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Kölner Moderatorin Katty Salié„Ich habe mich nicht mehr so allein und eigenartig gefühlt“

Lesezeit 11 Minuten
Die Journalistin Katty Sallié guckt in die Kamera und lächelt.

Die Journalistin Katty Salié hat ein sehr persönliches Buch über Depressionen geschrieben.

Salié hat mit „Das andere Gesicht“ ein persönliches Buch über Depressionen geschrieben. Ein Gespräch über Trauer, Mut und die Rettung Karneval.

Katty Salié ist bekannt als Moderatorin der ZDF-Kultursendung „Aspekte“. Die in Köln lebende Journalistin schreibt in ihrem neuen Buch „Das andere Gesicht – Depressionen im Rampenlicht“ sehr persönlich über eigene Erfahrungen mit Depression. Außerdem hat die 48-Jährige für ihr Debüt prominente Menschen wie die Komiker Torsten Sträter und Atze Schröder sowie die Autorin Sophie Passmann zu deren Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen interviewt. Ein Gespräch.

In diesem Interview geht es um Depressionen. Wenn es Ihnen nicht gut geht, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie sich melden können. Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222. Das Infotelefon der Deutschen Depressionshilfe erreichen Sie kostenlos unter 0800/33 44 5 33.


Frau Salié, Sie haben im Frühjahr 2020 neun Wochen in einer Klinik verbracht. Die Diagnose: eine mittelgradige depressive Episode und eine posttraumatische Belastungsstörung. Was ist da in Ihrem Leben zusammengekommen?

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Eine Depression kann viele Ursachen haben, genetische etwa, oder ein Mangel an Resilienz. Auch das soziale Umfeld spielt eine Rolle: Bin ich arm? Habe ich Unterstützung, oder bin ich allein? Ursache kann auch eine sogenannte Komorbidität wie eine Angststörung sein. Und dann gibt es Auslöser für eine depressive Erkrankung, zum Beispiel Einschläge in der Biografie. Bei mir war das Fass irgendwann voll.

Inwiefern?

Mein Bruder war alkoholkrank, hat dann noch eine Medikamentensucht entwickelt und ist 2015 daran gestorben. Das war entsetzlich für mich. Drei Jahre später ist mein Nachbarskind tödlich verunfallt. Ich war dabei und habe eine posttraumatische Belastungsstörung davongetragen, die aber erst ein Jahr später ausbrach, nachdem auch mein Vater gestorben ist. Ich bin totales Vaterkind. Nach diesem Konglomerat an Auslösern ist mir klar geworden: Irgendetwas ist stimmungstechnisch bei mir sehr anders, als ich es sonst kenne.

Woher weiß man, ob der Zustand, in dem man sich befindet, noch normale Trauer ist oder schon eine Depression?

Ich bin eigentlich nah am Wasser gebaut, supersensibel und emphatisch. Genau das aber war weg. Ich habe mir eine Woche Trauer um meinen Vater erlaubt, danach sofort weitergearbeitet. Ich habe einfach verdrängt. Und dann bin ich in so ein Nicht-Fühlen reingerutscht. Ich habe gar nichts gespürt, mich wie runtergedimmt gefühlt. Zwischendurch konnten mich aber plötzlich Sachen auf die Palme bringen, als ob ein Regler schlagartig nach oben gerissen würde. Ich habe mich selbst nicht wiedererkannt.

Wie äußert sich eine posttraumatische Belastungsstörung?

Das ist sehr individuell, aber bei mir hat sich das so gezeigt, dass alle Gefühle wie verkapselt waren. Da es ein Unfall mit einem Lastwagen war, hatte ich plötzlich körperliche Reaktionen, wenn ein Laster an mir vorbeigefahren oder rückwärtsgefahren ist und gepiept hat. Ich hatte sofort das Gefühl: Gleich ist jemand tot. Das ist extrem anstrengend für Körper und Geist.

Sie haben für Ihren Zustand damals Scham empfunden. Warum?

