Tierpathologe im InterviewWie wir unsere Haustiere zu Tode lieben
- Extremzüchtungen, barfen, vegetarische Ernährung, mangelnde Hygiene – oft führt die Unwissenheit der Tierhalter zum Leid von Hund oder Katze.
- Kurze Nasen und runde Köpfe sind weitere Probleme; in Ost-Europa ist das Tätowieren von Katzen extrem populär – und die Liste ist noch viel länger.
- Tierpathologe Achim Gruber warnt in unserem Interview davor, Haustiere mit Kuscheltieren zu verwechseln. Aus dem Archiv.
Herr Gruber, momentan lesen wir viel über das Bienensterben und immer mehr Menschen, die aus Tierschutzgründen vegetarisch leben. Sie als Tierpathologe finden aber: Kaum einer schaut auf unsere Haustiere, die oft unbemerkt in den Wohn- und Kinderzimmern leiden.
In der Tat. Mich macht die zunehmende falsch verstandene, oft übertrieben Tierliebe wütend, wenn ich die Opfer davon auf meinem Seziertisch sehe.
Was für ein Leid ist das?
Bei meiner Arbeit sehe ich immer wieder Tiere, die leiden müssen, vor allem aber schwere Krankzüchtungen, und Vernachlässigung der Hygiene. Wir sehen Tiere, die im Rahmen einer falsch verstandenen Tierliebe bis zur Vermenschlichung unnötig erkrankt oder verstorben sind.
Prof. Dr. Achim Gruber
Prof. Dr. Achim Gruber leitet das Institut für Tierpathologie an der Freien Universität Berlin. Gruber hat das Buch „Das Kuscheltierdrama. Ein Tierpathologe über das stille Leiden der Haustiere“ veröffentlicht. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und einen Mischlingshund. (Foto: Jenny Fürstenau)
Es gibt viele Facetten. Auch, wenn der Großteil unserer Haustiere sicherlich gut behandelt wird. Doch wenn nur zehn Prozent aller Haustiere leiden, sind das immer noch viel zu viele. Als Tierpathologe möchte ich aufmerksam machen auf die Opfer, die unsere Haustiere für uns erbringen.
Welche Opfer meinen Sie?
Vor allem die Verantwortungslosigkeit der Überzüchtungen. Viele Hunderassen wurden immer kränker gezüchtet. Defektzüchtungen nennen wir das. Möpse und französische Bulldoggen etwa sind sehr populär. Darunter viele Extremformen, die besonders kurznasig gezüchtet wurden, mit rundem Kopf, hoher Stirn und flachen Augen.
Was ist die Folge?
Wegen dieser deformierten Nasen können solche Hunde nur noch schlecht atmen und kaum hecheln. Sie haben enorme Schwierigkeiten bei körperlicher Belastung, besonders bei heißen Temperaturen, und können leichter erschöpft an einem Hitzschlag sterben. Außerdem steigt bei diesen Extremzüchtungen die Gefahr für Verletzungen der Augen, die auch leichter ausfallen können.
Ein Sprung vom Sofa oder ein beherzter Griff in den Nacken durch den Halter, und schon ist es passiert. Blindheit ist die häufige Folge, selbst wenn das Auge wieder angenäht werden kann. Für mich ist das eine Kombination zweier Sünden: Die Defektzüchtung und die Ahnungslosigkeit vieler Halter.
Sind die kurzen Nasen und runden Köpfe denn das einzige Problem?
Leider nicht. Große Hunde werden immer größer und schwerer gezüchtet, viele von ihnen leiden deshalb unter orthopädischen Problemen oder Knochenkrebs. Kleine Hunde werden immer kleiner gezüchtet. Das sind die sogenannten „Toy- oder Spielzeugrassen“, die in die Handtasche passen sollen.
Sie erkranken leider öfter an Kniescheibenverlagerungen (Patellaluxation). Diese Extremzuchten stehen im Fokus unserer Sorge. Bunte Hunde werden immer bunter. Doch viele wissen nicht, dass die aktuell beliebte bunt gescheckte „Merle“-Färbung, die mit hübschen hellblauen Augen einhergehen kann, die Auswirkung eines Gendefektes ist.
