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Kinderarzt im Interview„Von einer Durchseuchung in Schulen kann man nicht sprechen“

Lesezeit 7 Minuten
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Grundschüler machen vor Unterrichtsbeginn einen Schnelltest.

  1. Prof. Jörg Dötsch leitet die Kinderklinik der Kölner Uniklinik
  2. Im Interview spricht er sich für die Beibehaltung der Präsenzpflicht in Schulen aus.
  3. Zudem spricht er über die Gefährlichkeit von Omikron bei Kindern, über PIMS und geeignete Schutzmaßnahmen.

Herr Professor Dötsch, fangen wir mit der wichtigsten Frage an: Wie gefährlich ist Omikron für Kinder?Dötsch: Das Risiko, dass ein infiziertes Kind ins Krankenhaus muss, beträgt etwa ein Drittel des Risikos unter Delta. Weil die Inzidenzen aber sehr hoch sind, kommen insgesamt trotzdem mehr Kinder ins Krankenhaus. Viele Kinder haben zum Glück nur einen positiven Abstrich. Ungefähr ein Drittel der Kinder in der Uniklinik mit positivem Abstrich ist wegen Covid-19 dort, zwei Drittel wegen einer anderen Erkrankung.

Anfangs zeigten Daten aus Südafrika, dass gerade kleine Kinder mit Omikron häufiger ins Krankenhaus kommen. Ist dies hier in Deutschland also nicht der Fall?

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Professor Jörg Dötsch von der Uniklinik Köln

Nein, das hat sich zum Glück nicht bestätigt. Kleine Kinder sind seit Beginn der Pandemie die Gruppe, die am häufigsten mit Corona ins Krankenhaus kommt, weil ihre Atemwege noch enger sind. Dadurch können sie leichter zuschwellen. Die Auswertungen der Daten aus Südafrika zeigten jedoch zwei Dinge: Erstens hat die Omikronwelle bei den kleinen Kindern angefangen, deshalb dachte man anfangs, diese Variante betrifft sie besonders stark. Aber kurz darauf kamen auch Ältere in die Klinik. Zweitens kamen auch in Südafrika viele Kinder wegen einer anderen Ursache in die Klinik und hatten nur einen positiven Abstrich – genau wie bei uns.

Was sind die klassischen Omikron-Symptome bei Kindern?

Im Wesentlichen Erkältungssymptome. Husten, Schnupfen, zugeschwollene Bronchien – da verhält sich das SARS-COV-2-Virus ganz ähnlich wie andere Erreger von Atemwegserkrankungen.

Ist Omikron Ihrer Ansicht nach gefährlich genug, um die Präsenzpflicht auszusetzen?

Auf keinen Fall. Wir haben uns im Expertenrat der Bundesregierung dazu geäußert, dass erst, nachdem alle gesamtgesellschaftlichen Möglichkeiten der Kontaktbeschränkung ausgeschöpft sind, eine Schulschließung in Erwägung gezogen werden sollte. Die Kinder haben in der Pandemie so gelitten, deshalb hat der Expertenrat einstimmig beschlossen: Das Kindeswohl hat hohe Priorität. Das Aussetzen der Präsenzpflicht geht oft zulasten der ärmeren Bevölkerung, die sich einen Ersatz für die ausfallende Schule nicht leisten kann.

Kritiker der Präsenzpflicht sprechen von einer Durchseuchung in den Schulen.