Ich bin so sozialisiert worden, dass jemand, der psychisch krank ist, ein bisschen irre ist. Heute denke ich das natürlich nicht mehr, aber damals dachte ich: Ich stelle mich an, ich bin wehleidig, so Mimimi, wie ich das gerne nenne. Daher kam die Scham. Ich wollte niemanden belasten, fand es selbst total anstrengend, ich zu sein.

Torsten Sträter bei seinem Auftritt in der Lanxess-Arena 2023 in Köln

Torsten Sträter bei seinem Auftritt in der Lanxess-Arena 2023 in Köln

Sie sprechen in Ihrem Buch mit prominenten Menschen wie dem Komiker Torsten Sträter, der seine Depression schon länger publik gemacht hat. Für Sie als Betroffene waren diese öffentlichen Vorbilder sehr wichtig. Warum?

Ich habe mich nicht mehr so allein und eigenartig gefühlt. Für mich war es wichtig zu sehen, dass die Krankheit so viele Menschen betrifft. Und eben auch Leute, die ähnliche Jobs haben wie ich und in der Öffentlichkeit stehen. Torsten Sträter tritt in ausverkauften Hallen auf. Das schafft er trotz seiner Depression. Das hat mir Mut gemacht und ich hoffe, dass mein Buch auch anderen Mut machen kann.

Depression gibt es in unterschiedlichen Varianten, Sie nennen sich eine „hochfunktionale Depressive“. Was bedeutet das?

Dass man sehr wohl sein Tagwerk verrichtet während einer depressiven Episode, es sich aber - wie auch Sophie Passmann sagt- wie eine „leere“ Verrichtung anfühlt: sinn- und freudlos. Diese Variante betrifft sehr viele Leute. Man kriegt die Arbeit hin und kann so die Fassade aufrechterhalten. Derart Betroffene sind sehr zuverlässige Arbeitnehmer, genau das Gegenteil, was depressiv Erkrankten oft unterstellt wird: dass wir ständig ausfallen und depressiv auf dem Sofa liegen bleiben. Natürlich gibt es aber auch diese schwere Form von Depression, wo man einfach nicht mehr vom Sofa hochkommt. Das ist für viele Außenstehende ganz schwer nachvollziehbar, weil die Krankheit unsichtbar ist. Man hat eben nicht zwei gebrochene Beine.

Sie sprechen auch mit Teresa Enke, deren Mann und Fußballer Robert sich 2009 umgebracht hat. Sie sagt, damals habe man über die Krankheit Depression kaum öffentlich gesprochen. Dabei ist 2009 noch gar nicht so lang her.

Im Fußball-Profisport dauern viele Dinge ja doch ein bisschen länger, Stichwort Homophobie. Teresa sagt, dass ihr Mann, wäre er ein paar Jahre später erkrankt, vielleicht nicht hätte sterben müssen, weil das Stigma kleiner gewesen wäre und auch sie selbst vielleicht besser gewusst hätte, wie sie mit der Krankheit umgehen soll. Das hat mich sehr berührt.

Ihr Buch heißt „Das andere Gesicht“. Was ist das andere Gesicht?

Ich bin per se ein total fröhlicher Mensch, aber es gibt eben auch noch dieses andere Gesicht, das mich manchmal im Spiegel anguckt und vor dem ich mich zunächst selbst erschrocken habe. Ich wollte es nicht haben, weil ich es einfach nur furchtbar doof und anstrengend fand. Ich wollte lieber weiter diese fröhliche, total gut funktionierende Person, Mutter, Journalistin, Frau und Freundin sein.

Ihre Agentin hat Sie gefragt, ob Sie sich durch das Buch wirklich dauerhaft mit dem Thema assoziieren lassen wollen.

Die Frage hat mich eher bockig gemacht. Denn die Depression ist sowieso mit mir verbunden. Wenn ich das jetzt weiter mit mir rumschleppe, aber die ganze Zeit darüber schweige, helfe ich niemanden. Ich wollte mich lieber einreihen bei denen, die den Mund aufmachen und die Depression als das vertreten, was sie ist: eine Krankheit. Gegen die man etwas tun kann: Depression ist heilbar und therapierbar, auch wenn sie nicht alle für immer loswerden.

Werden Depression noch stigmatisiert?

