Der Ausstieg aus den fossilen Energien Kohle, Öl und Gas ist essenziell, um den Klimawandel zu stoppen. Doch wie sieht die Energiewende hin zu Erneuerbaren konkret aus? Und ist sie überhaupt möglich? Ein Überblick.
Experte erklärtWie wir das Klimaziel noch erreichen und was jeder dazu beitragen kann
Dass eine Pressekonferenz kurzfristig etwas nach hinten verschoben werden muss, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Dieses Mal hat der Verzug jedoch etwas Symbolträchtiges. Eigentlich will Professor Michael Sterner sein neues Buch „So retten wir das Klima“ vorstellen. Doch er steht mit seinem E-Auto im Stau. Die Szene fasst gleichzeitig die Hauptaussage von Sterners Buch und sein Wirken als einer der führenden Energieexperten Deutschlands zusammen: Wir halten bereits alle Werkzeuge zur Lösung der Klima- und Energiekrise in der Hand, wir wenden sie nur nicht an.
„Die dafür notwendigen Technologien sind da“, lautet Sterners Kernthese, mit der er von Radiosender zu Zeitung, von Energiekonferenz zu Beratungsgremium reist. „Diese Abkehr von fossiler Energie und Umkehr zurück zu 100 Prozent erneuerbarer, klimaneutraler Wirtschaft ist ökonomisch rentabel und ökologisch absolut erforderlich. Die Energiewende bringt uns auch Energiesicherheit. Wir müssen sie nur wollen, gesellschaftlich und politisch.“ Wie aber kann das konkret gelingen?
Das Klima retten durch die Energiewende – wie hängt das miteinander zusammen?
84 Prozent der in Deutschland ausgestoßenen Treibhausgase, wie CO₂, stammten 2021 laut dem Umweltbundesamt aus der Verbrennung fossiler Kraftstoffe. Besonders die Kohleverstromung verursacht viele Treibhausgasemissionen. Aber auch Heizungen, die mit Erdgas oder Erdöl betrieben werden, sowie Autos, die mit Benzin oder Diesel angetrieben werden, stoßen die klimaschädlichen Gase aus. Hinzu kommen die Industrie, der Flugverkehr und weitere Akteure. Ähnlich verteilt sich der Treibhausgasausstoß auf globaler Ebene. Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), oft auch als „Weltklimarat“ bezeichnet, benennt die Nutzung von fossilen Energieträgern daher klar als Hauptursache für die Erderhitzung.
Als Grenzwert für den globalen Temperaturanstieg gelten 1,5 Grad im Vergleich zum Jahr 1850, also verglichen mit dem vorindustriellen Zeitraum. Das ist auch das Ziel des Pariser Klimaabkommens, um die Risiken der Erderhitzung zu verringern. Viel Zeit bleibt nicht mehr, bis das Restbudget an Treibhausgasemissionen aufgebraucht ist, das global bis dahin noch verbleibt. „Wenn wir so weitermachen wie bisher, ist unser CO₂-Budget in weniger als zehn Jahren erschöpft“, warnt auch Michael Sterner in seinem neuen Buch. Da die fossilen Energien den weitaus größten Posten in diesem Budget beanspruchen, müssen die Emissionen, die bei ihrer Verbrennung entstehen, dringend gestoppt werden und Energie stattdessen klimaneutral bereitgestellt werden. In diesem Punkt herrscht international große Einstimmigkeit unter den Experten und Expertinnen. Dafür ist die Energiewende notwendig.
Energiewende – was ist mit diesem Begriff genau gemeint?
Energiewende bedeutet, so definiert es Michael Sterner, „die vollständige Abkehr von fossilen Energieträgern und deren Einsatz durch erneuerbare Energien in allen Sektoren und Formen, wie der energetischen und stofflichen Nutzung von Kohle, Öl und Gas.“ Im Einzelnen umfasst sie also gleich mehrere Wenden: die Stromwende, die Wärmewende, die Verkehrswende und die Industriewende. Zur Energiewende gehören laut Sterner neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien auch das Energiesparen sowie die Steigerung der Energieeffizienz aller Sektoren.
Und wie sieht die Energiewende konkret aus?
Als tragende Säulen der erneuerbaren Energien gelten Wind- und Solarstrom. Beide haben zwar den Nachteil, dass die Sonne nicht immer scheint und auch der Wind nicht immer weht. Dennoch haben sie Sterner zufolge gleich mehrere Vorteile, darunter „die konkurrenzlos günstigen Stromerzeugungskosten, das schier unendliche erneuerbare Potenzial und der geringe Flächenverbrauch.“ Allein die Nutzung von zwei Prozent der deutschen Landesfläche für Windkraft könne weit über 50 Prozent des Strombedarfs in Deutschland decken, so der Experte.
Der Ausbau von Wind- und Solarkraft sei im letzten Jahrzehnt allerdings von der deutschen Politik verschlafen worden, kritisiert Sterner. Erst durch die Energiekrise, ausgelöst durch den russischen Angriff auf die Ukraine, nimmt der Ausbau der Erneuerbaren merklich an Fahrt auf. So stieg ihr Anteil am deutschen Strommix laut dem Statistischen Bundesamt im ersten Halbjahr 2022 um 12,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf insgesamt 48,5 Prozent.
