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StilfrageMein Chef duzt mich plötzlich – wie antworte ich jetzt darauf?

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Du oder Sie? Bei der Vorstellung unter Kollegen gibt es viele Stolperfallen. 

KölnVor Kurzem erhielt ich – leitende Angestellte – eine schriftliche Nachricht meines obersten Chefs. Darin duzte er mich durchgehend. Wir waren oder sind aber eigentlich per Sie. Wie sollte man darauf reagieren?

Die Auswahl zwischen dem respektvollen, aber auch distanzierten „Sie“ und dem vertrauten, aber auch schnell distanzlosen „Du“ gehört sicher zu den schwierigsten und potenziell folgenschwersten kommunikativen Entscheidungen.

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Anatol Stefanowitsch ist Sprachwissenschaftler

Eine Amtsperson (etwa eine Polizistin) zu duzen, wird im Normalfall als Beleidigung gewertet und entsprechend bestraft. Es sei denn, man kann – wie einst Musikproduzent Dieter Bohlen – vor Gericht nachweisen, dass man alle Menschen duzt. Auch Angestellte haben sich vor Gericht schon vergeblich gegen das Duzen zu wehren versucht, wenn das „Du“ zur allgemeinen Unternehmenskultur gehört.

Im Englischen gibt es das „Sie“ seit dem 17. Jahrhundert nicht mehr

Manche Sprachgemeinschaften haben es da leichter. Im Englischen verschwand spätestens im 17. Jahrhundert das dem deutschen „Du“ entsprechende intimere „thou“, so dass das vormals distanziertere „you“ (das ja dem Deutschen „Ihr“ entspricht), zur Form für alle Fälle wurde. Und in Schweden entschied man in den 1960er Jahren ganz bewusst, das intimere „Du“ zur allgemeinen Anredeform zu machen. Eine Ausnahme bildet die königliche Familie, die meist noch mit dem traditionellen „hon“/„han“, also „er“/„sie“ angesprochen wird.

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Andererseits gibt es auch Sprachgemeinschaften, die es viel schwerer haben: Im Japanischen gibt es gleich ein Dutzend unterschiedliche Anredepronomen, aus denen das auf die spezifische Situation und Beziehung zwischen den Gesprächsbeteiligten passende ausgewählt werden muss. Schon bei nur zwei Formen ist das aber eben nicht ganz einfach. Grundsätzlich gilt: In Familien- und Freundeskreis duzen wir uns; Menschen, die wir nicht oder kaum kennen, siezen wir. Schwierig wird es im Bereich dazwischen – bei entfernteren Bekannten oder eben bei der Arbeit. Hier spielen vor allem Alter und Hierarchie eine Rolle: Jüngere Leute duzen sich untereinander schneller, wir Älteren warten etwas länger.

Die ranghöhere Person entscheidet

Stehen wir auf einer Stufe in der Unternehmenshierarchie, duzen wir uns eher, wer in der Hierarchie über oder unter uns steht, wird eher gesiezt. Ab wann ein Wechsel vom „Sie“ zum „Du“ erfolgt, will sorgfältig überlegt sein, denn ein Zurück ist ohne Gesichtsverlust kaum möglich. Ob und wann dieser Punkt erreicht ist, entscheidet üblicherweise die ranghöhere Person, oder, wenn wir auf einer Stufe stehen, die ältere. Wird uns das „Du“ angeboten, wäre es eine Beleidigung, es abzulehnen.

Im Zweifel lieber keine direkte Anrede

In Ihrem Fall ist das Problem, dass es ein solches ausdrückliches Angebot nicht gab – Sie wissen also nicht, ob Ihr Chef in seiner Korrespondenz einen Fehler gemacht oder ob er Ihnen hier stillschweigend das Du angeboten hat. Angesichts des explosiven Potenzials für Missverständnisse rate ich Ihnen in diesem Fall, zunächst auf eine direkte Anrede zu verzichten. Das ist gar nicht so schwer. Statt „Wann hätten Sie Zeit für ein Gespräch?“ könnten Sie zum Beispiel schreiben „Wann wäre ein guter Zeitpunkt für ein Gespräch?“; statt „Könnten Sie mir den Jahresbericht schicken?“ hieße es vielleicht „Könnte ich den Jahresbericht bekommen?“; und statt „Haben Sie noch Anmerkungen zu meinem Vorschlag?“ etwa „Gibt es noch Anmerkungen zu meinem Vorschlag?“.

„Wie geht’s?“

In unserer Kolumne beantworten vier Experten abwechselnd in der Zeitung Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Ingeborg Arians, Protokollchefin der Stadt Köln a.D., weiß, wie man sich bei offiziellen Anlässen richtig verhält. Journalistin Eva Reik kennt sich bestens aus mit Mode und der passenden Kleidung zu jeder Gelegenheit. Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, hat die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete. Und Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren. (jf)

Senden Sie uns Ihre Fragen bitte per Mail an:Stilkolumne@dumont.de

Um Gruß- und Abschiedsformeln müssen Sie in solch einer Kommunikation natürlich erstmal herummogeln. Und dann warten Sie ganz entspannt ab, ob Ihr Chef Sie in der nächsten E-Mail (oder beim nächsten Treffen) wieder duzt. Wenn nicht, haben Sie eine potenziell peinliche Situation geschickt umgangen. Wenn doch, können (bzw. müssen!) Sie Ihn zurückduzen.