Für mehr Nachsicht mit sichWarum es okay ist, auch mal nur verunsichert zu sein
Köln – Es gibt im Moment Tage, an denen wird es für mich nicht hell. Wären Tage eine Farbe, diese wären mindestens dunkelgrau. Tage, an denen ich mir sehr stark wünschte, in einen anderen Modus schalten zu können – optimistischer zu sein, aktiver zu werden, fester daran glauben zu können, dass alles wieder gut wird. Und es nicht schaffe.
In Europa tobt Krieg, wir haben die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg, unzählige Todesopfer, Menschen, die ihre Heimat verlieren, Familien, die auseinandergerissen werden, traumatisierte Kinder, drohende Hungerkatastrophen in den ärmsten Ländern der Welt und außerdem eine Pandemie, die noch immer Hunderte Menschen das Leben kostet und die wir so schnell nicht loswerden.
Dass ganz offensichtlich sehr, sehr viele Menschen ihre Angst, ihre Wut über das, was gerade in der Ukraine passiert, so schnell, so unbürokratisch und mit so viel Kraft in Aktion übersetzen, dass sie helfen, wo sie können, ist großartig. Angst und Wut und Unverständnis dürfen einen nicht auf Dauer lähmen. Weil das den Menschen, die wirklich direkt betroffen sind, nicht hilft, weil es perspektivisch nichts bringt, wenn ich mich selbst in anstrengenden Zeiten wie diesen schwäche, indem ich mir den eigenen Handlungsspielraum nehme – und weil man ja nun einmal auch sehr eindeutig helfen kann.
Es ist okay, einfach mal erschöpft zu sein
Und doch: Es ist okay, einfach mal erschöpft zu sein. Schließlich fällt dieser Krieg nicht in eine rundherum zuckerwattig-schöne Zeit, sondern in eine Krise globalen Ausmaßes. Seit zwei Jahren bildet die Pandemie die Rahmenbedingungen für unser Leben. Macht, dass Familien völlig durch den Wind sind, weil sie nicht mehr wissen, woher sie die Kraft nehmen sollen, dass einsame Menschen noch einsamer werden, dass einem die Vorfreude und damit ein wichtiges Lebenselixier genommen wird, dass Menschen ihre Jobs und viel zu viele ihre Liebsten verloren haben.
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Seit zwei Jahren zerrt dieses Virus quasi dauerhaft an unseren Nerven – von sehr kurzen, sommerlichen Atempausen abgesehen und von den Mitarbeitenden des Gesundheitssystems, die die wahren Helden sind, gar nicht zu sprechen. Das raubt Kraft und bindet Energie, das lässt das Leben sehr häufig in Moll und sehr selten in Dur erscheinen.
Dies ist ausdrücklich kein Plädoyer dafür, sich in die traurige Hängematte zu legen und dort zu bleiben. Es ist eher eins dafür, weniger streng zu sich zu sein. Es ist in Ordnung, müde, traurig, frustriert, ängstlich zu sein – sogar, wenn man in einer privilegierten Situation lebt. Nur, wer sich das zugesteht, schafft es auch, die Hängematte dann wieder zu verlassen. Und weiterzumachen.