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Gewalt in der GeburtEine Mutter berichtet: „Ich glaube, jetzt haben Sie mir eine Rippe gebrochen“

Lesezeit 7 Minuten
«Kreißsaal» und ein Richtungspfeil stehen auf einem Schild über einer Tür in einer Klinik.

Viele werdende Mütter erleben die Geburt als Ohnmachtserfahrung.

Am 25. November ist „Roses Revolution Day“ – ein Tag gegen Gewalt in der Geburtshilfe. Sarah Seven aus der Region berichtet von der traumatischen Geburt ihres ersten Kindes.

Es ist Karnevalssonntag, in Köln werden die letzten Kamelletüten für den Rosenmontagszug geschnürt, die Kapellen proben noch ein Mal, Perücken und Pappnasen werden im Keller zusammengesucht. In einem OP-Saal in einem kleinen Krankenhaus nahe Köln liegt Sarah Seven. Mehrere Personen drücken massiv auf ihren dicken Bauch und ihren Brustkorb. Sie bekommt keine Luft mehr, will das auch äußern, da durchbricht ein lautes Knacken die geschäftige Gemengelage. „Plötzlich haben alle von mir abgelassen, es war totenstill. Und ich habe gesagt: Ich glaube, jetzt haben Sie mir eine Rippe gebrochen.“

In welchem Krankenhaus sich die Geschichte abgespielt hat, tut hier nicht viel zur Sache. Denn Gewalt unter der Geburt, so sagen Experten, erleiden Frauen an vielen Orten. Sie ist weniger Beleg für individuelles Fehlverhalten, als vielmehr für eine Struktur, die eine Geburt als Finanzposten verbucht. Es geht um Schnelligkeit, es geht um Geld. „Eine respektvolle Versorgung“ von Gebärenden, wie sich Experten sie wünschen, zahlt auf beide Ziele nicht ein. Studien, die der Verein Mother Hood auf seiner Internetseite verlinkt, gehen davon aus, dass jede zweite werdende Mutter mindestens eine belastende Erfahrung während der Geburt macht. Ein Drittel spreche von physischen Übergriffen, ebenfalls jede Dritte von Vernachlässigung, jede Vierte von psychischer Gewalterfahrung. Dazu zählen auch abfällige Bemerkungen wie: „Stellen Sie sich nicht so an. Sie wollen doch nicht, dass ihr Kind zu Schaden kommt“, berichtet Katharina Desery von Mother Hood. Der Verein schätzt, dass mindestens jede zehnte Geburt für die Mutter ein Trauma nach sich zieht.

Es wird vorausgesetzt, dass Frauen gute Patientinnen sind, nur an ihr Kind denken und alles erleiden
Céline Miani, Professorin in Bielefeld

Ein Teil des Problems liegt möglicherweise schon im Umstand, dass verlässliche Zahlen zu Gewalt in der Geburtshilfe kaum existieren. „Es gibt wenig Daten, weil das einfach nicht abgefragt wird“, sagt Céline Miani, Professorin für Soziale und Gender Epidemiologie an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld. Andere Länder wie zum Beispiel Lateinamerika, aber auch Frankreich seien da weiter. Auch die Erwartung an Frauen und wie sie sich während einer Geburt zu verhalten hätten, führe nicht zwingend zu einer respektvollen Versorgung. „Es wird vorausgesetzt, dass Frauen gute Patientinnen sind, nur an ihr Kind denken und alles erleiden“, sagt Miani.

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Als es im Kreißsaal knackt, hat Sarah Seven schon einige unschöne Erlebnisse in der Klinik hinter sich gebracht. Dabei ist die damals 34 Jahre alte Erstgebärende nach eigenen Angaben zwei Tage zuvor noch sehr selbstbewusst und guten Mutes zur Einleitung der Geburt in die Klinik marschiert. Seit zwölf Tagen ist der errechnete Termin da schon verstrichen. Mit dem Wehenmittel sei sie dann alleine liegen gelassen worden, ihre Schmerzen habe niemand ernst genommen. „Die Pflegerin hat immer nur mit den Augen gerollt, wenn ich wieder ankam“, sagt Seven in einem Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Seven bekommt einen Gurt um den Bauch geschnallt, der angeschlossene Wehenschreiber reagiert aber nicht. Auch der Helfer aus dem Pharmazie-Schrank bringt keinerlei Erleichterung.

