Hobbyforscher im Interview„Wir tun in unserer Freizeit nicht das, was wir wollen“
Köln – Wenn man es unbedingt positiv formulieren wollen würde, könnte man sagen, dass die Corona-Pandemie uns Zeit schenkt. Aber ganz ehrlich: Was sollen wir damit anfangen? Sport- und Freizeitangebote müssen weiterhin geschlossen bleiben und auch das Treffen mit Freunden ist keine gute Idee, bei mehr als einer Person ja sogar untersagt. Bleibt die Alternative, ein neues Hobby zu beginnen. Im Interview erklärt Hobbyforscher Ulrich Reinhardt, was es mit der Renaissance klassischer Hobbys auf sich hat, was Deutschland, die USA und Asien in Sachen Hobby unterscheidet – und warum Seriengucken eine Freizeitbeschäftigung und kein Hobby ist.
Herr Reinhardt, darf ich im Jahr 2021 das Wort Hobby überhaupt in den Mund nehmen, ohne mich als Ewiggestrige zu outen?
Ulrich Reinhardt: Sicherlich mag das klassische Hobby in seiner ursprünglichen Funktion und Bedeutung, nämlich als Zeitvertreib, der der Leidenschaft und nicht einem Zweck dient, heutzutage etwas antiquiert wirken. Ich denke da ans Briefmarkensammeln, Häkeln oder im Hobbykeller herumzuwerkeln, ohne wirkliches Ergebnis. Aber durch Corona erfahren die wahren Hobbys auch hierzulande eindeutig eine Renaissance. Immer mehr junge Menschen entdecken beispielsweise das Gärtnern im Schrebergarten, Handwerken oder Häkeln für sich neu.
Würden Sie also nicht mehr behaupten, das Hobby sei vom Aussterben bedroht, wie Sie in einem Interview vor zwei Jahren befürchteten?
Ich bin wenig optimistisch, dass die Zahl der Menschen, die ein Hobby ausüben, steigt. Aber ich sehe in der Pandemie eine große Chance für ein Umdenken. Dass sich mehr Menschen bewusst machen, was ihnen wirklich gut tut und was sie sich in ihrer freien Zeit tatsächlich für sich wünschen. Statt ihre Freizeit nur totzuschlagen, bis die Arbeit wieder beginnt, etwa mit TV-Serien, oder sich auch in der freien Zeit dem allgegenwärtigen Leistungs- und Optimierungsdruck zu unterwerfen, Getriebene zu bleiben.
Ihre Studien zum Freizeitverhalten der Deutschen haben gezeigt, dass es große Unterschiede gibt zwischen dem, was die meisten Menschen in ihrer Freizeit tun, und dem, was sie wirklich gerne tun würden. Welche Wünsche sind das und hilft die Pandemie also, denen näher zu kommen?
Tatsächlich gestalten viele Menschen ihre Freizeit so wie das Berufsleben: strukturiert, durchgetaktet, effizient. Schließlich, so will es der Zeitgeist, soll auch die freie Zeit mit Aufgaben vollgepackt und möglichst zielorientiert genutzt sein. Viele Studienteilnehmer gaben an, dringend mal dies und jenes tun zu müssen: einen möglichst trendigen Sport, einen Opernbesuch, etwas angesagt Kreatives. In Wirklichkeit aber wünschen sie sich nichts mehr als Spontanität, soziale Aktivitäten oder solche, die der Entspannung und Regeneration dienen – und mehr Zeit für sich. Corona könnte der Weckruf für Veränderungen sein, sich bewusst zu werden: Was will ich wirklich, was tut mir gut? Die Zeit dafür haben sich viele von uns bis dahin nicht genommen.
Zur Person
Dr. Ulrich Reinhardt, Jahrgang 1970, ist einer der bekanntesten deutschen Hobbyforscher. Der Zukunftswissenschaftler leitet die „BAT-Stiftung für Zukunftsfragen“ und hat eine Professor für Empirische Zukunftsforschung an der FH Westküste in Heide inne . Reinhardt ist Autor zahlreicher Publikationen und Studien , unter anderem des „Freizeit-Monitors“
Und damit auch nicht für ein klassisches Hobby? Was macht das denn genau aus – im Unterschied zur Freizeitbeschäftigung?