Dieser kann auch zu einer schweren Beeinträchtigung der Sinnesleistungen führen, etwa einer Taubheit. Diese Hunde dürfen nicht miteinander gepaart werden, das gilt als verbotene Qualzucht.
34 Millionen Haustiere in Deutschland
In fast jedem zweiten deutschen Haushalt lebt ein Haustier. 2017 gab es mehr als neun Millionen Hunde in Deutschland. Im Jahr 2000 waren es erst fünf Millionen. Gleichzeitig lebten knapp 14 Millionen Katzen in deutschen Wohnungen und Häusern. Insgesamt leben rund 34 Millionen Haustiere bei uns.
Dazu zählen auch sechs Millionen meist in Kinderzimmern wohnende Kleintiere, wie Kaninchen und Hamster sowie gut fünf Millionen Ziervögel. Zusätzlich gibt es eine Million Pferde und in vier Millionen Aquarien, Terrarien und Teichen etwa 100 Millionen Fische und Reptilien in Deutschland.
Wenn das Haustier krank ist, leidet der Halter.
Haustiere werden immer mehr in den Menschenstand erhoben, viele Halter sehen sich mit ihnen auf Augenhöhe. Diese Entwicklung sehen wir vor allem, wenn ein Partner gestorben ist oder nach einer Scheidung. Und das quer durch die ganze Gesellschaft.
Woran liegt das?
Menschen versuchen immer mehr, Defizite im eigenen sozialen Umfeld durch Tiere auszugleichen. Sie füllen ihre Vereinsamung mit Haustieren. Wir sehen das vor allem in den Großstädten. Es gibt immer mehr Single-Haushalte, Familien und Beziehungen zerfallen, es gibt Veränderungen in der Sozialstruktur. Dass Tiere zum wichtigen Partner des Menschen werden, finde ich prinzipiell gut. Es wird aber zum Problem, wenn Tiere dabei ihrer Natur beraubt werden.
Lieben wir manche unserer Haustiere zu Tode?
Ja. Zumindest projizieren viele Menschen ihre Weltbilder auf den Hund. Deswegen wird so viel Geld gemacht mit Mäntelchen, Schmuck und bequemen Körbchen. Diese Dinge sind mir als Pathologe alle recht. Denn das passiert alles nur im Kopf des Besitzers. Es ist noch nie ein Hund daran gestorben, dass er ein Hütchen aufgesetzt bekam. Viel mehr Sorgen macht mir die Überzüchtung, aber auch die Ernährung.
Ein Golden Retriever, den ich kenne, wird täglich mit Leberwurstbrot und Apfel gefüttert.
Das Leberwurstbrot ist in Ordnung, da ist Fleisch, Fett und Stärke drin. Der Apfel muss nicht in den Hund. Hunde brauchen kein Vitamin C, auch keine Karotten für die Augen. Es geht aber noch schlimmer.
Jetzt bin ich gespannt.
Manche Vegetarier können nicht ertragen, dass ihr Haustier Fleisch frisst und ernähren es dann auch vegetarisch oder sogar vegan. Hunde kann man aber nur mit großem Aufwand und Zusatzstoffen vegetarisch ernähren, und Katzen offenbar gar nicht, sagen die Tierernährungsspezialisten. Sie können diesen Mangel nicht ausgleichen.
Also den Hund wie einen Wolf füttern?
Hunde brauchen auch keine Wolfsernährung mehr. Kartoffeln, Brot, Reis, generell Kohlenhydrate sind als Futterbestandteile für die meisten Rassen okay. Der Hund ist daran angepasst, weil wir Menschen ihm seit Jahrtausenden unsere Abfälle vom Tisch geben, er hat gelernt, damit klar zu kommen.
Momentan ist Barfen im Trend, das Füttern von rohem Fleisch. Was halten Sie davon?
Das Prinzip „Zurück zur Natur“ scheint mir dabei etwas übertrieben zu werden. Aus tiermedizinischer Sicht ist das oft ohne Mehrwert für den Hund, im Vergleich zu den meisten Discounterfuttern.
Das ist wohl wieder eine Kopfsache beim Menschen, der sein Weltbild gut gemeint auf den Hund projiziert. Doch das ist in Wahrheit nicht mehr die Natur des Hundes. Ich würde meinen Hund auch niemals mit Knochen füttern.