Ich bin kein Freund des schwarz-weiß-Denkens. Bei einer Durchseuchung würden wir etablierte Hygieneregeln fallen lassen, wie Abstand halten, Masken und Lüften. Wir haben eindeutige Daten, die zeigen, dass die Ansteckungsgefahr in Schulen auch bei infektiöseren Varianten vor Omikron gleichblieb, während sie in den Haushalten stark stieg. Grund dafür sind die Lehrerinnen und Lehrer, die Schulleitungen, die Schülerinnen und Schüler, die sich meist sehr diszipliniert an die Maßnahmen gehalten habe. Sie haben ihre Tests gemacht – übrigens viel konsequenter als die meisten von uns Erwachsenen – ihre Masken aufbehalten, sie haben gelüftet. Es ist daher nicht richtig, von einer Durchseuchung zu sprechen. Die hohen Inzidenzzahlen in den Schulen liegen zum einen daran, dass dort bislang sehr gründlich getestet wurde, viel umfassender als bei den meisten Erwachsenen. Zum anderen natürlich an der Impfung, die bei Kindern und Jugendlichen deutlich später möglich wurde.

Welche Schutzmaßnahmen für Kinder an Schulen – sowohl physisch als auch psychisch – empfehlen Sie?

Die bewährten Schutzmaßnahmen sollten nicht zu früh beendet werden. Wir lockern ja derzeit schon die Kontaktbeschränkungen und wir wissen z.B. aus der Medizin: Man sollte nie zwei Maßnahmen gleichzeitig absetzen, um nicht den Überblick über die Folgen jeder einzelnen Aktion zu verlieren. Deshalb wäre es sinnvoll, Maskenpflicht und die Tests in Schulen nacheinander und nicht gleichzeitig auf den Prüfstand zu stellen.

Ganz böse gefragt: Wenn Omikron für Kinder nicht so gefährlich ist, würde eine Durchseuchung doch zu einer höheren Immunität in der Bevölkerung und einem schnelleren Ende der Pandemie führen, oder?

Nein. Zum einen möchten wir jedem Kind eine Erkrankung ersparen, selbst wenn sie zum Glück meist nicht schwer verläuft. Zum anderen: Omikron schützt gegen Omikron, Delta beispielweise kann man trotzdem bekommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass alte oder neue Varianten im Herbst wiederkommen, ist sehr hoch. Außerdem wissen wir ja, wie gut es war, dass wir aus der Omikron-Wand eine Welle gemacht haben. Jede Erkrankung ist unangenehm. Ich finde es nicht vertretbar zu sagen: Nur, weil Omikron weniger gefährlich ist, muten wir dies den Kindern zu, die mit Omikron ins Krankenhaus kommen.

Bei anderen Virusvarianten erkrankten Kinder nach einer Infektion vereinzelt an der Multi-Entzündungskrankheit PIMS. Gilt das auch für Omikron?

Aus anderen Ländern wissen wir, dass auch nach Omikron PIMS-Fälle auftreten. Ob diese Fälle genauso häufig sind wie bei den anderen Varianten, wissen wir nicht. PIMS äußert sich durch Fieber, Abgeschlagenheit, Gelenkschmerzen und Hautausschlägen ohne sonstige Infektionsanzeichen. Normalerweise betrifft PIMS eher ältere Kinder und Jugendliche, bei sehr kleinen Kindern ist die Krankheit selten. Auch deshalb sollten sich Kinder und Jugendliche wenn möglich unbedingt impfen lassen – das schützt sie nach neusten Untersuchungen auch vor PIMS.

Wie viele Kinder sind seit Beginn der Pandemie an PIMS erkrankt?

Wir haben ein freiwilliges Melderegister für PIMS bei der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie. In Deutschland wurden bislang etwas über 700 Kinder gemeldet, wobei man davon ausgeht, dass nur 50 bis 60 Prozent der Fälle erfasst wurden. Dem stehen 2,1 Millionen positive Abstriche bei Kindern und Jugendlichen gegenüber – wobei man auch hier von einer hohen Dunkelziffer ausgeht. Wenn man das ins Verhältnis setzt, erkrankt circa eines von 3000 infizierten Kindern an PIMS. Die Dänen kamen in ihren Untersuchungen auf ein betroffenes Kind von 4000.

Wie viele Kinder sind seit Beginn der Pandemie an PIMS und Corona gestorben?

