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Corona in DeutschlandWarum die Todeszahlen trotz Lockdown höher sind als je zuvor

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„Covid“ steht auf einem Sarg in einem deutschen Krematorium. Es ist einer von rund Tausend pro Tag. Wie konnte es so weit kommen – trotz Lockdown?

Köln – Ein trauriger Höchststand: 1244 Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 binnen 24 Stunden vermeldete das Robert-Koch-Institut am Donnerstag. Am Freitag waren es 1113. Auch in Köln treten vermehrt Todesfälle auf – mitten in einer Phase, die politisch als „harter Lockdown“ angekündigt wurde. Wie passt das zusammen? Wir haben mit Experten gesprochen und Antworten gesucht.

Die Corona-Todesfälle

Insgesamt 9476 Todesfälle meldete das Robert-Koch-Institut in den vergangenen zehn Tagen, im Durchschnitt knapp 950 pro Tag. „Die Todeszahlen, die wir heute sehen, sind zum Großteil auf die Zeit vor dem Lockdown zurückzuführen“, sagt Dr. Rolf Kaiser, Virologe an der Kölner Uniklinik, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Und: „Die Kollegen auf den Intensivstationen kämpfen oft über viele Wochen um das Leben der Patienten.“ Zwar spiele auch das Infektionsgeschehen seit dem verschärften Lockdown Mitte Dezember eine Rolle für die hohen Todeszahlen, dieses aber sei nicht maßgeblich.

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Dem stimmt auch Johannes Nießen, Leiter des Kölner Gesundheitsamts, zu: „Wir haben in der Stadt aktuell eine leichte Steigerung von Verstorbenen. Da liegt Köln im bundesweiten Trend. Nach dem seichten Lockdown sind die Auswirkungen des harten Lockdowns noch nicht so richtig zu spüren.“ Nießen sei dank der Impfungen in den Heimen aber ganz guter Dinge. „Bis zum Wochenende haben wir 60 Prozent aller Menschen, die in einem Heim leben und arbeiten geimpft. Ende des Monats werden wir alle erreicht haben.“ Das werde Einfluss auf die Todeszahlen haben. „Jeder Zweite, der an Corona stirbt, stirbt im Heim. Das ist die Erfahrung, die wir bisher gemacht haben“, so Nießen.

Die Infektionszahlen

Das RKI gab am Freitag 22.368 Neuinfektionen mit dem Coronavirus bekannt. Experten schätzen die Infektionszahlen weiterhin als vergleichsweise unzuverlässig ein. Grund dafür sind verspätete Meldungen. „Den Effekt der Verzögerung um Neujahr kennen wir seit Jahren von den Grippeviren. Die Praxen sind zu, viele Leute legen sich zuhause erstmal hin. Es erfolgen dann einige Nachmeldungen“, sagt Kaiser.

Mitte Januar können man grundsätzlich mit stabilen Daten rechnen – doch durch die Überlastungen der Gesundheitsämter „kommt es aktuell zu etwas längeren Verzögerungen“. Zudem folgt auf viele Schnelltests derzeit kein präziser PCR-Test, der gemeldet werden würde – hier fließen einige Infektionen also nicht in die Statistik ein. „Wir müssen insgesamt von einer leicht erhöhten Dunkelziffer ausgehen, die Infektionszahlen sind aber wieder belastbarer als Anfang Januar“, sagt Kaiser.

Corona-Pandemie: Die Lage in Köln

Mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 101,9 liegt Köln unter dem Bundesschnitt. „Wir waren zu Beginn der Pandemie ganz vorne mit dabei, hatten zum Teil 200 neue Fälle innerhalb von sieben Tagen. Mittlerweile haben wir es aber von einem der Spitzenplätze in die Abstiegsklasse geschafft.“ Das liege unter anderem daran, dass zur Bekämpfung der Pandemie seit November jede Woche 60 Personen eingestellt wurden: „So kann jeder, der heute als positiv getestet gemeldet wird, auch heute noch vom Gesundheitsamt kontaktiert werden“, so Nießen. Auch das Digitale Kontaktmanagement sei dafür wichtig. „In der Millionenstadt Köln leben viele Menschen auf engstem Raum zusammen. Und dennoch sind wir aktuell in einer Liga mit Großfeld und Borken im ländlichen Raum.“

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Wie lange der harte Lockdown in Köln noch andauern wird, ist unklar. Zwar sei Deutschland aktuell auf einem guten Weg, „aber eben noch nicht am Ziel“, sagt Nießen. „Ostern ist vielleicht ein bisschen zu weit gedacht. Wir dürfen aber erste Erfolge, die wir jetzt sehen, nicht leichtfertig verspielen. Das würden wir bereuen.“ Ziel sei es, bis zum Frühjahr eine Inzidenz von unter 50 zu erreichen. „Das ist aktuell unser Ansporn, so weiterzuarbeiten, wie bisher.“

Die aktuellen Regeln

„Die geltenden Beschränkungen sind gut“, sagt Kaiser, „aber die Menschen müssen sie auch verinnerlichen. Das Versagen ist derzeit eher individueller als politischer Natur.“

Etwas anders sieht es Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), er kritisierte die Einschränkungen am Donnerstag als nicht ausreichend – „diese Maßnahmen, die wir jetzt machen, für mich ist das kein vollständiger Lockdown, es gibt immer noch zu viele Ausnahmen.“ Die derzeitigen Maßnahmen umfassen weitgehende Schließungen im Handel und bei Dienstleistungen, in Schulen und Kitas sowie Kontaktbeschränkungen.

