Ist die Jagd jetzt cool?Warum immer mehr junge Menschen Tiere jagen
Köln – Lange Jahre war das Image der Jäger denkbar schlecht. Laut einer Umfrage des Magazins Stern aus dem Jahr 1995 gaben 87 Prozent der Deutschen an, keine Jäger zu mögen. Deren Image: Alt, stock-konservativ, Tiere tötend und mit dem Dackel auf dem Beifahrersitz per Geländewagen durch den Wald bretternd. Regelmäßig demonstrierten noch vor wenigen Jahren Hunderte Tierschützer, wenn alljährlich in Dortmund die Messe „Jagd & Hund“ ihre Pforten öffnete. Mörder-Rufe waren nicht selten.
Immer mehr Jäger in Deutschland
Doch schleichend, fast unbemerkt hat sich das Image der Jäger in Deutschland gewandelt. Man könnte aber auch sagen: Die Jäger von heute sind anders als die von vor 25 Jahren. Von Nachwuchsmangel gibt es jedenfalls in Deutschland keine Spur. Ganz im Gegenteil. Laut dem „Handbuch 2021“ des Deutschen Jagdverbandes (DJV) gab es im April 2020 mehr als 397.000 Menschen mit einem Jagdschein in Deutschland, das ist Rekord.
Zum Vergleich: 1978 gab es gut 250.000 Jäger in Deutschland, wobei es sich damals weit überwiegend tatsächlich um Jäger, und nicht um Jägerinnen handelte. Zwischen Mitte der 1990er Jahre und 2010 stagnierte die Zahl der jagenden Menschen um 340.000, wobei der vorherige Anstieg auch mit den Jägern in der DDR zusammenhing, die vor 1989 nicht mitgezählt wurden. Seitdem ist der Jagdschein stärker gefragt denn je. Doch wer sind die Menschen, die sich heute dazu entschließen, viel Geld und Zeit zu investieren, um mit einem Gewehr bewaffnet bei meist usseligem Wetter durch Wald und Flur zu laufen, um Tiere zu erlegen?
Ein kurzer Blick zurück: Einst waren es vor allem zwei Gruppen, die jagten. Einerseits Adlige oder Industrielle mit viel Geld und Land, andererseits Menschen aus dem ländlichen Raum, viele als Bauern eng mit der Natur verbunden.
Jagen ist keine reine Männerdomäne mehr
Heute sieht die Mischung ganz anders aus, besonders bei jenen, die gerade mit dem Jagen beginnen. Laut einer Umfrage von 2018 unter Jungjägern, so heißen Jäger in den ersten drei Jahren, in denen sie einen Jagdschein haben, ergab, dass nur jeder zehnte Selbstständiger oder Unternehmer ist. Nur jeder zwölfte hat demnach einen land- oder forstwirtschaftlichen Beruf. Die größte Gruppe mit 17 Prozent stellen die Dienstleistungsberufe dar, 14 Prozent sind Schüler oder Studenten, je elf Prozent entfallen auf Handwerksberufe oder Bürokräfte, so das Ergebnis der Umfrage. Der Rest sind Beamte, Wissenschaftler und Techniker.
Lange galt die Jagd als Männerdomäne, und obwohl die Jagdverbände es gerne anders darstellen: Noch ist sie es auch. Von denen, die aktuell einen Jagdschein haben, sind 93 Prozent Männer und nur sieben Prozent Frauen. Die Tendenz aber zeigt in eine andere Richtung. Die Zahl der weiblichen Absolventen einer Jagdschule ist laut einer Umfrage des IfA-Marktforschungsinstituts Bremer und Partner aus Essen in den vergangenen zehn Jahren um 46 Prozent gestiegen.
Ein Viertel der Personen, die einen Jägerkurs besuchen, sind heute Frauen, Tendenz steigend. Und sie stammen auch nicht mehr typischerweise wie die früher äußerst raren jagenden Frauen aus traditionellen Jägerfamilien, in denen Vater, Opa oder Ehemann der Beschäftigung nachgingen. Mehr als ein Fünftel hatte vor der Ausbildung keinerlei Erfahrung mit der Jagd. 23 Prozent der Jungjägerinnen leben in Großstädten, und nicht auf dem Land.