An das Register wurde bislang kein Kind gemeldet, das an PIMS gestorben ist. Im Rahmen von Corona sind zwischen 40 und 50 Kindern gestorben, meist mir schweren Vorerkrankungen. Häufig konnte man nicht ganz auseinanderhalten, ob ein Kind an der Covid-19 Erkrankung oder mit einem positiven SARS-COV-2-Abstrich gestorben ist. Einige der verstorbenen Kinder infizierten sich zudem in einem palliativen Stadium, sie waren also schon todkrank. Jedes tote Kind ist natürlich eines zu viel.

Schließen Sie sich der Empfehlung der Stiko für Fünf- bis Elfjährige an?

Ja, das tue ich. Die Stiko sagt ja nicht: Wir empfehlen, dass gesunde Kinder nicht geimpft werden. Wenn Eltern mir sagen, sie würden ihr Kind gerne schützen und halten die Impfung für sinnvoll, dann rate ich ihnen zur Impfung. Wenn sie aber sagen: Ich habe riesige Angst davor, dass meinem Kind dadurch etwas zustößt und ich dafür verantwortlich bin – dann nehme ist dies als persönliche Angst der Eltern auf. In dem Fall rate ich, auf eine allgemeine Stiko-Empfehlung zu warten. Ich hoffe sehr, dass bald genügend Daten vorliegen, die der Stiko diese allgemeine Impfempfehlung ermöglichen.

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Auch aus Sorge vor PIMS lassen manche Eltern ihre unter-fünfjährigen Kinder Off-Label impfen. Was würden Sie Eltern raten, die eine solche Off-Label-Impfung erwägen?

PIMS unter fünf Jahren ist ganz selten. Die Impfung unter fünf Jahren war leider bislang nicht erfolgreich, zumindest nicht nach den ersten zwei Impfdosen. Die US-amerikanische Behörde FDA hat den Zulassungsprozess deshalb gestoppt. Ich würde Eltern eine Off-Label-Impfung nicht empfehlen, bevor der Nutzen erwiesen ist. Bei Off-Label-Impfungen weiß man außerdem nicht, welche Dosis die Richtige ist.

Sie sagten vorhin, Long Covid trete eher bei Jugendlichen als bei Kindern auf. Wie häufig ist Long Covid bei Kindern?

Long Covid im Kindesalter ist sehr selten. In den Kölner Kliniken wurden 25 bis 30 Kinder mit dem Verdacht auf Long Covid untersucht, die allermeisten waren Jugendliche. Die Symptome sind aber auch oft sehr schwer abzugrenzen: Depressionen, Zurückgezogenheit, der Verlust an Lebensfreude sind auch häufig generelle Folgen der Pandemie.

Eine Studie aus den USA gibt Hinweise darauf, dass Kinder nach Corona häufiger an Diabetes Typ 1 erkranken. Sehen Sie hier einen relevanten Zusammenhang?

Die Studie ist in der Kritik, weil 25 Prozent der Kinder Typ 2 Diabetes hatten, was überwiegend durch Übergewicht und Bewegungsmangel ausgelöst wird. Es gibt auch eine Studie aus Deutschland, die einen leichten Anstieg an Diabetes Typ 1 feststellte. Die Interpretation dieser Daten ist jedoch schwierig, zumal wir schon seit vielen Jahren einen unklaren Anstieg der Typ 1 Diabeteszahlen sehen. Wir wissen nicht, was den Typ 1 Diabetes auslöst, aber es muss eine immunologische Ursache sein. Ob dies aber beispielweise zu viele Infektionen oder zu wenige sind, ist unbekannt, und muss weiter erforscht werden. Daher finde ich es wichtiger, dass Eltern die Symptome von Diabetes rechtzeitig erkennen: Kinder mit Diabetes entwickeln mehr Durst, sie haben mehr Urin und verlieren Gewicht. Irgendwann kommt aus ihrem Mund ein eher unangenehmer Aceton-Geruch. Spätestens dann muss das Kind dringend in eine Klinik.