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Streitfall Testament„Es gibt da wirklich unschöne Geschichten“

Lesezeit 7 Minuten
Testament

  1. An wen geht ein Vermögen, wenn es kein Testament gibt? Als Ermittler fahndet Bernd Clasen zum Teil über Jahre nach Erben.
  2. Im ausführlichen Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger” plädiert er dafür, rechtzeitig ein Testament zu schreiben, um böse Überraschungen zu vermeiden und was dabei zu beachten ist, um Streit nach dem Tod zu vermeiden.
  3. Fallstricke gibt es viele – und weit verbreitete Irrtümer.

Herr Clasen, Sie haben sich darauf spezialisiert, rechtmäßige Erben ausfindig zu machen. Von wem werden Sie beauftragt?

In den meisten Fällen ist es das Amtsgericht. Jedes Amtsgericht ist gleichzeitig auch das Nachlassgericht. Wenn jemand stirbt, Vermögen hinterlässt und die Erben nicht bekannt sind, dann ordnet es eine so genannte Nachlasspflegschaft an. Das heißt unter anderem, es wird nach Verwandten recherchiert, die nach der gesetzlichen Erbfolge als Erben in Frage kommen. Das passiert häufiger als man denkt und kann ziemlich kompliziert werden.

Sie sind seit 25 Jahren als Ermittler im Geschäft. Wie sieht ein typischer Fall aus?

Zunächst mal grundsätzlich: Gibt es keine Kinder der Verstorbenen, erben die Eltern. Die sind meist aber schon tot. An deren Stelle treten die Geschwister der verstorbenen Person und wenn die nicht mehr leben, deren Nachkommen. Das sind dann die Verwandten zweiter Ordnung und gibt es die nicht mehr, geht es in der dritten Ordnung weiter. Das sind die Geschwister der Eltern beziehungsweise deren Nachkommen. Oft sind auch die schon verstorben und man muss nach deren Nachkommen suchen. Die zu finden, macht tatsächlich einen Großteil unserer Arbeit aus.

Das klingt aufwendig. Wie lange kann eine solche Suche dauern?

Oft hatten die Cousins oder Cousinen gar keinen Kontakt mehr oder kannten sich erst gar nicht. Sie zu finden, kann schon mal ein bis drei Jahre dauern. Wenn es schlecht läuft auch länger.

Was genau ist daran so schwierig?

Wir werden mit sehr aufwendigen Ermittlungen beauftragt, die uns oft nach Osteuropa führen. Da geht es um Familien, die durch Krieg, Flucht und Vertreibung auseinandergerissen worden sind. Versuchen Sie mal die Spuren von Kriegsverschollenen aufzunehmen. Es reicht am Ende nicht, zu sagen, dass jemand gefallen ist, sondern es müssen dafür Beweise vorgelegt werden. Das ist schon ein großer Aufwand.

Wohin mit dem Testament? Ein Nachlassgericht bewahrt das Testament sicher auf. 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir arbeiten seit zehn Jahren an einem Fall, in dem der Vater unbekannt und die Mutter Einzelkind war. Wir mussten den Stammbaum zurück bis in das frühe 19. Jahrhundert verfolgen. Wir haben 40 Erben ermittelt und wir brauchen für jeden in der Erbfolge die Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunde. Das ist auch deshalb schwierig, weil zum Beispiel die Register der Standesamtsarchive in Deutschland erst 1874 angelegt worden sind – und einige davon wurden zerstört. Für die Zeit davor müssen wir auf kirchliche Archive zurückgreifen. Da braucht es viel Spezialwissen.

Wer arbeitet für Sie?

Ich beschäftige zehn Mitarbeiter für die Verwaltung und 15, die ausschließlich ermitteln. Das sind Historiker, Juristen, Slawisten, Menschen mit hervorragenden Fremdsprachenkenntnissen, die vor allem Polnisch, Rumänisch und Tschechisch sprechen.

Das muss sich auch für Sie lohnen. Wie werden Sie bezahlt?

In der Tat werden alle Kosten aus dem Nachlass bezahlt. Das setzt das Gericht auf Antrag fest. Und natürlich muss man das Ganze wirtschaftlich sehen. Ich werde nach Stundenaufwand bezahlt. Und manchmal gehen Hunderte Arbeitsstunden dabei drauf. Wenn jemand nur 20.000 Euro hinterlässt und sich die Ermittlung nach ersten Einschätzungen kompliziert darstellt, dann lohnt es sich nicht. Der Nachlass würde von den Kosten aufgezehrt. Dann macht der Fall keinen Sinn.

Was passiert dann mit einem solchen Nachlass?

Das Erbe wird als Geld beim Amtsgericht hinterlegt und geht nach 30 Jahren an den Staat über.

Suchen Sie nach allen Erben, die noch leben?

Nein. Wir suchen auch nach Erben, die nach dem Tod des Erblassers gestorben sind. Sie waren schließlich rechtmäßige Erben und wir müssen herausfinden, wer nun an deren Stelle tritt. Das heißt, das Ganze geht dann von vorne los. Wir haben einen Fall mit 40 Erben, von denen 35 nachverstorben sind. Für jeden läuft ein eigenes Verfahren.

Wie reagieren die Erben, die so unverhofft an Geld kommen?

Ich erlebe es ganz häufig, dass es den Leuten total unangenehm ist von Menschen etwas zu erben, die sie gar nicht kannten oder mit denen sie gar keinen Kontakt hatten.

