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„Generation Pause“Warum so viele junge Menschen nach der Schule erstmal nichts tun

Lesezeit 6 Minuten
Eine Jugendliche, die unter einer Decke auf der Couch liegt und etwas auf dem Handy sieht.

Mehr als eine halbe Million junger Leute in Deutschland tun nach offizieller Statistik: gar nichts.

Mehr als eine halbe Million junger Leute in Deutschland tun laut offizieller Statistik: gar nichts. Müssen wir uns aufregen?

Elisa hatte das Abitur in der Tasche und machte erstmal: Pause. Die junge Berlinerin jobbte im Café und buchte dann mit einer Freundin ein Ticket nach Chile. Ein paar Monate später schaute sie sich mit einem Interrail-Ticket Europa an. Zwischendurch wieder Jobs. So vergingen zwei Jahre. „Man genießt, dass man nicht den Alltag und den Druck hat“, sagt die junge Frau. „Dann schaut man mal so, lässt sich treiben, wenn man die Möglichkeit hat.“

Damit dürfte Elisa in eine Kategorie fallen, um die es gerade Wirbel gibt: NEETs. Das ist ein Kunstwort von Statistikern für junge Leute, die nicht mehr in der Schule sind, aber auch nicht in Beschäftigung oder Ausbildung – „Not in Education, Employment or Training“. Von „jungen Nichts-Tuern“ sprach dieser Tage ein Online-Portal und gleich auch großflächig von einer „Generation Neets“.

Porträt von Elisa Draht.

Porträt von Elisa Draht.

564.000 solcher jungen Leute zwischen 15 und 24 Jahren erfasste die europäische Statistikbehörde Eurostat 2022 für Deutschland. Und das, wo Unternehmen gleichzeitig Zehntausende Lehrstellen und Arbeitsplätze nicht besetzen können. Wie passt das zusammen?

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Generation Neets: Eine sehr vielfältige Gruppe

„Das Problem bei der Konstruktion NEETs ist, dass sie eine ausgesprochen heterogene Gruppe von Personen umfasst“, sagt Bildungsexperte Clemens Wieland von der Bertelsmann Stiftung. Da gibt es junge Leute, die demotiviert durchhängen. Da sind Schulabgänger ohne Abschluss, mit Sprachschwierigkeiten oder sonstigen Problemen, die den Zugang zu Ausbildung oder Arbeit erschweren. Und da sind junge Leute wie Elisa, die nach einer sehr gedrängten Schulkarriere einen Moment innehalten, um ihren Platz auf der Welt zu finden.

Elisa war 17, als sie 2021 die Schule abschloss. „Es gibt einfach viele Leute, die gar nicht wissen, was sie machen wollen“, erzählt die junge Frau. „Nur in ein Studium zu gehen, obwohl man gar nicht weiß, woran man Interesse hat, womit man sich beschäftigen will – dann kann man es auch gleich lassen.“

Corona hat alle überfordert

Es ist nicht so, dass sie in den vergangenen zwei Jahren gar nichts getan hätte. Die Jobs in der Gastronomie brachten ihr bei, wie es ist, acht Stunden zu arbeiten, wie man mit Kollegen auskommt. Zwischendurch half sie ehrenamtlich bei der Berliner Kältehilfe. Vor allem brauchte sie aber, so klingt das durch, die Zeit, sich zu sortieren und einen Beruf zu finden, der sie begeistert. Ab Herbst will Elisa Fotografie studieren.

Dass das etwas länger gedauert hat, hängt aus ihrer Sicht mit der Corona-Pandemie zusammen. „Eigentlich waren alle damit überfordert“, sagt Elisa. Für den Schulstress gab es keinen Ausgleich mehr, keine Partys, keine Kursfahrten, „nichts, auf das man sich freuen konnte“. Das Luftholen nach dem Abi schien umso nötiger. Hätte sofort das Studium begonnen, wären das wieder Online-Kurse gewesen, wieder in Isolation am heimischen Küchentisch. „Es war nicht so viel möglich.“

Besonderheit der Pandemiejahre

Die Eurostat-Statistik belegt die Besonderheiten der Pandemie-Jahre. Der Anteil der NEETs in der Altersgruppe von 15 bis 24 in Deutschland stieg von 5,7 Prozent im Jahr 2019 auf 7,4 Prozent 2020 und 7,8 Prozent 2021. Dann ging es 2022 wieder abwärts auf 6,8 Prozent. Oder in absoluten Zahlen: von 648.000 im Jahr 2021 auf 564.000. Es wird also nicht „immer schlimmer“, jedenfalls nicht nach dieser Statistik.