Von einer hundertprozentig erneuerbaren Stromversorgung ist Deutschland noch weit entfernt. Der Ausbau müsse Sterner zufolge daher drastisch erhöht werden. „Letztendlich braucht es alles: Solaranlagen auf dem Dach, an den Balkonen und in der Freifläche und die Windkraftanlagen im Gelände.“ Ebenso wie der Ausbau der Netze und Speicher. „Zudem sollten wir in der Wärmeversorgung Öl- und Gasheizungen durch Holzheizungen und Wärmepumpen ersetzen und die Gebäude dämmen“, erklärt der Experte weiter. „Im Verkehr sollten wir Elektroautos und synthetische Kraftstoffe beschleunigt einführen und die Industrie mit erneuerbarem Strom und Wasserstoff klimaneutral und unabhängig machen.“
Können 100 Prozent Erneuerbare funktionieren?
Ein langer dunkler Winter, auch der Wind will nicht so recht wehen. Und all das bei steigendem Stromverbrauch durch elektrisch betriebene Wärmepumpen und E-Autos. Drohen bei solchen Szenarios künftig nicht immer wieder Blackouts, wenn die Stromversorgung hauptsächlich durch Sonne und Wind gesichert werden soll? Das befürchten viele. Denn Strom muss stets zeitgleich erzeugt und verbraucht werden. Die Gefahr von Blackouts bestehe ohne ausreichend Stromspeicher daher in der Tat, bestätigt Michael Sterner. Auch diese müssten demnach stark ausgebaut werden.
Es gibt zum einen kurzfristige Speicher, wie etwa Batterien oder Pumpspeicher. Doch diese sind nicht dazu in der Lage, große Mengen Strom über einen längeren Zeitraum, wie etwa einen langen dunklen Winter hinweg, zu speichern. Um die Energiesicherheit in solchen Fällen dennoch zu gewährleisten, braucht es somit weitere Lösungen.
Die gute Nachricht laut Michael Sterner: es gebe bereits entsprechende Technologien. Eine von diesen hat der Ingenieur mitentwickelt: Power-to-Gas, was übersetzt so viel wie Energie zu Gas bedeutet. Gemeint ist hier nicht das fossile Erdgas, sondern ein künstlich hergestelltes Methangas. „Dabei wird mithilfe von Ökostrom Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten und der Wasserstoff mit CO₂ zu einem Erdgas-Ersatz, dem erneuerbaren Gas verbunden“, erklärt Sterner. Die schlechte Nachricht: Auch für diese Technologie fehlt die nötige Infrastruktur.
Die deutsche Energiewende steckt also im Stau. Nicht nur metaphorisch, sondern buchstäblich: zu lange Genehmigungsverfahren, mangelnde Infrastruktur, fehlende Investitionssicherheit und nicht zuletzt ein gravierender Fachkräftemangel sind nur einige Gründe dafür.
Wie lösen wir das Problem und was kann ich persönlich dafür tun?
In erster Linie sind all dies Probleme, die es politisch zu lösen gilt. Beschleunigte Genehmigungsverfahren, Investitionsanreize schaffen, eigene Produktion aufbauen und mehr. Aber, sagt Michael Sterner, „man kann es nicht immer nur auf die Politik schieben und sagen: Der Einzelne kann nichts machen. Denn jeder kann etwas tun – vom Mieter bis hin zum Unternehmenschef!“ So können sich Eigentümer und Unternehmer eine Photovoltaikanlage anschaffen und je nach Gegebenheit vor Ort eine Wärmepumpe installieren. Mietende können einen Teil ihres Stroms über Steckersolargeräte erzeugen. Aber auch der Austausch von alten Geräte gegen neue und energieeffiziente helfe. Überhaupt: Strom zu sparen tue nicht nur dem Portemonnaie gut, sondern helfe auch dem Klima.
Gerade junge Menschen hätten eine entscheidende Möglichkeit zu handeln. Er könne nur dazu raten, in Ingenieurs- und Handwerksberufe zu gehen, um die Energiewende praktisch umzusetzen. Nicht zuletzt brauche es zudem einen Bewusstseinswandel in Bezug auf erneuerbare Energien. Häufig herrsche bei dem Thema noch immer eine „Not in my Backyard“-Mentalität vor, so der Experte. Also die Einstellung: Bitte nicht in meiner Nähe! Gerade dem Windkraftausbau lege dies große Steine in den Weg. Auch hier könnten Einzelne aktiv werden und für Akzeptanz der Erneuerbaren in ihrem Umfeld werben. Politisch könne die finanzielle Beteiligung von Bürgern und Bürgerinnen an den Anlagen für größeres Wohlwollen der neuen Technologie gegenüber sorgen.
Zum Buch: Prof. Dr. Michael Sterner: „So retten wir das Klima – Wie wir uns unabhängig von Kohle, Öl und Gas machen“, KomplettMedia, 304 Seiten, 22 Euro