Laut wissenschaftlicher Definition zählt das Hobby natürlich zu den Freizeitaktivitäten, grenzt sich aber dadurch ab, dass es nicht der Optimierung oder dem Wettbewerb dient, frei ist von den Erwartungen oder Ansprüchen anderer und rein dem Spaß und der Steigerung des eigenen Wohlergehens geschuldet ist. Ein Hobby ist also etwas, das ich aus Leidenschaft und regelmäßig tue, ohne es tun zu müssen, in das ich mich vertiefe ohne Ziel und Zweck, wofür ich Anerkennung erhalte und was mir das Gefühl gibt, etwas Gutes getan und damit mein Wohlergehen gesteigert zu haben.
Nach dieser Definition würde für mich aber auch das Serienschauen als Hobby durchgehen. Ich kann mich dem völlig hingeben, die Zeit darüber komplett vergessen, meinen Stresslevel reduzieren und von der Arbeit abschalten.
Sie mögen sich vielleicht kurzfristig erholt fühlen, wenn Sie drei Stunden lang Ihre Lieblingsserie geschaut haben, aber ich bezweifle, dass es dauerhaft Ihr Wohlergehen, Ihre Zufriedenheit steigert, Ihnen das Gefühl gibt, etwas Gutes getan zu haben oder Anerkennung bringt. Außerdem überlässt das Seriengucken Sie der Passivität, ein Hobby dagegen übt man aktiv aus.
Apropos Anerkennung. Sagten Sie nicht, dass die Motivation, ein Hobby auszuüben, frei sei von äußeren Erwartungen und dass eines seiner Merkmale das dabei Allein-auf-sich-gestellt-sein ist?
Ich habe damit auf moderne Freizeitbeschäftigungen angespielt, die darauf abzielen, dass man das, was man in seiner Freizeit tut, hauptsächlich deshalb tut, um es dann später medial, also online zu präsentieren. Man strickt oder näht nicht, um des Strickens oder Nähens willen, sondern um es von der Kreativ-Gemeinde eines Social-Media-Kanals feiern und kommentieren zu lassen.
Der Deutschen liebste Hobbys
Eine speziell auf Hobbys fokussierte Umfrage des Allensbach-Instituts für Demoskopie ergab 2020: Shoppen war das beliebteste Hobby der Deutschen , was im eigentlichen Sinne gar kein Hobby ist: Etwa 28 Prozent der Deutschen ging dieser Beschäftigung in der Freizeit häufig nach, gefolgt von Gärtnern (26 Prozent) und Fotografieren (20 Prozent). Auf Platz vier und fünf landeten „Essen gehen“ (16 Prozent) und Rätsel lösen (14,8 Prozent).
Die beliebteste sportliche Aktivität war der Besuch im Fitnessstudio – damit verbrachten etwa elf Prozent ihre Freizeit, zehn Prozent wanderten, 7,4 Prozent joggten, ebenso viele gaben DIY als liebstes Hobby an, sie bastelten, handwerkten oder töpferten. Auch relativ hoch im Kurs standen Gesellschaftsspiele mit 7,9 Prozent.
Quelle: Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA)
Betrifft das auch den Sport?
Auch der bleibt heutzutage ja nur selten darauf beschränkt, dem Körper etwas Gutes zu tun, sich fit zu halten oder soziale Kontakte zu pflegen. Eher geht es um Optimierung, Herausforderung und Leistungsfortschritt – gerne per App angefeuert, aufgezeichnet und anschließend im Netz geteilt. Kurz gesagt: Beim Hobby steht die Anerkennung nicht im Vordergrund und nicht über der Beschäftigung an sich, sondern ist ein netter Nebeneffekt.
Ein Hobby ist also unberührt von den Erwartungen anderer oder von Ansprüchen, die man glaubt, erfüllen zu müssen. Ist es auch frei von Zielen? Beim Nähen hatte ich beispielsweise irgendwann genug davon, Vierecke zusammen zu nähen, ich wollte Reißverschlüsse verarbeiten und komplizierte Schnittmuster verstehen.