Nur ist das natürlich eine halbe Million junger Leute, die Arbeitgeber gerade jetzt dringend brauchen könnten. Im Juli gab es nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit etwa 228.000 freie Ausbildungsplätze. Dem gegenüber standen 116.000 registrierte, unversorgte Bewerber.

Gut qualifizierte Schulabgängerinnen wie Elisa machen dabei weniger Sorgen. „Es gibt viele junge Leute, die nach einer Auszeit dann doch eine Ausbildung oder ein Studium anfangen“, sagt Christina Ramb, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. „Ihr Potenzial fehlt dem Arbeitsmarkt nur vorübergehend.“ Ramb schaut vor allem auf die NEETs, die Unterstützung bei dem Sprung ins Arbeitsleben brauchen. „Da sind ganz viele, um die es sich zu kümmern lohnt.“

Unterstützung für den Weg in den Beruf

Ihr Lösungsansatz: Schulen sollen vor Ende der Schulzeit Daten solcher Jugendlichen an die Bundesagentur für Arbeit übermitteln, damit diese sie gezielt kontaktieren und bei Bedarf mit Behörden von Ländern und Kommunen besser zusammenarbeiten kann. „Das nützt sehr viel“, sagt Ramb, die auch Verwaltungsratschefin der Bundesagentur ist. In einigen Bundesländern klappe das gut. „Ich habe wenig Verständnis dafür, dass die rechtlichen und administrativen Voraussetzungen noch nicht in allen Bundesländern geschaffen wurden.“

Auch Bertelsmann-Experte Wieland sagt mit Blick auf jene, die Schwierigkeiten haben könnten: „Wichtig ist, die jungen Menschen auf dem Weg zu einem Berufsabschluss zu unterstützen. Dadurch sinkt das Risiko, arbeitslos zu werden, und die Wirtschaft bekommt die dringend benötigten Fachkräfte.“ Die Arbeitgeber halten grundsätzlich einen raschen Übergang in den Beruf für das Sinnvollste – schnell eine Ausbildung, schnell eigenes Geld verdienen, in die Sozialkassen einzahlen.

Zu viel Auswahl

Doch gehen nicht alle jungen Leute bei dieser Logik mit. Die Kehrseite des Fachkräftemangels ist eben das, was Ramb einen „Bewerbermarkt“ nennt. Alle wollen diese jungen Leute, die Chancen scheinen fast unendlich. Was die Sache nicht einfacher macht. Der Arbeitsmarkt wirkt auf gut vorgebildete Schulabgänger offenbar manchmal wie ein Kuchenbüffet, wo man sich nicht entscheiden kann, ob eher die Torte das Richtige ist oder der Streuselkuchen.

Es ist auch eine Generation, die sich von der Schule mehrheitlich gestresst und nicht gut auf die Berufswelt vorbereitet fühlt, so berichtet es Jörg Habich, Geschäftsführer des Liz Mohn Centers und Mitautor der Studie „Was bewegt die Jugend in Deutschland“ von 2022. Die Befragten zeigten sich einerseits meist zufrieden und zuversichtlich für ihr eigenes Leben, andererseits aber pessimistisch für Deutschland in einer Zeit, die aus den Fugen scheint. Auf die Frage nach Prioritäten nennen Habich zufolge drei von vier Jugendlichen die persönliche Freiheit. Einige hätten das Gefühl: „Wenn ich es mir leisten kann, warum soll ich das jetzt nicht machen?“

Keine Vorwürfe, bitte

Elisa jedenfalls wehrt sich gegen Vorwürfe, dass sie nicht sofort ins Berufsleben gesprungen ist. „Das ist schon ein dreister Anspruch an unsere Generation“, sagt die Berlinerin. „Wir hatten drei Jahre Corona-Pandemie. In Solidarität mit Älteren haben wir unsere gesamte Entwicklung zurückgestellt. Wir erben den Klimawandel und so viele Krisen. Da muss man uns nicht vorwerfen, dass wir nicht mit 17 anfangen, beruflich tätig zu werden.“

Es sei auch gesellschaftlich wichtig, etwas Sinnvolles zu tun. Das sei einfach produktiver. „Und deshalb kann man vielleicht auch mal länger als einen Sommer überlegen: Was will ich mit meinem Leben anfangen?“ (dpa)