Gerhard Wiesmüller über Corona„Meine Hoffnung lässt sich in einem Wort fassen“
- Seit gut sechs Monaten ist Deutschland im Ausnahmezustand: Das Coronavirus hat Grundlegendes verändert.
- Wir haben Professor Gerhard Wiesmüller, den stellvertretenden Leiter des Kölner Gesundheitsamtes, auf den bisherigen Verlauf der Corona-Pandemie zurückblicken lassen.
- Was war sein eindrücklichstes Erlebnis? Was macht ihm Sorgen, was Hoffnung? Welcher Begriff beschreibt die Krise für ihn am besten?
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Köln – Mein wichtigstes Learning ist, dass man in einer Pandemie unbedingt Durchhaltevermögen beim Exit braucht. Das heißt: Die Fallzahlen sind gesunken und man hat politisch und gesellschaftlich begonnen, alles zurückzufahren. Hier liegt für mich der wichtigste Lerneffekt: es braucht noch mehr Disziplin, um eine solche Krise bestmöglich zu bewältigen. Das gilt auch für die Seite der Behörden. Man muss die intuitive Rückkehr in den Normalbetrieb, in das Tagesgeschäft, in die Normalität bewusst zurückstellen. Insbesondere für eine mögliche neue Welle sollte dieser Lerneffekt greifen. Die aktuell steigenden Infektionszahlen sprechen für sich.
Am meisten hat mich in den letzten Monaten die unheimliche Hilfestellung bewegt, die wir im Gesundheitsamt erfahren haben. Vor allem von vielen Studierenden, aber auch Kollegen der Krankenversicherungen, niedergelassenen Ärzten und vielen anderen. Die Solidarität war unglaublich groß, auch innerhalb des Gesundheitsamtes.
Meine größte Sorge ist ein Verlust an Sensibilität in der Bevölkerung. Eine gewisse Besorgnis stellt auch die kalte Jahreszeit dar, in der sich wieder deutlich mehr Menschen in Innenräumen aufhalten werden. Wenn das Miteinander, das wir heute an öffentlichen Plätzen sehen, nach innen verlagert wird, haben wir ein enorm hohes Infektionsrisiko an ganz vielen Stellen.
Meine Hoffnung hingegen lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Impfstoff. Ein langanhaltend wirksamer Impfstoff wäre der sicherste Weg aus der aktuellen Krisensituation heraus. Auch hoffe ich sehr, dass es bei den Therapiemöglichkeiten mit Antikörpern und Medikamenten bald weitere Fortschritte gibt, sodass Risikopatienten in Zukunft bessere Überlebenschancen haben. An dieser Stelle bin ich nicht zuletzt aufgrund der Forschungen an der Kölner Uniklinik guter Dinge.
Das Bild eines Seefahrers bringt die Corona-Krise für mich auf den Punkt. Aus dem Sturm heraus können wir nun hoffen, irgendwann wieder auf ruhigen Gewässern zu fahren. Die Ungewissheit bleibt aber. Und Vorsicht ist das oberste Gebot.
Gerhard Wiesmüller
Lesen Sie auch, wie der Kölner Infektiologe Gerd Fätkenheuer, der Mediziner Walter Möbius, die Psychologin Damaris Sander, ihr Kollege Peter Wehr, der Apotheken-Vorsitzende Thomas Preis, die Juristin Gerlind Wisskirchen und Jürgen Zastrow, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, auf das erste halbe Jahr im Ausnahmezustand zurückblicken.