Auch hier gilt, wie bei der Anerkennung: Die Leistungssteigerung, der Wunsch eine Tätigkeit besser beherrschen zu wollen, ist eine normale Entwicklung, eine Begleiterscheinung des Hobbys, nicht dessen Motivation. Die sollte doch immer der Spaß sein und nicht das Bestreben, produktiver zu werden. Leistungsgedanken haben beim Hobby nichts verloren.
Woran liegt es, dass das klassische Hobby, also das gezielte Tun-was-mir-Spaß-macht, in Deutschland nicht den besten Ruf hat? Und wie schneidet es im Ländervergleich ab?
In Deutschland, wie in anderen Leistungsgesellschaften geht es ja vor allem darum, immer aktiv und auf keinen Fall untätig zu sein – auch nicht in der Freizeit. Ein Hobby dagegen klingt nach zu viel Freizeit, zu wenig Struktur, ungenutzter Zeit. Andererseits geben rund ein Viertel der Deutschen an, regelmäßig ein Hobby auszuüben, in den USA sind es deutlich mehr. Dort ist die Verbindung der Menschen zu einem Hobby auffällig stärker aber auch nicht von langer Dauer. Die Amerikaner wechseln gerne ihre Freizeitaktivitäten, ein Jahr macht man Sport, im anderen widmet man sich einer künstlerischen Tätigkeit und dann wieder einem Handwerk. Die Affinität zum Hobby hängt aber auch stark vom Kulturkreis ab, so gilt es im asiatischen Raum vielerorts als Zeitverschwendung. Nicht produktiv zu sein, wird dort oft nicht als sinnvoll angesehen.
Die zehn beliebtesten Freizeitbeschäftigungen
Seit 1986 analysiert die BAT-Stiftung für Zukunftsfragen jährlich das Freizeitverhalten der Deutschen.
Das wichtigste Ergebnis für 2020: Erstmals lag das Internet auf dem ersten Platz und ließ das Fernsehen, das 30 Jahre lang den Spitzenplatz bei den Freizeitbeschäftigungen hielt, hinter sich. 96 Prozent nutzten regelmäßig das Internet (Platz 1), 86 Prozent das Fernsehen (Platz 2) und 83 Prozent PC, Laptop und Tablet (Platz 4.) Es folgen: Private E-Mails bearbeiten (81 Prozent, Platz 5), Musik hören (80 Prozent, Platz 6), Radio hören (75 Prozent, Platz 7), mit dem Smartphone spielen, surfen oder chatten (72 Prozent, Platz 8), seinen Gedanken nachgehen (68 Prozent, Platz 9), Zeit mit dem Partner verbringen (67 Prozent, Platz 10).
55 Prozent gaben an, sich mindestens einmal pro Woche in der Natur aufzuhalten, um Sport zu treiben oder Spazieren zu gehen, einem Hobby gingen 44 Prozent nach, 2015 waren es nur 29 Prozent. Auch ein wichtiges Ergebnis des Freizeit-Monitors ist, dass die Deutschen viel lieber anderes mit ihrer Freizeit anstellen würden, nämlich: Spontan tun, wozu man Lust hat (77 Prozent), in der Natur aufhalten (75 Prozent), etwas für die Gesundheit tun (73 Prozent), Tagesausflüge machen (72 Prozent), Freunde treffen (71 Prozent), Ausschlafen (71 Prozent), Essen gehen (68 Prozent), Spazieren gehen (67 Prozent), sich mit der Familie treffen (67 Prozent).