Leider ja. In meiner Blase der Medienschaffenden gibt es zwar vermehrt die Annahme, dass das Stigma jetzt so langsam aber auch mal passé ist und man total offen darüber reden kann. Für die meisten Menschen ist es, glaube ich, aber immer noch super schwer darüber zu reden, nicht zuletzt vor dem Arbeitgeber. Man hat ja massive Ängste, nicht mehr nützlich zu sein, aufs Abstellgleis geschoben zu werden.

Studien gehen von 5,3 Millionen Menschen in Deutschland aus, die im Laufe eines Jahres an einer Depressionen erkranken. Es gibt längst nicht genügend Therapieplätze. Was bedeutet das für Betroffene?

An der Schule meiner Tochter gibt es ein magersüchtiges Mädchen. Während der Pandemie ist es an der Uniklinik behandelt worden, hat aber keine Anschlusstherapie gefunden. Jetzt liegt sie wieder in der Uniklinik, im schlimmsten Fall kann sie verhungern. Das macht es für mich sehr konkret: Menschen können sterben, wenn es keine ausreichenden Therapieplätze gibt. Depressionen sind der häufigste Grund für einen Suizid. 9200 Menschen nehmen sich jedes Jahr in Deutschland das Leben, was auch daran liegt, dass Therapieangebote fehlen.

Wenn man ganz nüchtern auf die Zahlen schaut: Ein Klinikaufenthalt kostet das Gesundheits-System deutlich mehr als ein Therapieplatz.

Definitiv. Depression ist auch einer der Hauptgründe für Frühverrentung. Da geht den Arbeitgebern viel an Ressourcen durch die Lappen, um es mal ganz lapidar zu formulieren. Das lässt mich verzweifeln. Ich bin darum sehr dankbar für Initiativen wie #22WochenWarten der Deutschen Depressionsliga, die dafür kämpft, dass die Bedarfsplanungsrichtlinie an die heutigen Bedürfnisse angepasst wird, damit mehr Kassensitze zugelassen werden. Die Reform der Bedarfsplanung steht auch im Koalitionsvertrag unserer Regierung, ist aber noch nicht umgesetzt worden.

Gibt es Berufe, die besonders häufig betroffen sind?

Statistisch kann ich das nicht sagen, aber in meiner Klinik habe ich viele Lehrer und Lehrerinnen getroffen. Das fand ich erschreckend. Die sind zwar durch die Verbeamtung finanziell abgesichert im Gegensatz zu vielen Selbständigen und Künstlern, aber sie leiden an Erschöpfungsdepressionen, weil sie komplett überlastet sind durch das heutige System. Sie müssen nicht nur Lehrerin sein, sondern auch Pädagogin und Psychologin, gerade in der Coronazeit. Dazu kommen oft Eltern, die entweder gar nicht oder übermäßig anwesend sind, wenn es um Probleme geht, die ihre Kinder betreffen.

Es geht sehr leicht, depressiv Erkrankten ein schlechtes Gewissen zu machen – auch ohne, dass man das will
Katty Salié

Für das Frühjahr 2020 war Ihnen ein Klinikplatz zugesagt worden – der wegen Corona nicht mehr zur Verfügung stand. Sie haben es trotzdem geschafft, einen Monat später einen Therapieplatz in einer Klinik zu bekommen.

Das war die Meisterleistung einer sehr guten Freundin von mir, die mit der Klinik gesprochen und mit meiner Krankenkasse verhandelt hat. Gute Freunde sind sehr wichtig für depressive Menschen, weil sich diese Antriebsarmut durchzieht und man sich sehr wenig zutraut. Trotzdem habe ich den Platz nur bekommen, weil ein Patient wegen Covid nicht antreten konnte. Sonst hätte ich wahrscheinlich noch viele Monate warten müssen – was für sehr viele Betroffene Realität ist.

In der Klinik haben Sie Musik-, Kunst und Bewegungstherapie gemacht. Das volle Klischee?

