Faszien können an Rücken- und Nackenschmerzen beteiligt sein. Spezielles Training soll die Beschwerden lindern – doch wie effektiv ist es?
Experten klären aufWie man seine Faszien richtig trainiert und was es wirklich bringt
Mehr Beweglichkeit und weniger Verspannungen und Schmerzen – das verspricht das Faszientraining. In den vergangenen Jahren ist ein regelrechter Hype um diese Trainingsmethode entstanden, nachdem Faszien jahrelang eher stiefmütterlich in der Medizin behandelt wurden.
Nun sieht man Leistungs- und Freizeitsportlerinnen und -sportler in Fitnessstudios, Physiotherapiepraxen, Rückenschulen oder auch in vielfach geklickten Internetvideos, die angestrengt über verschiedenfarbige Hartschaumrollen rollen oder mit kleinen und großen Bällen ihre Arme und Beine massieren. Was ist dran an diesem Trend?
Was sind Faszien?
Das Wort Faszien leitet sich vom lateinischen Wort fascia ab, was so viel wie Binde, Band oder Bandage bedeutet. Faszien sind also nichts anderes als Bindegewebe. Sie umhüllen Knochen, Muskeln, Gelenke, Sehnen, Muskel- und Nervenfasern, Muskelfaserbündel sowie Organe, stützen und schützen sie.
„Sie sind wie eine Art elastischer Ganzkörperanzug“, erklärt Nicole Vennemann, Sportwissenschaftlerin und Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie. Ohne Faszien würden Muskeln außer Form geraten, Knochen und Organe ihren Halt im Körper verlieren.
Faszien helfen dabei, Bewegungen auszuführen und Kraft zu übertragen
Doch das ist noch nicht alles: Faszien helfen Muskeln, Bändern und Sehnen dabei, Bewegungen auszuführen und Kraft zu übertragen. Es gibt mittlerweile Studien, die das Fasziensystem sogar als eigenes Organ ansehen. Der Biologe Robert Schleip von der Technischen Universität München bezeichnete es als das „reichhaltigste Sinnesorgan“ des Menschen.
Schließlich gebe es im Fasziensystem geschätzt 250 Millionen Nervenenden, in der Haut hingegen nur circa 200 Millionen, schrieb er vor zwei Jahren in einer Forschungsarbeit. Faszien sind eng mit dem vegetativen Nervensystem verbunden, senden Signale ans Gehirn und sorgen dafür, dass wir unseren Körper wahrnehmen und Bewegungen koordinieren können.
Je nach Körperstelle sei das Netz aus Faszien mal fester, mal lockerer geknüpft, erklärt die Krankenkasse AOK. Mal würden die Faszien mehr, mal weniger Wasser enthalten, seien mal dehnbarer, mal reißfester. Wenn sie gesund sind, sind die Faszien glatt und geschmeidig und dehnen sich bei jeder Bewegung mit.
Können Faszien verkleben – und wie merkt man das?
„Die Faszie verklebt nicht“, stellte der Sportwissenschaftler Jan Wilke in einem Interview mit dem Magazin „Spektrum der Wissenschaft“ vor einigen Jahren klar. „Zumindest ist nicht nachgewiesen, was so eine Verklebung überhaupt sein soll.“
Auch der Physiotherapeut und Geschäftsführer des Bildungswerks Physio-Akademie Heiko Dahl hält diesen Ausdruck für unangemessen. Man dürfe sich das nicht wie eine kaugummiartige Masse vorstellen, die sich an den Faszien festsetzt. Das Verkleben meine vielmehr, dass zwischen den Muskeln, den Faszien (die auch Teil der Muskeln sind) und den Sehnen eine „Minderbeweglichkeit“ entsteht.
Der häufigste Grund dafür ist zu wenig Bewegung. Ein Report der Deutschen Sporthochschule Köln und der Deutschen Krankenversicherung hatte im vergangenen Jahr gezeigt, dass jeder Deutsche im Schnitt 9,2 Stunden pro Tag sitzt. Dabei ist langes Sitzen Gift: Je länger wir sitzen, desto schneller können Muskeln verkürzen. Zudem können die Faszien an Elastizität verlieren.
