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Betroffene erzähltDiagnose Vaginismus – kein Sex ohne entsetzliche Schmerzen

Lesezeit 5 Minuten

Köln – Shelby Hadden ist 25 Jahre alt, hat einen Uni-Abschluss und sie ist Jungfrau. Das ist sie nicht freiwillig. Sie kann keinen Geschlechtsverkehr haben, obwohl sie sich das sehr wünscht. Es scheitert an der Praxis. Die junge Frau leidet unter Vaginismus.

Bei dieser Funktionsstörung krampfen die Vaginalmuskeln reflexhaft zusammen, das macht Sex sehr schmerzhaft bis unmöglich. Erforscht ist Vaginismus bisher wenig. Weshalb Frauen wie Hadden oft einen jahrelangen Leidensweg zurückgelegt haben bis zur ihrer Diagnose.

Sexuelle Funktionsstörung bereitet unerträgliche Schmerzen

Dabei sind drei bis vier Prozent der Frauen von dieser Funktionsstörung betroffen, schätzt Dr. Vivian Pramataroff-Hamburger. Sie ist Gynäkologin, Psychotherapeutin und auf Sexualmedizin spezialisiert. In ihrer Münchener Praxis landen Frauen, die anderswo vergeblich Hilfe gesucht haben. Wahrscheinlich sei die Dunkelziffer weitaus höher, denn aus Angst und Scham würden sich viele Frauen nicht in Therapie begeben, schätzt die Medizinerin.

Dabei sei Vaginismus eigentlich leicht zu diagnostizieren. „Wenn keine erkennbaren anatomischen Hindernisse vorliegen, z.B. eine Frau normal menstruieren kann, bedeutet das, dass es nicht an der Biologie liegt, sondern eine andere Ursache vorliegt.“ Auch Shelby Hadden bemerkte, dass bei ihr etwas anders war als bei ihren Freundinnen, als sie mit 14 Jahren zum ersten Mal ihre Periode bekam. Sie habe beim Versuch, einen Tampon einzuführen „qualvolle, stechende Schmerzen“ gespürt, berichtet die junge Frau.

Schlimme Schmerzen, beim Versuch, einen Tampon zu benutzen

Doch bis zu einer Diagnose sollten viele Jahre vergehen. Erst mit 21 Jahren lernt sie mit einer Beckenboden-Physiotherapie, zumindest Tampons zu benutzen: „Ich war 21 Jahre alt, studierte und benutzte einen Tampon – zum allerersten Mal.“

Bei den Betroffenen spannt sich die Becken- und Vaginalmuskulatur an, sobald versucht wird, die Scheide zu penetrieren. „Die Verkrampfung macht das Eindringen unmöglich, jedoch geschieht das unwillkürlich“, erklärt Dr. Pramataroff-Hamburger. Auch der Versuch, sich „einfach zu entspannen“ könne in diesem Moment nicht helfen, da auch die tiefer liegende Muskulatur betroffen sei. Durch Kontraktionen oder eine Verkrampfung des Beckenbodens ist der Scheideneingang dann so verengt, dass Sex ohne Schmerzen nicht möglich ist.

Betroffene fühlt sich sozial isoliert

Shelby Hadden, mittlerweile als Schriftstellerin und Filmemacherin tätig, ist mit ihrem Leiden an die Öffentlichkeit gegangen. In einem Essay für das Bust Magazine beschreibt sie ungeschönt, was Vaginismus für eine junge Frau wie sie bedeutet. „Während manche Männer keinen hochkriegen, kann ich keinen reinkriegen.“ Auch einen Animationsfilm hat sie zum Thema gedreht. „Tightly wound“ (auf deutsch etwa „Enge Wunde“, aber auch eine umgangssprachliche Beschreibung von „chronisch angespannt“) stellt sie diesen Sommer weltweit auf Filmfestivals vor. Ein mutiger Schritt, denn: „Viele betroffene Frauen schämen sich für ihre Jungfräulichkeit, verstecken diese und leben zurückgezogen“, weiß Pramataroff-Hamburger. Sie wissen oft nicht, wie sie einem eventuellen Partner das mitteilen sollen; nicht einmal Freundinnen werden eingeweiht.