Mögliche Verschärfungen

Eine mögliche Beschränkung der Personenzahl für private Treffen in NRW, die derzeit nicht gilt, würde Kaiser begrüßen: „Die lockere Regelung für private Treffen in NRW halte ich für schwierig. So etwas kann die Pandemie treiben. Hier braucht es mehr Konsequenz.“

Der Virologe setzt zudem auf das Homeoffice. Weniger Präsenz in den Büros helfe „in der Pandemie-Bekämpfung definitiv.“ Zwar sei der Arbeitsplatz in vielen Fällen recht sicher, doch auf der Fahrt dorthin sei eine Infektion ebenso möglich „wie in den sozialen Pausen vor Ort. Diese seien „leider gefährlich. Dort lassen wir dem Virus eine Lücke.“

Vergleich zum Frühjahr

Analysen des RKI zufolge schränkt sich die Bevölkerung aktuell deutlich weniger in ihrer Mobilität ein als im ersten Lockdown im Frühjahr. So habe sich an den Sonntagen im Dezember gezeigt, dass die Menschen viel häufiger unterwegs gewesen seien als im März.

Laut RKI-Epidemiologe Dirk Brockmann ist die Mobilität innerhalb einer Woche um 40 Prozent zurückgegangen. Auch seit Dezember seien weniger Menschen unterwegs, die Mobilitätszahlen sinken allerdings langsamer. „Das hängt auch viel mit Pandemiemüdigkeit zusammen“, sagt Brockmann.

Äußere Faktoren

Ein „echter Faktor“ ist laut Kaiser die höhere Infektionslast in der Bevölkerung: „Es gibt mehr Chancen auf Infektionen als im Frühjahr.“ Zudem spiele das Wetter dem Virus in die Karten. „Im Frühjahr ging der Trend ständig in die entgegengesetzte Richtung. Jetzt ist die Jahreszeit der Infektionen. Das wissen wir von harmloseren Coronaviren, die es schon länger gibt.“

Mutationen des Coronavirus

Laut Wieler ist es nicht absehbar, wie sich die auch in Deutschland aufgetretenen Mutationen des Virus verbreiten. „Es besteht also die Möglichkeit, dass sich die Lage noch verschlimmert.“ Dem RKI sind bisher 16 Fälle der in Großbritannien aufgetauchten Mutation bekannt. Vier Mal wurde die Mutante aus Südafrika bislang in Deutschland nachgewiesen. „Wir gehen nach den Daten, die uns zur Verfügung stehen, davon aus, dass die Mutante um 50 Prozent besser übertragen wird“, so Wieler. Stecke eine infizierte Person bei der älteren Virus-Variante einen weiteren Menschen an, seien es bei der neuen Variante im Durchschnitt anderthalb. „Das ist eine erhebliche Veränderung“, so Wieler. Genau ließe sich derzeit nicht sagen, wie schnell sich die neue Variante ausbreitet.

„Die Mutation aus Großbritannien ist bei uns angekommen“, bestätigt Kaiser. Er hat zwei der 16 nachgewiesenen Fälle an der Kölner Uniklinik entdeckt. „Wir haben an der Uniklinik in einer Untersuchung unter 300 Corona-Proben diese zwei Mutanten festgestellt.“ Derzeit spiele die Variante „wohl keine bemerkenswerte Rolle für die Pandemie-Verbreitung.“ Das könne sich allerdings ändern: „Vorsicht bleibt das Gebot der Stunde.“

Genetischer Fingerabdruck

Dass hierzulande bislang nur 16 Fälle nachgewiesen wurden, liegt wohl auch an der deutschen Forschungstradition, in der Sequenzierungen eher selten vorgenommen werden. Die Sequenzierung ist ein biologisches Verfahren, mit dem der genetische Fingerabdruck des Virus untersucht wird.

Jens Spahn legte zu diesem Zweck eine Verordnung vor, die die Labore zu einer höheren Zahl von Sequenzierungen verpflichten soll. Das RKI begrüßt den Vorstoß. Rolf Kaiser bezeichnet die politische Unterstützung für mehr Sequenzierungen als „notwendig und sinnvoll“. Doch auch über die Sequenzierung hinaus gebe es Möglichkeiten, die Spur der Mutation zu verfolgen. „Wir führen auch Schnellanalysen durch, mit denen wir mutierte Viren erfassen können. Es gilt nun, beide Möglichkeiten deutschlandweit zu nutzen“, sagt Kaiser.