Das ist Körperverletzung
Katharina Desery, Mother Hood

„Irgendwann hat das Personal mich gefragt, ob ich schmerzmittelabhängig sei. Nur so könne man sich erklären, dass ich weiterhin Schmerzen hatte, obwohl der Wehenschreiber keine Wehen zeigte“, sagt Seven. Am frühen Morgen ist Seven „völlig am Ende“. „Sollten das jetzt noch keine Wehen gewesen sein, dann will ich einen Kaiserschnitt. Das halte ich nicht länger aus“, sagt sie zu ihrem Mann.

Eine Untersuchung ergibt, dass der Muttermund schon achteinhalb Zentimeter geöffnet ist. Zehn Zentimeter gelten als ausreichend, um das Babyköpfchen durchzupressen. Seven hat also die meisten Wehen tatsächlich schon hinter sich. Das Personal hatte die Lage unterschätzt.

Sarah Seven mit ihrer Tochter im Wochenbett

Sarah Seven nach der Geburt ihres zweiten Kindes. Beim ersten Mal habe sie „sechs Wochen jeden Tag geheult“.

Der kleine Junge in Sevens Bauch liegt allerdings nicht ideal, die Werte verschlechtern sich. Hebamme und Stationsärztin entscheiden: Er muss per Kaiserschnitt auf die Welt geholt werden. Ein hinzugezogener Oberarzt ist anderer Meinung: „Ich mache noch einen Versuch mit der Saugglocke, ich kann den Kopf schon sehen.“ Seven stimmt entkräftet zu, nicht ahnend, dass es gleich zu einer Geburtshilfe-Methode kommen wird, die mit medizinischen Risiken verbunden ist und deshalb beispielsweise von der WHO abgelehnt wird: Das Kristeller-Manöver. Dass der Druck auf das Gebärmutterdach in der Austrittsphase der Geburt mit militärischem Vokabular umschrieben wird, ist kein Zufall: Experten äußerten immer wieder ernsthafte Bedenken, da Mutter und Baby bei dieser Prozedur zu Schaden kommen könnten. In Sevens Fall drücken mehrere Personen von unterschiedlichen Seiten mit aller Kraft auf den Oberkörper. „Ohne Aufklärung und Einwilligung der Gebärenden ist das Körperverletzung“, sagt Desery von Mother Hood. Zusätzlich schneidet der Oberarzt während einer Presswehe mit einer Schere von der Vagina in Richtung After.

Acht Wochen, sagt Seven, habe sie unter den Rippenschmerzen gelitten, sie geht heute davon aus, dass sie sich beim Manöver eine Prellung zugezogen hat. Ein Bruch sei durch ein nachträgliches Röntgenbild nicht festgestellt worden. Auch der Dammschnitt schmerzt. Die Geburt vorangebracht haben beide Interventionen nicht. Ihr Sohn muss letztlich doch per Kaiserschnitt auf die Welt geholt werden.

Ich bin Polizistin. Ich bin tough. Ich war in Afghanistan. Es kann doch nicht sein, dass die Leute mich hier nicht ernst nehmen
Sarah Seven, Polizistin und Mutter

Sarah Seven beschreibt das Geburtserlebnis im Nachhinein als traumatisch. „Überall sieht man pastellfarbene Bilder von Mutter und Kind. Alle sind so glücklich. Ich war aber überhaupt nicht glücklich.“ Alles habe sie in Frage gestellt. Auch die Mutterschaft an sich. Sie habe sich gesorgt, ihre Partnerschaft könnte die schwere Zeit nicht überstehen. „Am schlimmsten war für mich das Gefühl, komplett fremdbestimmt und ohnmächtig zu sein. Ich habe während der gesamten Geburt gedacht: Ich bin Polizistin. Ich bin tough. Ich war in Afghanistan. Es kann doch nicht sein, dass die Leute mich hier nicht ernst nehmen.“


Der Bonner Verein Mother Hood setzt sich für eine respektvolle Geburt ein. Er betreibt das Hilfetelefon „Schwierige Geburt“.