Die Frauen isolieren sich, weil sie nicht die Erfahrungen machen können wie gesunde Gleichaltrige. So beschreibt auch Hadden ihre Zeit auf dem College. Sie schaute ihren Freundinnen zu, wie sie sich mit Männern trafen, erste sexuelle Erfahrungen machten. Sie hingegen hatte weder einen Freund, noch sammelte sie Erfahrungen im Bett. „Jeder Meilenstein im Leben meiner Freundinnen, den sie mit mir teilten, fühlte sich für mich wie ein persönlicher Betrug an. Sie alle nahmen am Leben teil und wurden erwachsen – ohne mich. Ich fühlte mich zurückgelassen, isoliert und es war mir peinlich.“

Männer zeigten wenig Verständnis, dass sie noch immer Jungfrau ist

Auch von Männern, die sie zurückweisen – weil sie nicht mit ihnen schlafen kann – berichtet die junge Frau. „Keiner findet eine 25-Jährige Jungfrau noch süß.“ Mit einem ging sie mehrere Wochen aus und wollte es nun endlich „hinter sich bringen“. Doch als die Schmerzen einsetzten, bat sie den Mann aufzuhören. Als sie ihm allerdings verriet, was genau sie vom Sex mit ihm abhielt, erfuhr sie kein Verständnis, im Gegenteil. „Ich vertraute ihm mein tiefstes, privatestes, schmerzhaftestes Geheimnis an. Und er lachte mich aus.“ Diese Zurückweisung habe die Ängste, die sie seit Jahren mit sich herumschleppte, bestätigt. „Ich fühlte mich wertlos und hatte Angst, dass mich niemals irgendjemand lieben könnte.“

Die Ursache für Vaginismus und den richtigen Behandlungsansatz zu finden, sei Aufgabe einer sexualmedizinischen Beratung, erklärt Pramataroff-Hamburger. In Gesprächen werde nach sexuellen Erfahrungen gefragt und wie diese verarbeitet wurden. „Lange dachte man, dass Vaginismus immer im sexuellen Missbrauch begründet wäre. Heute weiß man, dass auch unbewusste Fantasien eine Rolle spielen. Beispielsweise kann ein traumatisches Erlebnis, das andere vielleicht nicht als so schlimm empfinden würden, zu der Funktionsstörung führen.“ Ausschlaggebend sei allein, wie die Betroffene das Ereignis beurteile und innerlich mit ihrer Erfahrung umgehe.

Auch die Angst vor Schmerzen bei der Geburt oder vor einer ungewollten Schwangerschaft könne Vaginismus auslösen. Nicht selten könnten sich die Patientinnen in den Gesprächen an keine konkrete Situation erinnern. Hatte eine Frau bereits Scheidenkrämpfe, gerät sie in einen Teufelskreis: Die Angst vor Schmerzen löst die Verkrampfung aus, die dann wiederum schmerzhaft ist.

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Romantische Vorstellung von Sex steht vielen Betroffenen im Weg

Shelby Hadden, die so offen über ihr Leiden berichtet, macht als 25-Jährige weiterhin Physiotherapie und täglich Übungen. Und lernt mit dem Druck, den sie durch die Gesellschaft verspürt und den sie sich selbst macht, besser umzugehen. Die Hoffnung einen Partner zu treffen, der sie annimmt, wie sie ist, hat sie trotz schlechter Erfahrungen nicht aufgegeben.

Die Hoffnung auf den einen richtigen Partner, mit dem alles gut werde, sehen Therapeutinnen allerdings skeptisch. „Meine Patienten haben oft eine sehr romantische Vorstellung von Liebe und Sex. Viele denken, dass sie durch die Liebe zu einem speziellen Partner ihr Problem beheben können. Doch diese Vorstellung muss man korrigieren, denn die Fantasien stehen ihnen bei der Lösung ihres Problems aktiv im Weg“, sagt Pramataroff-Hamburger.