Professor Ingo Froböse„Wir wollen Risikopatienten mit dem Bewegungsvirus anstecken“
- Weniger soziale Kontakte sind für Ältere und Risikopatienten während der Corona-Pandemie notwendig.
- Doch diese Schutzmaßnahmen bringen auch neue Risiken mit sich, warnt der Sportwissenschaftler Professor Ingo Froböse.
- Wie gerade diese gefährdete Gruppe gesund und beweglich bleiben kann, erklärt der Fitness-Experte im Interview.
Warum ist Bewegung gerade für ältere Menschen so enorm wichtig. In Corona-Zeiten und auch danach?Professor Ingo Froböse: Bewegung ist für uns alle wichtig! Und deshalb ist es umso dringlicher, dass wir den Schutz der Risikogruppe nicht allein darin verstehen, dass wir uns um eine mögliche Ansteckung sorgen und sie zu vermeiden versuchen. Ist der persönliche Radius im Alltag eingeschränkt, müssen Betroffene positive Impulse, die sie üblicherweise aus ihrem Alltag ziehen – beispielsweise durch Wege des täglichen Bedarfs, durch Aktivität und Austausch in Sport- und Seniorengruppen oder das Schwätzchen mit der Kassiererin - auf andere Weise kompensieren. Denn ist man körperlich bereits eingeschränkt, egal ob durch hohes Alter oder eine Vorerkrankung, schreitet der Abbau von Muskeln, Sehnen und Bändern schneller voran, wenn sie nicht genutzt werden. Das gilt es zu vermeiden, denn diese Strukturen braucht es, um sich vital zu fühlen, mobil und damit auch selbstständig zu bleiben und am Leben teilnehmen zu können. Leben wir allein, ist auch die soziale Komponente, die Bewegung mit sich bringt, von unschätzbarem Wert für unser Wohlbefinden. Es lohnt sich also für Körper und Geist bewegt zu bleiben!
Um ältere Menschen zu mehr Bewegung zu motivieren, haben Sie jetzt sogar eine Video-Aktion ins Leben gerufen. Wen wollen Sie damit genau ansprechen?
Wir wünschen uns, mit #wirlebenjetzt insbesondere ältere Menschen zu erreichen, deren Radius sich aufgrund ihres hohen Alters oder wegen Vorerkrankungen, etwa von Herz und Lunge, verkleinert hat. Eingeschränkte soziale Kontakte oder gar Isolation sind für diese Menschen teils notwendig und sinnvoll, um das Risiko, sich mit dem noch recht unbekannten Virus anzustecken, möglichst gering zu halten. Und dennoch bringen diese Schutzmaßnahmen neue Risiken mit sich. So gehen mit den Einschränkungen sozialer Kontakte auch sämtliche positiven Aspekte verloren, etwa emotionale Impulse, die wir aus Gesprächen ziehen. So hilfreich es ist, wenn Nachbarn und Familie sich um Einkäufe kümmern, verlieren Betroffene damit auch wichtige Alltagsstrukturen und Mobilität. Die Schutzmaßnahmen können deshalb durchaus negative Folgen mit sich bringen – seelisch wie körperlich. Aber auch fernab von Covid-19 ist unser Ziel, ältere Menschen, deren Leben sich hauptsächlich zuhause abspielt, zu motivieren, in Bewegung und aktiv zu bleiben – für das eigene Wohlbefinden, die Gesundheit und die persönliche Selbstständigkeit!
#wirlebenjetzt - Vidoe-Serie mit Ingo Froböse
In der 5-teiligen Video-Serie sprechen die beiden Sportwissenschaftler Professor Ingo Froböse (Deutsche Sporthochschule Köln) und Sabine Lattek (Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung) mit prominenten Gästen, die alle zur so genannten „Risikogruppe“ gehören darüber, wie sie trotz Schutzmaßnahmen und eingeschränkten sozialen Kontakten Schwung in ihren Alltag bringen. Es geht um Fitness-Rituale und bewährte Praxis-Tipps. Die Zuschauer erfahren etwa, dass Franz Müntefering der Gymnastik gar nicht abgeneigt ist und die Fingerspitzen noch bis zum Boden strecken kann und wie Uschi Glas Bewegung in ihren Alltag integriert. Die Aktion soll ältere Menschen dazu motivieren, ihre Freude an Bewegung (wieder-)zu entdecken, die eigenen Ressourcen zu stärken um so aktiv am Leben teilzunehmen. Kurz: Es geht darum, Seniorinnen und Senioren mit dem Bewegungsvirus zu infizierenDie Videos finden Sie unter: www.becker-stiftung.de
Wie oft und in welchem Maße sollten sich Personen, die zur so genannten Risikogruppe gehören, bewegen?