Die Folge sind Verspannungen, die besonders häufig Schmerzen im Nacken, in den Schultern und dem Rücken verursachen. Aber auch Stress, Verletzungen und eine zu starke körperliche Belastung können zu Verspannungen führen.
Was hilft bei Verspannungen?
„Fasziengewebe will bewegt werden“, sagt Orthopädin Vennemann. So wie auch Muskeln. „Durch die Bewegung werden die Faszien elastischer, Verspannungen und Schmerzen nehmen ab.“ Ist das Bindegewebe topfit, macht das auch weniger verletzungsanfällig.
Verspannungen und Schmerzen unbehandelt zu lassen ist in jedem Fall keine gute Idee. Denn so können empfindliche, maximal verspannte Knoten in den Muskeln entstehen, sogenannte Triggerpunkte. Das kann zu weiteren Schmerzen führen.
Der Begriff „Faszientraining“ ist eigentlich irreführend, sagt Physiotherapeut Dahl. „Man kann Faszien nicht allein trainieren. Sie sind untrennbar von den Muskeln. Wer seine Muskeln trainiert, trainiert auch seine Faszien.“ Die Übungen, die nun als Faszientraining vermarktet werden, gebe es schon seit Jahrzehnten. Sie seien nichts anderes als Muskeldehnungsübungen.
Welches Training stärkt die Faszien und wie oft sollte man trainieren?
Dazu gehört zum Beispiel die klassische Wadendehnung. Dafür muss man einen etwas größeren Schritt nach vorne machen und das vordere Bein beugen, während das hintere durchgestreckt wird.
„Kontrolliertes und intensives Dehnen“ sei gerade bei Verspannungen und verspannungsbedingten Schmerzen gut, sagt Orthopädin Vennemann. Wer gut beweglich und schmerzfrei ist, sollte lieber schwingende Bewegungen durchführen. Die Arme nach vorne und hinten schwingen wäre zum Beispiel eine Übung.
Wer unter Verspannungen und dadurch bedingten Schmerzen leidet, sollte am besten täglich trainieren, rät Vennemann. „Es muss gar nicht immer das ganz große Trainingsprogramm sein.“ Schon zehn bis 15 Minuten würden reichen, um seine Faszien und Muskeln zu stärken.
„Man kann die Übungen auch gut in seinen Alltag integrieren“, sagt sie. Die Waden zu dehnen lässt sich zum Beispiel schon umsetzen, wenn man auf den Bus wartet. „Das sind einfache und effektive Übungen.“
„Blackroll“: Was bringt eine Faszienrolle?
Die Faszienrolle ist eine Massagerolle aus Hartschaum, die Verspannungen, Muskelkater und Rückenschmerzen lindern soll. „Die Ergebnisse des Trainings mit der Faszienrolle können weniger Schmerzen und ein insgesamt verbessertes Körpergefühl sein“, erklärt das Unternehmen Blackroll, das führend bei der Herstellung und Vermarktung der Faszienrollen ist. So könne das „Foam Rolling“, wie die Massage auch genannt wird, den Flüssigkeitsaustausch zwischen Blut und Lymphen verbessern und dem Körper helfen, sich zu regenerieren.
Der Ausdruck „Faszienrolle“ sei jedoch missverständlich, moniert Physiotherapeut Dahl. Denn die Rolle wirke sich nicht nur auf die Faszien aus, sondern auch auf die Muskeln, Haut und Sehnen. „Wenn ich mit der Faszienrolle auf den Oberarm drücke, kommt der Druck als Erstes zum äußeren Bereich des Muskels, der Faszie“, erklärt er. „Aber den Druck kann ich nicht nur bis zur Faszie regulieren, sondern er geht automatisch auch auf die Oberarmmuskulatur über.“
Aus Sicht von Orthopädin Vennemann können Massagen mit der Faszienrolle durchaus sinnvoll sein. „Aber sie bleiben etwas Passives. Für mich ist es viel wichtiger, in die Übungen zu gehen, weil ich glaube, dass etwas aktiv selbst zu machen wesentlich effektiver ist.“