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Noch kurz die Welt retten?Was internationale Freiwilligendienste bewirken können – und was nicht

Lesezeit 6 Minuten
Ein Kind steht vor den Stangen eines Rugby-Tors auf einem Sportplatz in Südafrika. Im Hintergrund sind die Häuser einer Township zu sehen.

Die Mehrheit kommerzieller Freiwilligendienste sieht die Arbeit mit Kindern vor. Experten und Expertinnen warnen jedoch vor den Risiken für die einheimische Bevölkerung.

Ins Ausland gehen und Gutes tun, das ist das Ziel vieler junger Menschen. Welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit der Einsatz auch wirklich nachhaltig ist.

„Und was nun?“ Vor dieser Frage stehen jedes Jahr tausende junge Menschen nach ihrem Schul- oder Studienabschluss, genauso wie Erwachsene, die einfach mal dem Alltagstrott entfliehen wollen. Viele von ihnen zieht das Fernweh in entlegene Länder und fremde Kulturen, mal länger und mal kürzer. Die Möglichkeiten sind dabei schier endlos. Au-pair-Dienste, Interrail-Hopping, „Work and Travel“ und Freiwilligendienste sind nur einige der Optionen, mit denen die Zeit im Ausland gestaltet werden kann. Fast noch schwieriger wird es bei der Frage nach dem Reiseziel.

Vor dem riesigen Wust aus Angeboten stand auch Lina Hafenbradl. Derzeit steckt die Schülerin vom Kölner Schiller-Gymnasium zwar mitten im Abi-Stress, einen Plan für danach hat sie aber schon jetzt: ein Jahr Kambodscha. Ab September wird sie dort die Arbeit in einem Bildungszentrum namens „Aziza‘s Place“ unterstützen. Das Team vor Ort kümmere sich um benachteiligte Kinder, deren Familien auf der Mülldeponie von Phnom Penh, der kambodschanischen Hauptstadt, arbeiten.

Portrait von Lina Hafenbradl

Noch ist Lina Hafenbradl Schülerin am Kölner Schiller-Gymnasium, nach dem Abitur möchte sie einen Freiwilligendienst in Kambodscha leisten.

Lange Vorbereitungszeit bei gesetzlich geregelten Freiwilligendiensten

Bevor die Pläne standen, durchforstete die 17-Jährige das Internet, informierte sich auf Messen und wurde schließlich auf „Weltwärts“ aufmerksam, ein Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). „Work and Travel war mir zu unsicher“, sagt Hafenbradl. Der Freiwilligendienst schien ihr „die coolste Alternative“.

Anbieter solcher gesetzlich geregelter Freiwilligenarbeit gibt es einige. Für das staatlich geförderte Angebot des BMZ entscheiden sich jährlich rund 3000 junge Erwachsene zwischen 18 und 28 Jahren. 2022 stammten 504 von ihnen aus Nordrhein-Westfalen. Die Mehrheit engagiert sich im Bildungsbereich, so wie Lina Hafenbradl. Manche der Freiwilligen bringen sich vor Ort auch im Umweltschutz, in der Landwirtschaft oder in Sport- und Kulturprojekten ein.

Die Koordinierung der Programme übernehmen rund 130 gemeinnützige Organisationen in ganz Deutschland. Während Hafenbradl durch Zufall auf das Deutsche Rote Kreuz (DRK) als Entsende-Organisation stieß – „da hat es am besten gepasst“ – gibt es auch Kölner Initiativen, die als Weltwärts-Partner fungieren.

Eine von ihnen ist der Verein „Open Door International“ (ODI), der seit über 40 Jahren Auslandsaufenthalte für Jugendliche und Erwachsene organisiert. Die Motivation dahinter: „Den interkulturellen Austausch fördern und junge Menschen an globale Zukunftsfragen heranführen. Weniger Vorurteile, weniger Rassismus und Nationalismus – dafür mehr Partnerschaft“, sagt Jan Thissen. Er ist seit zwei Jahren bei ODI für die Weltwärts-Freiwilligen zuständig.