Die bundesweite Selbsthilfeorganisation „Schatten & Licht“ berät und vernetzt Mütter, die nach einer Geburt in eine seelische Krise stürzen.


Vom Gefühl des Ausgeliefertsein sprechen auch viele der Mütter, die sich beim Beratungsangebot des Vereins Mother Hood in Bonn melden. „Viele haben das Gefühl, dass über ihren Körper entschieden wird“, sagt Katharina Desery. Geburtshelfer argumentierten oft, es müsse eben schnell gehen. „Das stimmt aber nicht. In den meisten Fällen ist für Nachfragen und Aufklärung genug Zeit.“ Bei Gebärenden handle es sich anders als oft dargestellt, auch nicht um unzurechnungsfähige Personen. „Diese Frauen können selbstbestimmt handeln, werden aber oft in ihren Patientenrechten beschnitten.“

Ein traumatischer Start und der lange Weg zu Heilung

Nach sechs Wochen täglichen Weinens gesteht sich Seven ein, dass sie professionelle Hilfe braucht. Es helfen: Eine Nachsorge-Hebamme, Psychotherapie, ein Bonding-Bad, um das verpasste positive Geburtserlebnis nachzuholen, viele Gespräche, viele Tränen, ein Brief an das Neugeborene. Der Weg zur Heilung ist lang. Und noch heute fürchtet Seven, dass der traumatische Start auch ihren Sohn belastet. Er ist heute sieben Jahre alt und leidet unter ausgeprägter Trennungsangst. „Der Gedanke, dass unser Verhältnis durch die schwere Geburt nicht optimal ist, lässt mich nicht los.“

Als ihr Sohn ein halbes Jahr alt ist, legt Sarah Seven einen Brief und eine Rose vor den Kreißsaal des Krankenhauses, in dem er an jenem Karnevalssonntag zur Welt kam. Sie beschreibt darin ihre Erfahrungen, klagt nicht an, sondern wirbt um Verständnis für kommende Gebärende. Eine Antwort erhält sie nicht.

Dennoch ist da die Hoffnung, dass sich die so traditionsreiche Geburtshilfe im Wandel befindet. „Die jungen, gut ausgebildeten Frauen lassen derlei Erfahrungen nicht mehr auf sich sitzen. Wir sind heute mutiger.“ Ins Leben gerufen wurden Selbsthilfegruppen oder der Verein „Schatten & Licht“, eine Selbsthilfeorganisation zu peripartalen psychischen Erkrankungen. Professorin Céline Miani hat für ihre Forschung zu Gender und Gesundheit, bzw. Gewalterfahrungen von Patientinnen in der Geburtshilfe und medizinischen Versorgung gerade den Rita-Süssmuth-Forschungspreis erhalten. Auch Katharina Desery von Mother Hood aus Bonn nimmt eine Veränderung wahr: „Heute sprechen auch Gynäkologinnen und Gynäkologen von Frauenzentrierter Geburtshilfe, Nachwuchshebammen haben einen ganz anderen Blick auf Frauenrechte, es gibt entsprechende Fortbildungen und auch manche Kliniken bieten Gespräche für Frauen nach schwierigen Geburtserfahrungen an.“

Zu einem dieser Häuser gehört auch das Krankenhaus der Augustinerinnen in Köln. Sarah Seven hat dort ihre heute drei Jahre alte Tochter per Kaisergeburt zur Welt gebracht. Sie zeigt ein Bild, aufgenommen im Wochenbett und lächelt: „Da war ich dann die pastellfarbene, glückliche Mama.“