Quelle: BAT-Freizeit-Monitor 2020
Das kenne ich aber auch von meiner Oma, sobald ich mich mit einem Buch aufs Sofa verzog, fragte sie, ob ich nichts Besseres zu tun hätte. Wie hat sich das Freizeitverhalten, beziehungsweise die Funktion und das Image des Hobbys in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Ganz klar: Es gibt heute unendlich mehr Möglichkeiten, das begrenzte Gut Freizeit zu füllen, als vor 50 Jahren, allen voran mit medialen Freizeitbeschäftigungen. Acht von zehn Deutschen verbringen ihre freie Zeit mit Fernsehen, Computerspielen, Sozialen Medien, Zeitschriften, Zeitungen. In den 50er-Jahren war die Freizeit der Erholung gewidmet und sollte nicht in Arbeit ausarten. Damals stand dafür die Familie an erster Stelle, man besuchte in seiner Freizeit die Verwandtschaft oder beschäftigte sich mit den Kindern. Daneben widmeten sich die Frauen der Hand- oder Gartenarbeit, die Männer werkelten im Keller. In den Sechzigern nahm gemäß der Gewerkschaftsparole „Am Samstag gehört Vati mir“ die Arbeitszeit ab und die Freizeit zu. Fernsehgeräte erhielten vermehrt Einzug in die Wohnzimmer. Parallel boten die ersten Volkshochschulen Sprach- und andere Kurse an, es entwickelte sich der Trend, neue Fertigkeiten zu erlernen. In den 70er-Jahren, dem goldenen Jahrzehnt, bildete sich die Konsumgesellschaft heraus, in der das Shoppen zum Hobby wurde. Ein Trend, der in den Achtzigern zur ersten Wellness-Welle führt – als Erholung vom Konsum. In den Neunzigern dominieren die neuen Medien das Freizeitverhalten – und neue Sportarten, vor allem das Inlineskaten.
Eine Frage noch zum Thema „neue Medien“: Laut Ihrem jährlich erscheinenden Freizeitmonitor hat das Internet im Jahr 2020 erstmals das Fernsehen als Lieblingsfreizeitbeschäftigung der Deutschen abgelöst. Ich hätte schwören können, das sei schon früher der Fall gewesen.
Um digitale Medien zu nutzen, braucht es Kompetenzen, die gerade ältere Menschen, die nun mal einen Großteil unserer Gesellschaft ausmachen, lange Zeit nicht hatten. Auch das hat sich mit Corona geändert. Während der Pandemie und der damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen haben viele Enkel ihren Großeltern beigebracht, wie man Video-Tools und andere Online-Angebote nutzt, um virtuell in Kontakt zu bleiben – oder sich zu beschäftigen.
Inwiefern kommt die Digitalisierung dem Hobby in die Quere?
Sie ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits bietet sie unendlich viele Möglichkeiten, Hobbys abzubilden, bekannt zu machen, und Hobbytreibende miteinander zu vernetzen. Andererseits sehe ich die Gefahr, dass durch die permanente Zur-Schau-Stellung in den sozialen Medien, die Beschäftigung an sich und das Wohlergehen in den Hintergrund gerät. Und dass die Menschen durch das Überangebot von Hobby zu Hobby jagen, ohne sich wirklich darauf einzulassen. Auf der anderen Seite verhindern die vielen passiven Angebote wie Netflix und Co. selbst aktiv zu werden.
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Wenn Sie das klassische Hobby bewerben müssten, welche wären Ihre überzeugendsten Argumente?
Dass das Hobby in seiner ursprünglichen Funktion dazu dient, sich von der Arbeit zu erholen, es den Stresslevel reduziert, entspannt. Wer sich ohne jeglichen Druck von außen und höheres Ziel einer Tätigkeit widmet, die ihm gut tut, sich darin verliert und den Rest der Welt außen vorlässt, der fühlt sich anschließend garantiert besser.
Wie schaut sie aus, die Zukunft des Hobbys?
Ich denke, dass es immer mehr und ausdifferenzierte Hobbys geben wird, also etliche Varianten einer Freizeitbeschäftigung. Schon jetzt gibt es jedes Jahr neue Sportarten, das wird sich sicher noch verstärken. Wie so oft in der Geschichte kann das aber auch die Renaissance alter Hobbys befeuern, ähnlich wie die Digitalisierung dazu geführt hat, dass die Schallplatte oder das gebundene Buch wieder mehr zur Liebhaberei wurde. Und die Zeitung, wie ich mir wünsche!