Köln – Haben wir eine „Pandemie der Ungeimpften“? Oder sind auch Geimpfte zunehmend Überträger des Coronavirus? Diese Fragen beschäftigen viele Menschen und zuletzt auch Wissenschaftler der Humboldt-Universität zu Berlin. In einer Untersuchung haben sie herausgefunden: An etwa acht bis neun von zehn Corona-Infektionen ist ein Ungeimpfter beteiligt. Ihre Studie ist auf dem Preprint-Server „Medrxiv“ erschienen, wurde aber noch nicht von externen Forschern überprüft.
Untersucht wurde der Zeitraum zwischen dem 11. Oktober und 7. November. Demnach gingen in dieser Zeit 76 aller in Deutschland festgestellten Infektionen auf Ungeimpfte zurück. Für die restlichen 24 Prozent der Infektionen sind somit Geimpfte verantwortlich.
Im untersuchten Zeitraum gab es in Deutschland ein exponentielles Wachstum mit einer effektiven Reproduktionszahl (R-Wert) von 1,2. Die Impfquote lag bei gut 65 Prozent. Für ihre Studie nahmen die Wissenschaftler für die Effektivität der Corona-Impfungen einen durchschnittlichen Wert von 72 Prozent an. Das bedeutet: In einer Gruppe von Geimpften würden 72 Prozent der Infektionen durch die Vakzine verhindert werden, zu denen es in einer vergleichbaren Gruppe Ungeimpfter kommen würde.
In ihrer am 26. November veröffentlichten Studie betrachteten die Wissenschaftler auch andere Parameter wie zum Beispiel die Impfquoten in den verschiedenen Alterssegmenten und die Zahl der symptomatischen Durchbrüche. Das Ergebnis: In 51 Prozent der Fälle steckten Ungeimpfte sich gegenseitig an. Bei rund einem Viertel lag das Szenario vor, dass ein Ungeimpfter einen geimpften Menschen ansteckte, in 15 Prozent der Fälle war es umgekehrt. Laut ihrer Modellierung kam es nur in neun Prozent der Fälle vor, dass Geimpfte sich gegenseitig angesteckt haben.
Die Studie birgt noch Unsicherheiten
Oder anders ausgedrückt: Ungeimpfte sind in 91 Prozent der Fälle, also in neun von zehn Fällen, an einer Infektion beteiligt – bei einer zu Grunde gelegten Impfeffektivität von 72 Prozent. Allerdings räumen die Humboldt-Forscher ein: „Über die tatsächliche Impfeffektivität besteht wissenschaftliche Unsicherheit.“ Um ein differenzierteres Bild zu zeigen, nahmen sie für ein zweites Szenario an, dass die Impfeffektivität nur zwischen 50 und 60 Prozent liegt.
Doch auch dann lag der der Anteil der auf Ungeimpfte zurückgehenden Corona-Neuinfektionen immer noch bei 67 Prozent. Der Anteil an Fällen, in denen Ungeimpfte andere Ungeimpfte ansteckten, lag den Annahmen zufolge in diesem Szenario bei rund 38 Prozent. Ungeimpfte infizierten Geimpfte in schätzungsweise 29 Prozent der Fälle, umgekehrt waren es 17 Prozent. Daraus ergibt sich eine Beteiligung von Ungeimpften an den Infektionen von 84 Prozent. Der Anteil an Infektionen, in denen Geimpfte andere Geimpfte ansteckten, lag laut Modellierung bei 16 Prozent.
Empfehlungen der Wissenschaftler
Das Team um Studienleiter Benjamin F. Maier gibt in ihren Ausführungen auch Empfehlungen. Grundsätzlich sei ohne zusätzliche Maßnahmen keine baldige Besserung der Impfquote zu erwarten. Eine besondere Herausforderung bestehe darin, dass die jetzt noch Ungeimpften sehr schwer zu erreichen seien. Die Vor- und Nachteile einer Impfpflicht sollten nun diskutiert werden, schreiben die Forscher. Außerdem sollten Maßnahmen, die schnell die Kontakte reduzieren, zum Brechen der 4. Welle implementiert werden. (mm)