Angst vor StrahlungWeshalb das Hamstern von Jodtabletten nutzlos und unsozial ist
Köln – Aus Angst vor einem nuklearen Zwischenfall ist seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine die Nachfrage nach Jodtabletten hierzulande explodiert. In Nordrhein-Westfalen sind die Medikamente zeitweise nicht lieferbar. Grund für die Hamstereinkäufe ist die so genannte Jod-Blockade, die verhindern soll, dass sich radioaktives Jod in der Schilddrüse einlagert, was nur mit hochdosierten Tabletten funktioniert. Und nur, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt eingenommen werden. Vorbeugend ist das aber nicht nur unnötig, es ist auch ungesund und unsozial, sagen die Verbraucherzentralen und Katastrophenschutz-Experten. Wir erklären warum.
Was ist eine Jodblockade?
Über die Atemluft, über Nahrung und Getränke nimmt die Schilddrüse Jod auf, das sie für die Produktion von lebenswichtigen Hormonen braucht. Dieses natürliche Jod aus der Natur ist nicht radioaktiv. Radioaktives Jod entsteht im Kernkraftwerk bei der Kernspaltung in gasförmigem Zustand. Im Fall eines Reaktorunfalls kann dieses radioaktive Jod in die Luft und anschließend über die Böden und Pflanzen in Nahrungsmittel, vor allem Milch, geraten. Es kann aber auch mit der Atemluft aufgenommen und in den Lungen resorbiert werden. Nach der Aufnahme über die Lunge oder der Resorption im Magen verhält sich das radioaktive Jod genauso wie natürliches Jod. Es wird über das Blut in die Speicheldrüsen und die Magenschleimhaut transportiert, reichert sich dort vorübergehend an und gelangt schließlich in die Schilddrüse, wo es bis zu 80 Tage gespeichert wird. Die von ihm ausgehende Strahlung kann die Wahrscheinlichkeit für Schilddrüsenkrebs erhöhen.
Welche Jodtabletten helfen, und wann?
Werden jedoch kurz vor oder kurz nach der Aufnahme des radioaktiven Jods Tabletten mit einer hohen Konzentration nicht-radioaktiven Jods eingenommen, wird die Schilddrüse mit diesem „gesunden“ Jod gesättigt und kann kein radioaktives Jod mehr aufnehmen. Die „Jodblockade“ verhindert also die Einlagerung des radioaktiven Jods in der Schilddrüse. Das noch im Blutplasma zirkulierende, nicht in der Schilddrüse gespeicherte Jod wird über die Nieren schnell wieder ausgeschieden. Werden die Tabletten aber zu früh eingenommen, wird das nicht-radioaktive Jod ausgeschieden, bevor es überhaupt gebraucht wird. Werden die Tabletten zu spät verabreicht, kann sich radioaktives Jod in der Schilddrüse anreichern, bevor die Blockade funktioniert.
Macht es einen Unterschied, ob ich das radioaktive Jod via Luft oder Nahrung zu mir nehme?
Kommt es zur Aufnahme sehr großer Mengen von radioaktivem Jod in die Schilddrüse, kann die davon ausgehende Strahlung zum Absterben von Gewebe führen und damit zu einer nach Wochen bis Monaten entstehenden Schilddrüsenunterfunktion. Radioaktives Jod kann mit der Luft über größere Entfernungen verfrachtet werden und so – in geringeren Mengen – von der Bevölkerung aufgenommen, sprich: inhaliert, werden.
Gelangt es über die Nahrung, insbesondere über kontaminierte Milch in die Schilddrüse, ist die Strahlendosis in der Regel zu gering, um eine Schilddrüsenunterfunktion zu verursachen. Die Strahlung des radioaktiven Jods führt dann in nicht zum Absterben von Gewebe, sondern kann in den weiterlebenden Zellen Mutationen bilden, die zu Schilddrüsenkrebs führen können.
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Hochdosierte Jodtabletten schützen ausschließlich vor der Aufnahme von radioaktivem Jod in die Schilddrüse, nicht vor Strahlung, die von außerhalb den Körper trifft, oder vor der Wirkung anderer radioaktiver Stoffe außer Jod, die in den Körper aufgenommen worden sind.
Wer ist besonders gefährdet?
Besonders empfindlich sind Ungeborene ab dem dritten Schwangerschaftsmonat, Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr.
Sollte man Jod vorbeugend einnehmen?
Sowohl das Bundesamt für Strahlenschutz, die Apothekenkammer wie auch die Verbraucherzentralen raten dringend von einer Prophylaxe, also der vorbeugenden Einnahme von Jodtabletten ohne ärztliche Absprache ab. Denn das ist weder nötig, noch sinnvoll, kann sogar die Gesundheit gefährden, denn ein dauerhafter Jodüberschuss kann laut Bundesinstitut für Risikobewertung zu einer Vergrößerung der Schilddrüse oder lebensbedrohlichen Entgleisung des Stoffwechsels führen.
Außerdem sind die klassischen Jodmedikamente für Schilddrüsenpatienten gedacht, die jetzt nicht mehr versorgt werden können. Hinzukommt, dass einzig sehr hoch dosierte Jodtabletten bei einer nuklearen Katastrophe vor Schilddrüsenkrebs schützen. Sie müssen das 100- bis 1000fache der normalen täglichen Jod-Zufuhr über die Nahrung beinhalten, also rund 130 Milligramm pro Tag. Die in der Apotheke erhältlichen Tabletten sind aber dafür viel zu niedrig dosiert mit etwa 100 oder 200 Mikrogramm.
Wer entscheidet, wann wir Jod einnehmen sollten?
Das Bundesamt für Strahlenschutz betreibt deutschlandweit 1700 Messstationen, um die Radioaktivität in der Luft zu bestimmen und im Ernstfall die Bevölkerung rechtzeitig informieren zu können, wenn die Einnahme von Jodtabletten nötig sein sollte. In Deutschland werden für diesen Fall 189,5 Millionen Einheiten vorgehalten. Bis zu einer Entfernung von 100 Kilometern im Umkreis eines Kernkraftwerkes erhalten Personen bis 45 Jahre, darüber hinaus Schwangere, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre im gesamten Bundesgebiet diese Tabletten. Zur Einnahme werden die entsprechenden Personengruppen durch die Katastrophenschutzbehörden explizit aufgefordert.
Gab es schon einmal eine staatlich verordnete Jodblockade?
Der Reaktorunfall von Tschernobyl war der einzige Unfall in einem Kernkraftwerk, der eine Jodblockade zum Schutz der Bevölkerung erforderte. In Polen, dessen Bevölkerung damals vom Durchzug der radioaktiven Wolke besonders betroffen war, wurde beschlossen, nicht-radioaktives Jod vor allem an Kinder zu verteilen. 10,5 Millionen Jungen und Mädchen sowie sieben Millionen Erwachsene wurden mit Jod behandelt, die positive Wirkung konnte durch Nachuntersuchungen bestätigt werden. Bei den behandelten Personen gab es keinen Anstieg der Schilddrüsenkrebshäufigkeit. In Weißrussland hingegen, wo es keine Jodblockade gab, ist nach der Katastrophe Schilddrüsenkrebs bei Kindern hundertmal häufiger aufgetreten. (mit dpa)