstes passiert. Das ist ein perfekter Nährboden für den Verschwörungsglauben: Leute versuchen, Strukturen und Muster herzustellen und auf einen Verschwörer zu projizieren, der viel greifbarer ist als ein unsichtbares Virus. Auf der sozialen Ebene geht es zudem darum, sich und seine Grippe aufzuwerten. Studien zeigen, dass Menschen, die gerne aus der Masse herausstechen, dieses Bedürfnis auch über Verschwörungserzählungen befriedigen können.

Gibt es weitere Gründe, aus denen Verschwörungstheorien in der Corona-Pandemie eine besonders hohe Popularität erlangen?

Krankheitsausbrüche sind Situationen, in denen die eigene Lebensrealität fundamental infrage gestellt wird. Sie sind daher der ideale Nährboden für Verschwörungserzählungen. Es gab schon Ende des 19. Jahrhunderts NS-Vordenker, die antisemitische Erzählungen über Impfungen verbreitet haben. Bei HIV, Ebola, Zika und der Spanischen Gruppe gab es jeweils ähnliche Narrative wie im Fall von Corona. Teilweise wurden diese auch staatlich genutzt: Es gab vor vielen Jahren eine Kampagne des russischen Geheimdienstes, in der behauptet wurde, es handele sich bei HIV um eine Biowaffe der USA. Die sozialpsychologischen Nachwirkungen können wir bis heute beobachten.

Ist der Glaube an Verschwörungen beschränkt auf einige marginale Gruppen?

Nein. Schon vor Corona hatten knapp 40 Prozent die erkennbare Tendenz, an Verschwörungen zu glauben. Diese „Verschwörungsmentalität“ betrifft uns alle: Sie ist nicht binär, jeder Mensch findet sich irgendwo auf dieser Skala wieder. Charakteristisch für diese bei jedem mehr oder weniger ausgeprägte Mentalität ist eine kategorische Ablehnung der „Mächtigen“.

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Das Coronavirus: Erfunden, von 5G-Strahlen ausgelöst oder doch von Bill Gates gesteuert? Verschwörungstheorien gibt es viele. Pia Lamberty erklärt, was dagegen hilft.

Gibt es besondere psychologische Affinitäten für Verschwörungstheorien?

Studien zeigen, dass Männer eher an Verschwörungen glauben als Frauen. Das Alter spielt keine Rolle. Zwischen Ost- und Westdeutschland gab es bis vor wenigen Jahren erkennbare Unterschiede in der Verschwörungsmentalität, diese können wir heute nicht mehr beobachten. Eine niedrigeres Bildungsniveau begünstigt tendenziell Verschwörungsideologien, hier muss man allerdings vorsichtig sein: Das hat weniger etwas mit Intelligenz oder Wissen zu tun, als vielmehr mit dem Gefühl, in der Gesellschaft weniger wert zu sein. Also mit Kontrollverlust, diese Erfahrung ist elementar. Auch in unsicheren Arbeitsverhältnissen, nach privaten Krisen, Terroranschlägen oder eben Krankheitsausbrüchen ist der Verschwörungsglaube größer. Die klassischen psychologischen Persönlichkeitsdimensionen hingegen, beispielsweise die Offenheit für neue Erfahrungen, spielen beim Verschwörungsglauben keine Rolle. Das belegen diverse Studien – es gibt nicht die „Verschwörungspersönlichkeit“.

Ist Selbstwirksamkeit das entscheidende Gegenmittel?

Das ist eine spannende Überlegung, allerdings gibt es nur wenige Studien zu diesem Thema. Ich vermute stark, dass man dem Verschwörungsglauben mit der Ermöglichung von Selbstwirksamkeit etwas entgegensetzen kann. Man muss sich allerdings von der Vorstellung verabschieden, man könne diese Narrative aus der Welt schaffen. Wir werden Verschwörungserzählungen vermutlich immer haben. Entscheidend ist es, Strategien zum Umgang zu finden. Grundsätzlich dürfen diese Erzählungen natürlich verbreitet werden. Sie haben allerdings das Potenzial, antisemitische und rassistische Inhalte zu transportieren. Der Rassismus wurde in den letzten Jahren immer stärker verschwörungsideologisch aufgeladen. Wir wissen aus der empirischen Forschung, dass der Verschwörungsglaube vor allem im rechten Spektrum auftritt, mit ihm geht oft ein Rückzug aus der Demokratie einher. Auch geht dieser Glaube mit einer stärkeren Gewalttätigkeit einher– verstanden als konsequentes Vorgehen gegen das „absolut Böse“. In Halle und Hanau haben wir genau das gesehen. Auf einer gesellschaftlichen Ebene muss man zwingend und zu allererst präzise definieren, wo die rechtlichen Grenzen liegen. Auf der privaten Ebene kann die Ermöglichung von Selbstwirksamkeit helfen.