Zur Person

Bernd Clasen, 63, ist Testamentsvollstrecker, Nachlasspfleger und -verwalter sowie Erben-Ermittler in Hamburg. Seit 1998 gehört er der Deutschen Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge (DVEV) an und leitet die Arbeitsgemeinschaft Nachlasspflegschaft in der DVEV mit. Er sitzt im Präsidium des Bundes Deutscher Nachlasspfleger e.V. (BDN).

www.bernd-clasen.de

Das heißt, Sie müssen sie davon überzeugen, dass Erbe nicht auszuschlagen?

Ich muss mit viel Geduld auf die Menschen zugehen und ihnen sagen, dass jeder Geld gebrauchen kann. Wenn sie es nicht wollen, sie es auch spenden können. Außerdem glauben viele, das Ganze ist ein Fake und sie sitzen möglicherweise einem Betrug auf. In der Tat kursieren ja die schlimmsten Maschen. Ich kann dann mit gerichtlichen Bestellungsurkunden und meinem ermittelten und detaillierten Wissen über die verwandtschaftlichen Verhältnisse belegen, dass alles mit rechten Dingen zugeht.

Wann weiß man, dass man es mit unseriösen Ermittlern zu tun hat?

Ganz einfach. Wer unseriös ist, verlangt im Voraus Geld für Gebühren oder Ähnliches. Das riecht sofort nach Betrug.

Was, wenn doch ein Testament auftaucht?

Das passiert in den wenigsten Fällen. Ich gucke ja als Nachlasspfleger auch in der Wohnung sehr sorgfältig nach und man findet Testamente in der Tat meist in Schubladen oder in Akten. Ich habe allerdings auch schon Testamente in Büchern gefunden. Das sollte man tunlichst vermeiden.

Welcher Ort ist der beste Platz für ein Testament?

Es zu verstecken, ist Quatsch. Dann findet es niemand. Auch im Schließfach ist es ungünstig. Da kommt man nicht ran – oder es kann dauern. Wenn ich ein Testament privatschriftlich verfasse, dann sollte ich es beim Amtsgericht gegen eine geringe Gebühr aufbewahren lassen. Das kostet 75 Euro und man hat die Gewissheit, dass das Testament im Sterbefall tatsächlich zur Kenntnis genommen wird. Oder man lässt sich gleich von einem Notar helfen.

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Und wenn man das Testament ohne Notar verfassen will?

Es gibt klare Vorgaben. Jedes Testament braucht eine Überschrift. Sei es, dass es Testament oder Letzter Wille heißt. Es muss vollständig mit der Hand geschrieben und unterschrieben sein. Ausdrucken und unterschreiben, reicht nicht. Das passiert aber häufig und das Testament ist dann unwirksam, als hätte man keines geschrieben. Dann wäre es von Vorteil, das Testament zu datieren. Denn es gibt Menschen, die ziemlich oft das Testament ohne Datum ändern und schließlich weiß niemand, welches nun gelten soll. Deshalb wäre es auch sinnvoll, neben dem Datum den Hinweis hinzuzufügen, dass mit diesem Testament alle vorigen aufgehoben werden.

Ihr Geschäft funktioniert ja nur, weil sich viele Deutsche erst gar nicht um ihren Nachlass kümmern. Nur jeder vierte verfasst ein Testament. Wieso tun sich Menschen so schwer damit?

Ich glaube, weil der eigene Tod einfach ein Eingeständnis der eigenen Sterblichkeit ist. Das ist für viele schrecklich. Und manche scheinen zu glauben: Wenn ich das Testament jetzt mache, sterbe ich bald danach. Andere nehmen sich vor, ihr Nachleben zu regeln, verschieben es dann bis es zu spät ist. Dann gibt es natürlich Menschen, die einfach nichts haben und deshalb kein Testament brauchen.

Es gibt auch viele Ehepaare, die schlicht davon ausgehen, dass sie nichts regeln müssen, weil der Partner automatisch alles erbt.

Ja und das ist ein großer Irrtum. Denn die Eltern des Verstorbenen erben einen Teil, nämlich 25 Prozent, mit. Und wenn sie tot sind, dann sind es die Geschwister des Verstorbenen. Die stehen dann plötzlich vor der Tür und wollen ihren Anteil. Häufig haben die Paare aber nichts an Geld angespart, sondern besitzen ein Haus. Um den Miterben auszubezahlen, muss am Ende das Haus verkauft werden. Es gibt da wirklich unschöne Geschichten.

Selbst wenn Ehepaare ein gemeinschaftliches Testament verfassen, kann es Probleme geben.

Bei einem gemeinschaftlichen Testament gibt es eine Bindungswirkung. Das heißt, wenn zum Beispiel der Mann stirbt, kann seine Frau das Testament nicht mehr ändern. Auch wenn sie noch 30 Jahre lebt, nochmal heiratet und Kinder bekommt. Das kann manchmal schrecklich sein und kommt wirklich oft vor. Das kann man nur vermeiden, wenn man ausdrücklich ins Testament schreibt, dass es vom Überlebenden nochmal umgeschrieben werden darf und anders über den Nachlass verfügt werden kann.

Das heißt, wer kein Testament macht, hinterlässt Probleme?

Jeder ist für sich verantwortlich, über seinen Tod hinaus. Die gesetzliche Regel, die ohne Testament greift, wirkt oft nicht im gewünschten Sinne.