Warum nicht? Die nagen doch so gern daran.
Viele Hunde vertragen das zwar, und meistens geht es auch gut. Aber manchmal eben nicht. Kleine spitze Hühnerknochen sind besonders gefährlich. Ich habe so manche Hunde gesehen, die an Knochensplittern qualvoll verendet sind, nicht nur Hühnerknochen. Weil die Splitter durch die Darmwand ihre Organe durchbohrt haben. Ein völlig unnötiger Tod.
Was machen Hundebesitzer sonst noch falsch?
Die mangelnde Hygiene. Viele denken: Meine Wohnung ist sauber und mein Hund ist es auch. Händewaschen nach dem Tierkontakt und die Wurmkur werden zur Nebensache. Das ist ein Trugschluss, denn unsere Haustiere können schlimme Infektionserreger ausscheiden.
Viele Parasiteninfektionen etwa können auch auf den Menschen übertragen werden, manche davon sind tödlich. Zum Beispiel der Fuchsbandwurm. Füchse erobern die Städte. Hunde infizieren sich und scheiden die Eier über den Kot aus, wälzen sich darin und verteilen sie im Fell.
Dort bleiben sie dann oft monatelang. In Deutschland gibt es ungefähr 60 Fuchsbandwurm-Neuinfektionen im Jahr bei Menschen. Die Symptome können oft auch erst Jahre später auftreten.
Wie lässt sich das am besten vermeiden?
Halter sollten wissen: wer seinen Hund bei Tisch streichelt, geht das Risiko ein, sich anzustecken. Auch mit anderen gefährlichen Würmern. Ich rate zum Händewaschen nach jedem Kontakt. Wer das nicht will, sollte seinen Hund absolut sicher entwurmen.
Das bedeutet im Extremfall monatlich beim Tierarzt. Nicht mit irgendeiner günstigen Paste aus der Apotheke. Besonders in Haushalten mit Kindern sollte streng nach tierärztlicher Empfehlung entwurmt werden.
Was ist mit den Katzen?
Um die mache ich mir nicht so viele Sorgen. Katzen machen ihr eigenes Ding. Ja, es gibt auch kurznasig gezüchtete Perserkatzen, und Katzen, die komplett nackt gezüchtet werden, weil viele das besonders exotisch finden.
In Ost-Europa ist das Tätowieren dieser Katzen extrem populär. Manche probieren ihr eigenes Tattoo erst auf ihrer Katze aus. Es ist unglaublich, was da alles passiert.
Was macht Sie sonst noch wütend?
Viele Halter gehen viel zu spät zum Tierarzt. Auch bei Tieren steigt im Alter das Risiko für Tumore. Operationen kosten natürlich Geld. Manche gehen deswegen erst, wenn der Tumor so groß ist wie ein Tennisball oder größer, sowas sehe ich leider nicht selten.
Hier können Tierkrankenversicherungen helfen. Nur fünf Prozent unserer Hunde sind krankenversichert. Wer versichert ist und die OP-Kosten nicht scheuen muss, geht früher zum Arzt, und das kann Leben retten.
Wenn man das alles hört, könnte man meinen, die Menschen sollten es lieber lassen mit der Haustierhaltung.
Keinesfalls. Wenn Haustiere natur- und artgerecht gehalten werden, ist das eine gute Sache. Eine Win-Win-Situation für Mensch und Tier. Haustiere sind für uns zweifellos eine Bereicherung, für Kinder wie für Alte. Und ihre Bedeutung steigt für uns Menschen immer mehr.
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Das Fazit Ihres Buches: „Die Art, wie wir mit Tieren umgehen, spiegelt den Grad unserer Humanität.“
Das zeigt sich nicht nur an Tieren, sondern mit allen Lebewesen, die uns anvertraut sind, auch mit Kindern und Pflegebedürftigen. Und doch haben wir Menschen den Hund wie kein anderes Lebewesen auf dieser Welt durch die Zucht verändert und geprägt. Daher tragen wir für ihn eine besondere Verantwortung. Daher mein großer Appell: Geht mit der Zucht besser um und achtet mehr auf die Gesundheit eurer Tiere.