Ob man dreimal wöchentlich oder täglich trainiert, hängt ganz von den persönlichen Möglichkeiten ab, wie fit man ist, was einem gut tut. In jedem Fall aber zahlt sich regelmäßige Bewegung aus. Eine einmalige Verausgabung bis zur Erschöpfung sollte man tunlichst vermeiden. Ein leichtes Krafttraining von zehn Minuten macht müde Muskeln munter und schafft zudem Routinen. Begleitend zu einem Krafttraining schöpfen wir aus einem Spaziergang Kraft: Bewegung an der frischen Luft regt das Immunsystem an, das Tageslicht fördert die körpereigene Produktion von Vitamin D und die moderate Bewegung stärkt unser Herz-Kreislauf-System. Für wen es etwas schneller sein darf, der walkt oder läuft, statt zu spazieren! Ideal ist es, wenn man hinterher das Gefühl hat: Das mache ich morgen gleich noch mal! Dann nämlich hat man sich für die persönlich ideale Intensität entschieden.
Wie können sich Betroffene, neben Ihrer Aktion, selbst dazu motivieren, Bewegung in ihren Alltag zu integrieren?
Was wir mit #wirlebenjetzt deutlich machen wollen ist, dass Betroffene nicht alleine sind! Wir alle haben keinen Zugang zum ewigen Jungbrunnen, werden älter und stehen früher oder später vor denselben Herausforderungen. Die Frage ist, wie wir ihnen begegnen und sie im Alltag meistern. Wir wollen dazu anregen und motivieren, die eigenen Alltagsstrukturen zu überdenken und aufzubrechen. Denn es lohnt sich, Gewohnheiten zu verändern und für Bewegung, die mit zunehmendem Alter umso wichtiger wird, Platz zu machen! Denn nur was genutzt wird, bleibt erhalten, was ungenutzt bleibt, das verkümmert.
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Von jeglicher Form der Bewegung mit mehreren Personen in einem geschlossenen Raum würde man derzeit ja eher abraten. Gibt es Alternativen zum Hallensport?
Aber natürlich gibt es die! Sämtliche Vereine und Studios haben ihre Aktivitäten nach draußen verlegt, um den aktuellen Empfehlungen gerecht zu werden. Und damit sind gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen! Denn neben der Tatsache, dass ein Training auch in Corona-Zeiten stattfinden kann, profitieren die Teilnehmer von der frischen Luft. Training im Freien zahlt sich für unsere Gesundheit doppelt aus. Ich rate Interessierten dringend dazu, das Angebot der lokalen Sportvereine zu prüfen. Die verfügen nicht nur über die trainingswissenschaftliche Kompetenz, sondern haben auch ein entsprechendes Hygienekonzept parat.
Welche Körperpartien sollten besonders in Bewegung gehalten werden?
Ideal ist ein Ganzkörpertraining. Wenn Arme, Beine, Rücken, Bauch, Schulter und Nacken gleichermaßen gefordert werden, stärkt das die Muskulatur und beugt Verspannungen vor.
Vier Motivationshilfen von Ingo Froböse für mehr Bewegung im Alltag:
1. Achten Sie auf die richtige Dosierung!
Wenn Sie nach langer Zeit oder auch erstmalig so richtig in Bewegung kommen, ist es wichtig, dass Sie sich realistische Ziele setzen. Verlangen Sie Ihrem Körper keine Höchstleistungen ab, sondern wohl dosierte Bewegungseinheiten. Das fördert nach kurzer Zeit Ihr Wohlbefinden nach als auch während der Einheiten! Kleine Etappenziele helfen dabei, fokussiert zu bleiben und schneller motivierende Erfolgserlebnisse zu sammeln.
2. Suchen Sie sich einen Trainingspartner!
Sich gemeinsam zu bewegen, fördert das Miteinander und schafft Verbindlichkeit. Denn eine Verabredung sagt man nicht so schnell ab, aufgrund von schlechtem Wetter oder fehlender Motivation. Alternativ kann Ihnen eine Sportgruppe helfen, den eigenen inneren Schweinehund zu dressieren.
3. Tragen Sie ihr Training in den Kalender ein!
Einen festen Zeitpunkt in den Kalender einzutragen hilft ihnen dabei, die Planung auch in die Tat umzusetzen. Lassen Sie das Training beziehungsweise die Bewegung zum Ritual werden, indem Sie die Einheiten immer auf einen bestimmten Zeitpunkt legen, etwa vor dem Frühstück oder nach dem Mittagessen. So werden aus neuen Impulsen Gewohnheiten.Erzählen Sie Ihrer Familie und Freunden von Ihrem Vorhaben, das erhöht den Druck dabei zubleiben!
4. Belohnen Sie sich!
Haben Sie ein vorher gestecktes ein Etappenziel erreicht, sollten Sie das zelebrieren, ob bei einem Stück Kuchen mit Freunden oder mit dem Kauf eines kleinen Trainingsgeräts für zuhause. Übrigens: Wissenschaftlichen Studien zu Folge brauchen wir 21 Tage, bis wir neue Impulse, die wir täglich umsetzen, als Gewohnheit empfinden! Es lohnt sich also durchzuhalten.