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Medica in DüsseldorfWarum lange Ladezeiten der Digitalen Patientenakte zu schaffen machen könnten

Lesezeit 4 Minuten
Eine Frau in weißem Kittel eilt an einem Medica-Plakat vorbei.

Ein Diskussionsthema der Medica: Wie kann die Digitalisierung die Medizin verbessern?

Ab Mitte Januar bekommen alle gesetzlich Versicherten eine digitale Patientenakte. Was bedeutet das und wie gut sind die Arztpraxen vorbereitet?

Überweisungszettel, Rezepte auf Papier, Leitz-Ordner voller Arztbriefe – das Gesundheitssystem galt lange als gegen jeden Digitalisierungsfortschritt immun. Langsam ändert sich das. Der sogenannte „gelbe Schein“ zur Krankschreibung verschwand vor knapp eineinhalb Jahren, das E-Rezept folgte zum Jahresanfang. Nun startet Mitte Januar die Digitale Patientenakte für alle. Was bedeutet das? Und sind die Arztpraxen auf die Modernisierungen gut vorbereitet? Beim Econ-Forum der Techniker Krankenkasse auf der Gesundheitsmesse Medica in Düsseldorf ging es um Antworten.

Wer bekommt am 15. Januar eine Digitale Patientenakte?

Alle gesetzlich Versicherten, die nicht Widerspruch einlegen. Widersprechen kann man bei der Krankenkasse über die App, aber auch per Mail, Brief oder Telefon. Es ist auch möglich, nur gegen die Verwendung der Daten für Forschungszwecke zu stimmen.

Kann ich die Digitale Patientenakte auch dann nutzen, wenn ich selbst kein Smartphone habe?

Ja, versichert Rainer Höfer vom GKV-Spitzenverband. „Daten können auch ganz ohne das Zutun des Patienten gesammelt und bereitgestellt werden.“

Wer kann in die Akte schreiben?

Alle leistungserbringenden Ärzte hinterlassen dort Informationen zu Medikationen oder Therapien. Die Krankenkassen fügen Abrechnungsdaten hinzu, einfließen können auch Informationen von digitalen Gesundheitsanwendungen. Das sind Apps, die etwa zu physiotherapeutischen Übungen anleiten. Auch die Versicherten selbst können die Akte mit Unterlagen aus der Vergangenheit befüllen.

Wer kann in der Akte lesen?

„Alle Daten bleiben in der Hoheit der Versicherten“, betont Höfer. Sie haben Zugriff auf alle Inhalte und können bestimmen, welche Ärzte welche Daten einsehen dürfen. Zur Forschung können Daten verwendet werden, wenn der Versicherte nicht widerspricht. Die Krankenkassen haben kein Leserecht.

Wo könnte es haken?

Auch die Praxen müssen ihre Systeme auf die Neuerungen einstellen. Derzeit würden dort 180 unterschiedliche Programme benutzt, da sei vorhersehbar, dass es zu Fehlern komme, sagt Höfer: „Das wird bei einem so großen System nicht ohne Knirschen gehen.“ Auch in der Benutzerfreundlichkeit erwartet er zu Beginn „keine Wunder“.

Ärzte kritisierten, dass die Akte über keine Volltextsuche verfüge. Patienten könnten sich über die aus Datenschutzgründen vergleichsweise komplizierten Legitimationsregeln echauffieren. Zur Registrierung sei eine Identifizierung mittels Ausweis sowie ein sechsstelligen Pin erforderlich – inklusive langer Ladezeiten.

Wo liegen die Schwierigkeiten in den Arztpraxen?

Laut Sylvia Thun, Expertin bei der Berliner Charité, arbeiten viele Praxen noch mit Programmen aus den 1980er Jahren. Diagnosen und Therapien sind hier häufig in Freitexten oder Pdfs hinterlegt. Ein an alle anderen Praxen übertragbares System wäre aber auf standardisierte Codes angewiesen. Man kann sich das vorstellen, als würde man versuchen, eine Diskette in ein Iphone zu stecken – das hakt.

Eine Umstellung auf neue digital affine Systeme scheitert oft an hohen Anschaffungskosten. Das führt dazu, dass Diagnosen aus Kliniken oder anderen Praxen oft noch händisch ins eigene System übertragen werden müssen. Philipp Stachwitz von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung veranschaulicht den Aufwand am Beispiel eines Kollegen, der eine Vollzeit-Assistentin eingestellt habe, um den ganzen Tag Befunden hinterher zu telefonieren.

Welche Vorteile hätte eine verbesserte Interoperabilität, also eine bessere Austauschfähigkeit zwischen den Systemen?

Wenn es beim Arztbesuch weniger um Datenabgleich ginge, bliebe mehr Zeit für das Gespräch. Künftig müsse es möglich sein, dass eine KI die Daten, die im Arztgespräch abgefragt würden, aufzeichnet und automatisch standardisiert in Formulare einfließen lasse, sagt Thun. „Dann kann der Arzt den Patienten auch wieder anschauen, statt in den Bildschirm zu starren.“

Was kritisieren Patientenschützer?

Gregor Bornes vom Gesundheitsladen Köln sieht dieses Zukunftsszenario noch nicht. Während man an effizienten Systemen tüftelte, verliere man den Patienten aus den Augen. Als Beispiel führt er das E-Rezept an: „Früher hatte man einen Zettel in der Hand, da stand auch eine Dosierung drauf. Heute gehe ich in die Apotheke und weiß vielleicht nicht einmal, welches Medikament mir verschrieben wurde.“ Dabei sei doch das Wichtigste, dass die Informationen beim Betroffenen selbst ankämen, damit der sich im Alltag gesundheitsförderlich verhalten könne. „Derzeit entfernen wir das System vom Patienten.“