Eine Tierärztin ist leidenschaftliche Jägerin
Eine junge Frau, die leidenschaftlich jagt, ist Victoria Tüllmann. Die 33-Jährige stammt aus Düsseldorf und lebt heute eher ländlich in Wegberg an der niederländischen Grenze. Ihre Berufung ist Tierärztin für Zier,- Zoo- und Wildvögel in Mönchengladbach-Holt, sie hält Hühner und vertreibt ganz nebenbei noch ihr selbst zusammengestelltes Hühnerfutter. Warum aber wendet sich ein Mensch, der beruflich Tieren möglichst das Leben rettet, in seiner Freizeit einem Hobby wie der Jagd zu?
Die Jägerin sieht das pragmatisch. „Jagd ist für mich eine Form, im Einklang mit der Natur zu leben“, sagt Tüllmann. In Zeiten von Waldsterben und Afrikanischer Schweinepest spricht sie selbst von „aktivem Naturschutz“. In ihrer Familie ist sie in der vierten Generation jagdlich tätig. Aber als erste der Jäger-Dynastie ist sie eine Frau. Doch sie jagt nicht aus Traditionsgründen, und ist auch nicht zimperlich. Lange, kalte Nächte bei Frost und Vollmond, nur um eine Sau zur Strecke zu bringen, sind für sie keine Qual und kein Prestige, sondern Passion. „Im Wald, ohne Handy-Empfang, finde ich meine Ruhe. Vor allem habe ich hier Zeit zum Nachdenken und finde des Öfteren Lösungen für Probleme. Natürlich auch Lösungen für schwierige Fälle in meiner Praxis“.
Die Achtung vor dem Geschöpf ist wichtig
Den elterlichen Hund Kuno, einen Kleinen Münsterländer, führt sie seit Jahren auf der Jagd. Ihr eigener Hund derselben Rasse, Anton, ist noch ein verspielter Welpe, der auf dem Weg zum Jagdhund noch einige Erfahrungen sammeln muss. Dass er das schaffen wird, steht außer Frage, bei so einer passionierten Besitzerin. Viel Aufsehens macht sie nicht aus dem Jägerinnensein. Es ist für sie eine Art „Normalität“. Das Brauchtum und die Achtung vor dem Geschöpf sind ihr sehr wichtig. Tiere, auch deren Leben und Sterben, gehören dazu. Anfang November wird sie noch ihren Falknerschein machen. „Greifvögel sind so mächtige Tiere, ich sehe sie auch oft bei mir in der Praxis. Beim Falknerschein erlernt man noch einmal eine ganz andere Art zu jagen. Hier freue ich mich sehr drauf.“
Die Gründe, warum sich heute mehr junge Menschen denn je entschließen, den Jagdschein zu machen, sind vielfältig. Einer davon ist etwa der langsame Imagewandel der Jagd. Der geht einher mit einer Ausrüstung, die längst nicht mehr aus Filzhut, Lodenmantel und Opas alter Flinte besteht. Sportliche, modische Aktionskleidung hat die etwas altbackenen Jagdklamotten der Vorväter abgelöst. Jagdkleidung darf heute gerne orange sein, auch braun und selbstverständlich grün, Sicherheit wird groß geschrieben. Die Kleidung zur Jagd ist wasserdicht, windfest, atmungsaktiv, stylish und in der Regel ziemlich hochpreisig.
Den Trend zu mehr Frauen in der Jagd nutzen alle Anbieter dieser Ausrüstung schamlos aus und nehmen praktisch einen extra Preisaufschlag. Das Design dieser Kleidung orientiert sich eher an dem, was auch Bergsteiger, Kanufahrer oder andere Menschen tragen, die sich selbst als „Outdoor-Sportler“ bezeichnen würden. Sie begreifen Jagd als cool, nicht als elitär. Die Jagd in Deutschland bekommt zunehmend den Touch eines Outdoor-Sports. Das verwundert, ist es doch unter alten Jägern höchst verpönt, die Jagd als „Hobby“ oder „Sport“ zu bezeichnen. In Großbritannien ist das schon lange anders.