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Pia Lamberty forscht seit vielen Jahren aus psychologischer Perspektive am Thema Verschwörungstheorien. Zuletzt wurde ihr Buch „Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“, gemeinsam mit Katharina Nocun geschrieben, veröffentlicht.

Haben Verschwörungstheorien an sich ein Gefahrenpotenzial für Demokratien oder sind sie ein Symptom für gesellschaftliche Zustände?

Als Symptom würde ich Verschwörungserzählungen nur bedingt sehen. Zwar werden sie befeuert von gewissen gesellschaftlichen Umständen, allerdings treten sie weltweit und ständig auf. Man kann sie also nicht auf die bloßen Umstände herunterbrechen. Als Gefahr identifiziere ich Verschwörungserzählungen durchaus: In Großbritannien war der Glaube an diese Erzählungen bei Menschen, die für den Brexit gestimmt haben, deutlich höher. Von Menschen mit einer ausgeprägten abstrakten Verschwörungsmentalität ist ein Viertel gewaltaffin. Wenn man glaubt, die Regierung würde Chemikalien versprühen um die Menschheit zu reduzieren, dann geht man in der Regel nicht mehr wählen – und versucht, seine Ziele anders durchzusetzen. Im Kontext der Pandemie ist auch die Behauptung, Corona sei eine 5G-Erkrankung, relevant: Von Anhängern dieser Theorie wurde versucht, Masken zu zerstören, Mitarbeiter bestimmter Firmen wurden bedroht, es gab sogar eine Entführung. Diese Beobachtungen decken sich mit einem unserer Studienergebnisse: 5G-Erzählungen gehen mit einer starken Gewaltbereitschaft einher. Hier ist die konkrete Gefahr offensichtlich.

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Was ist Menschen zu raten, deren Freunde oder Familienmitglieder an bestimmte Verschwörungstheorien glauben?

Es gibt keine Zauberformel. Wenn jemand in eine andere Welt abgetaucht ist, ist der Weg zurück sehr lang. Man kann im Privaten einiges mit Geduld, Empathie und einem respektvollen Umgang erreichen. Die Haltung in der Sache sollte eindeutig sein, ich empfehle aber nicht, sich zu sehr im Klein-Klein zu verstricken: Wenn man auf jede Diskussion anspringt, entsteht in der Regel ein Streit und damit ein Schaden an der Beziehung. Wenn jemand Wochen damit verbracht hat, angebliche Expertenstimmen auswendig zu lernen, wird man in den meisten Fällen wenig entgegnen können. Sinnvoller ist es, das Weltbild gezielt zu irritieren. In Nordrhein-Westfalen empfehle ich eine Beratung durch die Sektenhilfe.

Sie forschen seit vielen Jahren an Verschwörungstheorien. Wie hat sich Ihr Blick auf das Thema verändert?

Spannend finde ich den Prozess, den die Forschung durchgemacht hat. Zu Beginn gab es viele wissenschaftliche Projekte, die sich mit möglichen kognitiven Verzerrungen befasst haben: Denken diese Menschen anders? Sind sie weniger intelligent? Könne sie nicht richtig mit Informationen umgehen? Dieser erste Ansatz brachte wenige Erkenntnisse. Es wurden also andere Perspektiven herangezogen. In der gesellschaftlichen Debatte steht dieser Wandel größtenteils noch bevor. Wir befassen uns beispielsweise viel zu sehr mit der psychischen Verfasstheit von Attila Hildmann, die wir nicht seriös bewerten können – und viel zu wenig mit den ideologischen Versatzstücken seiner Thesen. Diese sind deutlich relevanter und gefährlicher.