Jan Thissen, Weltwärts-Koordinator beim Verein Open Door International (ODI)

Jan Thissen, Weltwärts-Koordinator beim Verein Open Door International (ODI)

Eine Frage höre er immer wieder: „Wie nachhaltig ist es, junge Leute da rüberzuschicken?“ Die Erwartungshaltung, ohne große Vorerfahrungen Menschen am anderen Ende der Welt erklären zu können, „wie es richtig geht“, sei fehl am Platz, sagt Thissen. „Niemand sollte mit 18 Jahren glauben, in den Globalen Süden zu gehen und da in einigen Monaten die Welt zu retten.“ Vielmehr handele es sich um ein Bildungsprogramm – „um einen Lerndienst statt einen Hilfsdienst“ – auch um sich mit der eigenen Rolle zu beschäftigen und sich nach der Rückkehr im eigenen Umfeld engagieren zu können.

Weltwärts: Begleitende Workshops sind Pflicht

Die ODI-Einsatzstellen lehnen daher an konkrete Problemstellungen an, zum Beispiel mit einem Recycling-Projekt, bei dem Freiwillige in Ecuador Bildungsangebote zum Thema Abfall unterstützen. Außerdem werde der Weltwärts-Dienst durch Workshops ergänzt, ausführliche Vor- und Nachbereitungsseminare seien Pflicht, genauso wie ein gründlicher Bewerbungsprozess. „Es soll auch Leute geben, die dabei an einen günstigen Urlaub denken. Diese Haltung hat bei uns jedoch keinen Platz.“ Die Vorlaufzeit bei geförderten Diensten ist daher sehr lang.

Eine Gruppe von Schülern steht auf dem Gelände einer südafrikanischen Schule im Kreis und umringt eine Freiwillige, die Rugby-Übungen anleitet.

Weltwärts-Freiwillige und flexible „Volunteers“ engagieren sich unter anderem im Bildungsbereich und Umweltschutz, einige von ihnen auch in Sport- und Kulturprojekten, wie hier in Südafrika.

Doch auch Kurzentschlossene haben die Möglichkeit, als „Voluntouristen“ Arbeitserfahrungen im Ausland zu sammeln. Anders als bei Weltwärts, das eine Dauer von sechs bis 24 Monaten vorsieht, halten Reiseveranstalter Angebote für wenige Wochen bereit. Diesen sogenannten „Flexiblen Freiwilligendienst“ können auch ältere Weltenbummler antreten, Mittvierziger in ihrem Sabbatical, Rentnerinnen und Rentner oder all diejenigen, die Wert auf eine individuellere Gestaltung ihres Auslandsaufenthaltes legen.

Dafür müssen Interessierte aber tiefer in die eigene Tasche greifen. Ein Vergleich: Bei Weltwärts werden 75 Prozent der Kosten durch das BMZ getragen. Die Entsende-Organisationen erwarten von den Freiwilligen, dass sie den Differenzbetrag durch selbst gesammelte Spenden mitfinanzieren. Im Fall von Hafenbradl sind das 2400 Euro für zwölf Monate.

Projekte mit Kindern besonders beliebt

Die flexiblen Angebote werden hingegen nicht gefördert. Bei ODI, der neben Weltwärts auch kurzfristige Aufenthalte anbietet, fallen um die 2000 Euro für zwölf Wochen an, Flüge noch nicht inbegriffen. Trotz Selbstzahler-Komponente entscheiden sich jährlich zwischen 15.000 und 25.000 Reisende für diese Art der Freiwilligenarbeit, gepaart mit einer touristischen Komponente.

Insbesondere bei kommerziellen Reiseveranstaltern gelte allerdings Vorsicht, das geht aus einer aktuellen Analyse von „Brot für die Welt“ hervor. Denn ob die Projekte einen Mehrwert für die lokale Bevölkerung und die Freiwilligen selbst bieten, sei schwer herauszufiltern. Weil die Freiwilligen keine Vorkenntnisse mitbringen müssen, sei die Qualität der Arbeit nicht gesichert. Außerdem könne es zu Arbeitsplatzkonkurrenz mit Einheimischen kommen. Da die Mehrheit der kommerziellen Freiwilligenprojekte zudem die Arbeit mit Kindern vorsieht, sollten diese besonders geschützt werden, hebt Antje Monshausen, Leiterin der Arbeitsstelle „Tourism Watch“, hervor.

Antje Monshausen steht vor einem Hintergrund aus grünen Bäumen.