Neue Technik bei den Waffen
Auch die Technik tat ihr Übriges, um den Imagewechsel voran zu treiben. Bis in die 1990er Jahre gab es keinen nennenswerten Fortschritt, was die Jagdwaffen anging. Der Jungjäger dieser Zeit führte vielleicht den gleichen Drilling, ein Gewehr mit zwei Schrotläufen und einem Kugellauf, den auch schon sein Großvater mit im Wald hatte. Kugelgewehre zum repetieren, also um mehrere Schuss nacheinander abzugeben, basierten technisch gesehen auf alten Weltkriegswaffen.
Das war in weiten Teilen keine Frage des technischen Fortschritts, sondern meist des gesetzlich Möglichen. Denn Jäger als Waffenträger stehen stets unter argwöhnischer Beobachtung der Behörden. Lange waren ein roter Punkt als Zieleinrichtung, Schalldämpfer oder gar Geräte, die Tiere in der Nacht sichtbar machten, schlicht verboten. Doch auch an dieser Stelle hat sich in den vergangenen Jahren viel getan.
Zuerst liberalisierte der Gesetzgeber den leuchtenden Punkt, kürzlich in bestimmten Fällen auch Nachtsichtgeräte. Das geschah weniger, weil die Lobby der Waffenhersteller so groß schien. Es war eher eine Mischung aus zwei Dingen: Erstens erspart ein sicherer Schuss in der Dämmerung mittels der genannten Geräte Tieren unnötige Qualen, weil genauer geschossen werden kann. Zweitens explodieren die Zahlen der nachtaktiven Wildschweine insbesondere in NRW so sehr, dass die Jagd auch auf die Nacht ausgeweitet werden sollte, aber dazu später mehr.
Schließlich genehmigten die meisten Bundesländer auch Schalldämpfer. Eine Reaktion darauf, dass der Schussknall für den Jäger erhebliche gesundheitliche Risiken birgt. Mit dem Schalldämpfer wird der Schuss nicht lautlos wie in einem Hollywood-Streifen, aber doch so deutlich reduziert, dass das Gehör keinen dauerhaften Schaden nimmt.
Die Jagd ist ein gewinnträchtiger Markt
All diese Neuerungen, gepaart mit der überdurchschnittlichen Zahlungsbereitschaft der Jäger, haben eine neue Generation Jagdwaffen hervorgebracht, insgesamt ein gewinnträchtiger Markt. Neue Waffen haben nicht mehr wie die der Großväter silberne Verzierungen, edle Holzschäfte oder eingravierte Initialen. Sie sind vor allem praktisch, der Schaft ist aus Kunststoff, weil er sich im Regen nicht verzieht, die Farben sind mitunter grell orange, damit man das Gewehr im Wald auf dem Boden besser sieht. Funktionalität geht heute eindeutig vor Schönheit, sofern man das bei einer Waffe sagen kann.
Aber sind für das Mehr an Jägern im Land überhaupt genug Beutetiere vorhanden? Das ist die kleinste Sorge, die Waldbauern, Förster und Jäger gerade umtreibt. Denn das Gegenteil ist der Fall. Wildschweine galten einst vor allem in Westdeutschland als seltene, äußerst scheue Waldbewohner. Doch seit Mitte der 1990er Jahre setzten viele NRW-Bauern auf den Anbau von Mais. Mais ist als Futter für Stalltiere sehr begehrt, aber auch die Nachfrage nach Biosprit wächst. Im Benzin mit dem Zusatz E10 etwa sind zehn Prozent Biokraftstoff enthalten. Und der wird nicht selten aus Mais gewonnen. Mais aber ist für die Wildschweine das willkommenste Fressen, das es überhaupt gibt.
Parallel mit dem Anstieg der Ackerflächen, auf denen Mais angebaut wird, stieg die Zahl der Wildschweine. Zählen kann man die scheuen Tiere nicht zuverlässig. Seit Jahrzehnten gilt also die Zahl der erlegten oder überfahrenen Tiere als Messlatte für deren Verbreitung. In den Jahren 1938/39, dem letzten Vorkriegsjahr wurden in dem Gebiet, das heute Nordrhein-Westfalen heißt, 973 Wildschweine erlegt. Zum Vergleich: Im Jahr 2018 waren es 40.000, und im Jahr darauf (2019/2020) sogar 64.700. Der letzte Anstieg ist zwar der Bekämpfung der für Haustiere tödlichen Afrikanischen Schweinepest geschuldet, der Siegeszug der Wildschweine ist aber dennoch eindeutig. Und die Schäden, die sie in der Landwirtschaft auch ohne Seuche anrichten, gehen in die Millionen, vielleicht mehr.