Nun ja, man hat die einschlägigen Filme im Kopf, die das aufs Korn nehmen. Entsprechend hatte ich Sorge, ob diese Angebote und ich zueinander passen. Und ich hatte Angst, dass ich mir vielleicht doch alles einbilde und in Wirklichkeit gar nicht krank genug bin für die Klinik. Am Anfang der Musiktherapie kam es mir noch doof vor, auf Klanghölzchen rumzuklackern, aber dann war es total toll. Auch die Kunsttherapie war toll, obwohl ich denke, dass ich gar nicht malen kann. Aus mir floss es nur so raus, sowohl die Tränen als auch Farbe aufs Papier. Am Ende sind aus vier Wochen neun geworden.

Für Angehörige muss es schwer sein, wenn Betroffene sich zu nichts aufraffen können.

Das macht hilflos, definitiv. Trotzdem muss man als gesunde Person damit umgehen. Der Erkrankte darf nicht das Gefühl bekommen, dass er sich schuldig fühlen muss, weil er ein Hilfsangebot nicht angenommen hat. Es geht sehr leicht, depressiv Erkrankten ein schlechtes Gewissen zu machen – auch ohne, dass man das will. Um mal die schwarze Brille als Bild zu bemühen: Wenn man die aufhat, ist halt alles schwarz, alles wird negativ gewertet.

Wie gehe ich bestmöglich mit jemandem um, der es gerade nicht einmal schafft, Lebensmittel einkaufen zu gehen?

Erst einmal fragen, was ihn davon abhält. Und wenn er sagt, er kann es einfach nicht, nicht weiter bohren oder Ratschläge geben nach dem Motto: Ruh dich erst mal eine Stunde aus. Anbieten, etwas mitzubringen. Vor allem aber gut zureden, so dass er sich professionelle Hilfe sucht. Denn als Angehöriger kann man Hilfe nicht alleine leisten, da müssen Profis ran. Weshalb es so wichtig wäre, dass es viel mehr Kassenplätze für Therapien gibt. Da ist die Politik dringend gefordert.

Ich komme aus Salzgitter, Köln ist alles, was ich mir immer gewünscht habe
Katty Salié

Wie haben Sie sich nach Ihrem Klinik-Aufenthalt selbst helfen können, stabil zu bleiben?

Selbstfürsorge ist wichtig. Das heißt nicht, dass man sich nur noch um sich selbst dreht. Aber genau wie im Flugzeug, wo man auch erst sich selbst und dann erst dem Kind die Sauerstoffmaske aufsetzt, muss man erst einmal dafür sorgen, dass man handlungsfähig bleibt. Von Atze Schröder, mit dem ich auch im Buch spreche, habe ich mir ein schönes Bild gemerkt: Wenn amerikanische Büffel einen Gewittersturm aufziehen sehen, rennen sie ihm entgegen und mitten durch – weil sie dann schneller wieder raus sind. Auch das ist Achtsamkeit: Merken, wenn ein Sturm kommt, und dann in den Mist reinrennen – nicht weglaufen. Das kann man in vielen Lebenslagen gut beherzigen.

„Der Kölner Karneval hat mich schon oft gerettet“, schreiben Sie im Nachwort. Wie hat er Sie gerettet?

Ich komme aus Salzgitter, Köln ist alles, was ich mir immer gewünscht habe. Die Menschen hier sind wahnsinnig nett und offen. Und wie toll ist es bitte, dass man über Wochen und Monate verkleidet sein kann? Wenn meine Berliner Kollegen und Kolleginnen behaupten, es ginge nur ums Saufen, haben sie unrecht. Ich habe auch schon schwanger Karneval gefeiert. Hauptsache, man ist verkleidet und alle liegen sich in den Armen. Als mein Bruder gestorben ist, war gerade Karneval und ich habe „Alle Jläser huh“ von Kasalla gehört. Dieses Lied hat mich durch die Trauer getragen.

Zur Person

Katty Salié, geboren 1975 in Salzgitter, wohnt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Köln. Bekannt wurde sie als Moderatorin für viele verschiedene Radio- und Fernsehsender. Seit 2012 moderiert sie das ZDF-Kulturmagazin „Aspekte“. Ihr Buch „Das andere Gesicht – Depressionen im Rampenlicht“ ist bei Kiepenheuer und Witsch erschienen.