Antje Monshausen, Referentin für Tourismus und Entwicklung und Leiterin der Arbeitsstelle „Tourism Watch“ bei Brot für die Welt

Ein sorgfältiger Bewerbungsprozess und Vorbereitungskurse, wie sie etwa bei Weltwärts Pflicht sind, würden fehlen. „Die Alarmglocken sollten in dem Moment angehen, wenn nicht nachgefragt wird, was ich als Freiwilliger mitbringe, wenn ich meine Motivation nicht darlegen soll und keine Vorgespräche geführt werden.“

Das ist natürlich eine totale Verkennung der Rolle und lehnt an koloniale Stereotype an
Antje Monshausen, Brot für die Welt

Problematisch sei die Situation auch dann, wenn Reiseveranstalter mit einem „armutszentrierten Marketing“ für sich werben. Gemeint ist die Fokussierung auf Defizite im Globalen Süden, wohingegen die Freiwilligen aus Deutschland als Rettende inszeniert werden. „Das ist natürlich eine totale Verkennung der Rolle und lehnt an koloniale Stereotype an“, sagt Monshausen.

Einen positiven Einfluss können diese Reisen dennoch haben, solange sie sich an entsprechende Standards halten. „Grundsätzlich ist die Möglichkeit, sich im Ausland zu engagieren und die Lebensrealitäten von Menschen kennenzulernen, total wertvoll.“ Das gehe sowohl im kommerziellen als auch im gemeinnützigen Bereich, sagt Monshausen. „Ich sehe aber auch: Je länger der Aufenthalt dauert, desto intensiver sind das Eintauchen und die Erfahrungen.“ Auch der ODI-Koordinator sagt, dass es sich bei den flexiblen Diensten eher um ein kurzes Reinschnuppern handele. „Wer wenige Wochen ins Ausland geht, muss sich darüber klar sein, was so eine Zeit leisten kann und was sie eben nicht leisten kann.“

Lina Hafenbradl zumindest scheint das alles ziemlich genau abgewogen zu haben und hat sich für den langen Weg entschieden. „Ich habe Lust auf eine komplett neue Erfahrung, eine neue Kultur und darauf, aus meinem Umfeld herauszukommen und mich selbst weiterzubilden.“ Aber die Welt verbessern werde sie nicht, das ist ihr klar.


Zwischen Studienabschluss und Job war unsere Autorin Anfang 2023 selbst für drei Monate in Südafrika. Als Volunteer unterstützte sie die Arbeit der Organisation United Through Sports bei Schulsport- und Schwimmprojekten, währenddessen entstanden auch die Bilder dieses Artikels.

Vor dem Auslandsaufenthalt überwogen für sie die Vorteile eines flexiblen Freiwilligendiensts: individuelle Zeitgestaltung, kurze Anmeldephase, aber doch mehr, als eine rein touristische Reise. Obwohl sie die Entscheidung nicht bereut, lief vor Ort aber eben doch nicht alles so, wie in den (Werbe-)Flyern dargestellt. Eines kann sie aber bestätigen: Das Kennenlernen der fremden Kultur und die Einblicke in das südafrikanische Leben prägen sie bis heute und waren auch Anlass für die Recherchen zu diesem Text.


Adressen von Anbietern gesetzlich geregelter Freiwilligendienste:

  1. Weltwärts: Entwicklungspolitischer Freiwilligendienst, gefördert durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) | weitere Informationen unter www.weltwaerts.de
  2. Internationaler Jugendfreiwilligendienst (IJFD): Lern- und Bildungsdienst im Ausland, gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend | weitere Informationen unter www.ijfd-info.de
  3. Freiwilligendienst „Kulturweit“: internationales Bildungsprogramm der Deutschen UNESCO-Kommission | weitere Informationen unter www.kulturweit.de
  4. Europäisches Solidaritätskorps (ESK): Freiwilligendienst im europäischen Ausland, gefördert durch die Europäische Union | weitere Informationen unter www.solidaritaetskorps.de

Adressen von regional ansässigen Weltwärts-Entsendeorganisationen:

  1. Open Door International: weitere Informationen unter www.opendoorinternational.de
  2. Kolping Jugendgemeinschaftsdienste: weitere Informationen unter www.kolping-jgd.de
  3. Erzbistum Köln: weitere Informationen unter www.erzbistum-koeln.de
  4. Ecoselva: weitere Informationen unter www.ecoselva.org