Viel mehr Rehe, viel weniger Hasen
Die Zahlen zeigen, dass bestimmte Wildarten von einer intensiv genutzten Landwirtschaft massiv profitieren. Mit 105.000 Rehen wurden 2020 dreimal so viele Rehe erlegt wie vor dem Zweiten Weltkrieg. Die Zahl der erlegten Rothirsche hat sich fast vervierfacht, Tendenz steigend. Hirsch, Reh und Schwein sind also die Gewinner der intensiven Landwirtschaft, die ihnen gute Lebensbedingungen gibt. Andere sind die Verlierer. 1938 wurden im heutigen NRW 220.000 Hasen, 190.000 Rebhühner und 160.000 Fasane erlegt. Voriges Jahr waren es 56.000 Hasen, 45.000 Fasane und kein einziges Rebhuhn, davon wurden „nur“ 300 überfahrene gezählt. Die Feldbewohner sind die Verlierer ausgeräumter, steriler, mit großem Chemie- und Maschineneinsatz bewirtschafteter Äcker.
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Verstummt sind die Kritiker der Jagd aber nicht ganz. In den eigenen Reihen rumort es. Der „Ökologische Jagd-Verein NRW“ (ÖJV) fordert etwa, für jagdfremde Menschen schwer verständlich, eine viel intensivere Jagd, also mehr Tiere zu töten, um den geschädigten Wald zu retten. Andere wiederum fordern die Abschaffung der Jagd in Gänze.
So gibt es einen neuen „Wildtierschutzverband“, der versteht sich als zukünftiger Dachverband und als Netzwerk der Jagdgegner und ihrer Organisationen sowie der mit ihnen vereinten Politiker und Parteien. Die Prämisse sei, „dass sich Ökosysteme grundsätzlich von selbst erhalten.“ Aus ökologischer Sicht bestehe „keine Notwendigkeit für Jagd in der heutigen Form“. Der Wildbestand nehme auch ohne Bejagung nicht überhand. Dennoch notwendige Regulierungsaufgaben sollen von angestellten „Wildhütern und Wildhüterinnen“ übernommen werden. Das Netzwerk will die bereits vorhandenen Kräfte, die die Jagd abschaffen wollen, bündeln. Die Initiatoren setzen dabei vor allem auf prominente Namen. Aber selbst die verfeindeten Jagdverbände DJV und ÖJV lehnen diese Positionen als realitätsfern ab.
Wild ist ein beliebtes Nahrungsmittel
Ein Fakt aber spricht für die neue Offenheit in puncto Jagd: das Essen. Einst galten Wildschweinbraten und Rehrücken als Omas Rache beim Weihnachtsmahl. Doch viele Menschen, die heute auf Tiere ganz oder zumindest aus Protest gegen Massentierhaltung teilweise auf dem Speiseplan verzichten, haben kein Problem mit Wild auf dem Teller. Der Gedanke dahinter: artgerechter als Wild kann kein Tier leben, denkt man an die Bilder beengter Ställe und dubioser Tiertransporte.
Das entfällt bei der Jagd. Idealerweise hat das Wild „den Schuss nicht gehört“, wenn es fachgerecht erlegt auf dem Teller landet. Das befördernde ist, dass sich die Wildküche modernisiert hat. Der strenge Hautgout des Wildes, den viele noch aus der Kindheit kennen, ist Geschichte. Heute werden Wildschwein, Reh und Hirsch als Würstchen oder Burger verarbeitet. Das schafft jeder Hobbykoch. Und die Nachfrage ist groß, was sich in enorm steigenden Preisen für Wildfleisch niederschlägt. Doch Vorsicht. „Wild“ aus dem Supermarkt ist oft aus Gatterhaltung oder gleich aus Neuseeland herangeschifft. Echtes Wild aus der Region gibt es dagegen beim Jäger von nebenan.