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Diabetes Mythen entlarvtWas wirklich hinter den fünf größten Irrtümern steckt

Lesezeit 5 Minuten
ARCHIV - Wie steht's um den Blutzucker? Messgeräte helfen Diabetikerinnen und Diabetikern, diesen gut im Blick zu haben.  (zu dpa: ««test»: Nicht alle Blutzuckermessgeräte messen präzise») Foto: Franziska Gabbert/dpa-tmn - Honorarfrei nur für Bezieher des dpa-Themendienstes +++ dpa-Themendienst +++

Nicht jeder Diabetiker und jede Diabetikerin müssen sich Insulin spritzen.

Stimmt es wirklich, dass immer mehr Menschen an Diabetes erkranken? Tatsächlich gilt das nur, wenn man die weltweiten Zahlen betrachtet. Fünf Irrtümer rund um Diabetes.

Wer Diabetes hat, ist selbst schuld und hat zu viel Zucker gegessen? Rund um die Volkskrankheit gibt es viele Mythen. Hier ein Überblick der populärsten Irrtümer.

Mythos 1: Nur alte Menschen sind betroffen

Diabetes Typ 2 macht etwa 95 Prozent aller Diabetes-Erkrankungen aus und ist ist eine typische Alterserkrankung. Das durchschnittliche Alter bei der Diagnose liegt laut Robert Koch-Institut bei Frauen bei 55 und bei Männern bei 51 Jahren. Diabetes Typ 2 kann aber auch schon in jüngeren Jahren auftreten. Laut der von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ins Leben gerufenen Plattform diabinfo.de erkranken seit einigen Jahren vermehrt Menschen im Alter zwischen 20 und 39 Jahren.

Die restlichen Diabetiker und Diabetikerinnen leiden an der Variante Diabetes Typ 1. Und diese bricht meist im Kindes- oder Jugendalter oder bei jungen Erwachsenen aus. Nur selten erkranken ältere Menschen daran. Anders als bei Diabetes Typ 2 (siehe unten) nimmt die Zahl der Neuerkrankungen bei Diabetes Typ 1 in Deutschland seit einigen Jahren zu.

Mythos 2: Bei Diabetes muss man immer Insulin spritzen

Bei Diabetes Typ 1 produziert der Körper zu wenig von dem Hormon Insulin, das dafür sorgt, dass Zucker aus dem Blut in die Zellen gelangt. Dies liegt daran, dass die insulinproduzierenden Zellen der Bauch­speichel­drüse vom eigenen Immunsystem angegriffen werden. Die Ursachen dafür sind nicht vollständig bekannt. Neben einer genetischen Veranlagung scheinen Infektionen und Umwelt­einflüsse eine Rolle zu spielen. Insulin muss daher bei Diabetes Typ 1 künstlich zugeführt werden, sonst kommt es zu einer lebensbedrohlichen Unterzuckerung.

Bei Diabetes Typ 2 sprechen die Zellen des Körpers weniger gut auf Insulin an, erst im Verlauf der Erkrankung wird oft auch weniger Insulin produziert. Gerade zu Beginn ist es daher meist nicht nötig, Insulin zu spritzen. Stattdessen kann auch mehr Bewegung die Insulin­empfindlichkeit der Zellen erhöhen, genauso wie ein Rauchstopp oder bei Übergewicht eine Gewichts­reduzierung. Zudem gibt es Medikamente, die in Tablettenform eingenommen werden und die den Blutzucker­spiegel auf verschiedene Art und Weise günstig beeinflussen können. Insulin zu spritzen kann, bei Diabetes Typ 2 im fortgeschrittenen Stadium erforderlich werden, wenn es nicht gelungen ist, den Blutzucker­spiegel anders zu regulieren. Die Bauch­speichel­drüse „erschöpft“ sich dann irgendwann und beginnt, weniger Insulin zu produzieren.

Mythos 3: Wer zu viel Zucker isst, bekommt Diabetes Typ 2

Es gibt verschiedene Faktoren, die das Risiko für Diabetes Typ 2 erhöhen. Einer davon ist eine ungesunde Ernährung, womit aber nicht nur ein hoher Zuckerkonsum gemeint ist. Wichtig ist es, genug Ballaststoffe zu essen, die zum Beispiel in Vollkorn­produkten und Gemüse stecken. Und weniger tierische Fette und leicht verdauliche Kohlenhydrate, die in Süßem, aber auch in Weißmehl­produkten enthalten sind. Zudem ist Übergewicht ein Risikofaktor. Dieses entsteht aber nicht automatisch, wenn wir Süßes essen. Vielmehr kommt es auf die gesamte Kalorien­aufnahme an. Das heißt: Jemand, der gern nascht, sich aber ansonsten ausgewogen ernährt und nicht übergewichtig ist, hat nicht unbedingt ein hohes Diabetes-Risiko.

Zudem kommt es auch auf die Veranlagung an. Laut dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheits­wesen (IQWiG) können Menschen mit einem erhöhten Diabetes-Risiko durch eine Ernährungs­umstellung und mehr Bewegung die Diagnose zwar um einige Jahre aufschieben, ob sich ein Typ-2-Diabetes durch die „richtige“ Ernährung und viel Bewegung aber völlig vermeiden lässt, ist demnach unklar.

Mythos 4: Immer mehr Menschen erkranken an Diabetes

Das stimmt nur, wenn man die Weltbevölkerung betrachtet. Waren 1990 noch etwa 200 Millionen Menschen weltweit an Diabetes erkrankt, waren es laut WHO 2022 rund 830 Millionen. Aber: Drastisch zugenommen hat der Anteil der Erkrankten vor allem in Ländern mit geringem und mittlerem Wohlstand. In diesen Ländern, darauf weist die WHO hin, werden viele Betroffene nicht behandelt – was das Risiko für schwere Folge­erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkankungen, Nierenversagen und Erblindung oder die Notwendigkeit, Gliedmaßen zu amputieren, erhöht. In Deutschland hingegen kann Diabetes immer besser behandelt werden. Zudem geht der Anteil der Menschen, die neu an Diabetes erkranken, seit einigen Jahren zurück.

Dass trotzdem die Gesamtzahl der Diabetiker und Diabetikerinnen in Deutschland geringfügig ansteigt, liegt unter anderem daran, dass diese wegen der guten medizinischen Versorgung immer länger leben. Zudem wird unsere Gesellschaft immer älter, und mit zunehmendem Alter steigt das Diabetes-Risiko generell an. Laut diabinfo.de könnten im Jahr 2023 mehr als zehn Millionen Deutsche an Diabetes erkrankt gewesen sein. In bis zu einem Fünftel der Fälle wissen Betroffene in Deutschland demnach nichts von ihrer Erkrankung.

Mythos 5: Wer Diabetes hat, ist selbst schuld

Bei Diabetes Typ 1 sind die Ursachen bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Es ist auch nicht bekannt, wie man einer Erkrankung vorbeugen könnte. Bei Diabetes Typ 2 gibt es verschiedene Faktoren, die das Erkrankungs­risiko erhöhen. Einige davon lassen sich nicht beeinflussen: etwa das Alter, eine genetische Veranlagung oder Umwelt­faktoren wie Luft­verschmutzung. Bei anderen ist das theoretisch oft möglich, aber sehr schwierig. So können Übergewicht, Stress, ein ungesunder Lebensstil, Rauchen und Bewegungs­mangel zum Erkrankungs­risiko beitragen.

Unsere Gewohnheiten werden aber meist schon früh im Leben geprägt und es ist nicht leicht, sie dauerhaft zu verändern. Zudem werden eine gesunde Ernährung und Lebensweise durch schlechtere Bildung und ein geringeres Einkommen erschwert, weshalb beides Diabetes begünstigt. Schuld­­zuweisungen an Menschen mit Diabetes sind daher unfair und auch wenig hilfreich. Sie können sogar die Therapie behindern, wie eine Studie aus China gezeigt hat. Menschen, die sich stigmatisiert fühlten, nahmen demnach ihre Medikamente seltener ein.