Radikaler KonsumstreikSechs Jahre lang nicht shoppen – wie geht das?
- Einfach nichts mehr kaufen, was man nicht unbedingt zum Leben braucht: Geht das, und wenn ja – wie?
- Christiane Schwausch hat genau das getan – und über ihre Erfahrungen ein Buch geschrieben. Die Konsumkritikerin erzählt im Interview davon, mit welchen Strategien ihr Vorhaben gelang und warum sie dafür auch auf Joker setzte.
- Außerdem erklärt sie, was sie für ihren neuen Lebensstil unbedingt braucht – Youtube gehört auch dazu.
Frau Schwausch, was haben Sie sich zuletzt gekauft?
Es war Unterwäsche, ja, tatsächlich. Das war nach nunmehr sechs Jahren etwas nötiger geworden.
Vor sechs Jahren haben Sie den Entschluss gefasst, ein Jahr lang nichts mehr zu kaufen – außer dem, was man zum Leben braucht. Warum?
Ich habe damals einen Menschenrechts-Master gemacht und in der Entwicklungshilfe gearbeitet. Mir ist aufgefallen, wie ausbeuterisch wir eigentlich leben. Danach hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, etwas falsch zu machen. Ich kann nicht kaufen, was ich möchte, ohne dass dafür ein anderer Mensch oder die Umwelt einen hohen Preis bezahlt. Außerdem habe ich gemerkt, dass ich einfach genug Zeug hatte.
Sie sind nicht gleich in den Konsumstreik getreten. Mit welchem Anspruch genau sind Sie gestartet?
Ich dachte, ich kann ja mal ein Jahr lang nichts kaufen und schauen, inwiefern ich etwas über Alternativen lerne. Und immer wenn ich ein Bedürfnis nach etwas habe, schaue ich, wie es hergestellt wird und ob ich es wirklich brauche.
Gab es in all den Jahren eine überraschende Erkenntnis?
Nach ein paar Monaten war mir klar, dass ich in der Tat nichts zusätzlich brauche. Und ich habe gemerkt, dass doch viele Menschen das Thema Nachhaltigkeit und Fairness beschäftigt. Ich erinnere mich, ich hatte in der Zeit meine Mütze verloren, mir war kalt und eine Freundin meinte, kauf’ dir halt eine neue. Ich erzählte ihr von meinem Vorsatz, wir diskutierten lange – bis sie sagte: Mach doch eine Kampagne draus.
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Sie haben dann eine Art Online-Gemeinschaftsspiel daraus gemacht.
Ich habe andere dazu eingeladen, ein Jahr lang einfach mal kein Zeug zu kaufen – und Zeug definiert als Gebrauchsgüter wie zum Beispiel Möbel, Klamotten und Handy. Dabei hat aber jeder zwei Joker. Jeder kann sich also zwei Dinge kaufen. Denn ich wollte niemanden total unter Druck setzen, sondern erreichen, dass jeder Mitspieler sich bewusst überlegt, was er warum braucht und ob er es sich nicht leihen, reparieren, oder sogar selber machen kann. Nach dem Motto, wir brauchen das Loch in der Wand und nicht die Bohrmaschine.
Wie viele Leute haben Sie damals überzeugen können?
Wir haben eine Facebook-Gruppe eröffnet und im Countdown auf das Konsumfest Weihnachten 24 Gründe gepostet, warum man diese Auszeit probieren sollte. Zum Anfang des Jahres konnten wir 1000 Leute davon überzeugen, haben das aber nicht weiter kontrolliert.
Für einige war es nach einem Jahr vorbei, Sie sind heute noch dabei.
Wenn ich eine Entscheidung treffe, lege ich sie ab und denke nicht mehr darüber nach. Für mich ist es jetzt das Normalste der Welt, einmal um die Ecke zu denken, um ans Ziel zu kommen.
Haben Sie ein Beispiel?
Eigentlich ist alles, was man braucht, schon da. Etwa Klamotten. Ich tausche oder leihe. Man muss einfach nur mal nachfragen.
Haben Sie durch Ihren neuen Lebensstil Geld gespart?
Nein. Die Kosten haben sich nur verlagert. Das Geld geht in Kultur, Reisen und Lebensmittel. Und das ist teuer, wenn man nicht mehr fliegen und vorrangig Bioware kaufen möchte.
Braucht es eine Grundausstattung, um kein Zeug mehr kaufen zu müssen?
Ich habe tatsächlich sehr viel Werkzeug und eine Nähmaschine. Und man braucht Youtube – da kann man alles lernen, selbst wie man eine Waschmaschine repariert. Das ist sensationell gut.
Zur Person
Christiane Schwausch, 35, ist Aktivistin, Vorstandsvorsitzende des Vereins Genug.org und Mitverfasserin des Buches „Das Gute Leben für Alle“
Hat Sie der neue Lebensstil zufriedener gemacht?
Es ist mehr Ruhe da. Ich kann jetzt über den Flohmarkt schlendern, ohne mich mit dem Gedanken zu stressen, etwas kaufen zu müssen. Grundsätzlich ist die Anzahl der Entscheidungen geringer geworden.
Kann der Anspruch, alles richtig machen zu wollen, nicht auch wahnsinnig stressen?
Jetzt, wo wir darüber reden, frage ich mich, ob die Ruhe nicht dadurch ausgehebelt wird, dass ich zehn Mal überlege, wo ich ein anderes Laken herkriege. Aber wissen Sie, es bedarf ja nicht einer Person, die alles perfekt macht, sondern es bedarf mehrerer Millionen Menschen, die es unperfekt angehen. Diesen Satz habe ich mal gehört und er hat mich sehr angesprochen.
Viele sprechen jetzt schon von einer Zeitenwende, was das öffentliche Bewusstsein für Nachhaltigkeit betrifft. Sehen Sie das genauso? Ist es heute leichter, Mitstreiter zu gewinnen?
Es lag damals schon in der Luft, bewusster zu konsumieren. Ich denke, heute handele ich ganz im Zeitgeist. Es reicht vielen nicht mehr, nur alle vier Jahre bei den Wahlen Einfluss zu nehmen. Viele fangen jetzt bei sich selbst an. Und das führt zu weiteren Schritten.
Welche Schritte müssten denn ihrer Meinung nach folgen, um den Konsumverzicht zu erleichtern?
Ich würde mich natürlich freuen, wenn es eine autofreie Stadt gäbe, in jedem Kiez ein Repair-Café, einen Unverpackt-Laden und Tauschangebote, die professionell organisiert würden.
Buchtipp
Christiane Schwausch: „Das Gute Leben für Alle. Wege in die solidarische Lebensweise“, Oekom Verlag, München 128 Seiten, 20 Euro
Wo genau stoßen Sie denn heute an Ihre Grenzen?
Man kommt mit seinem eigenem Handeln nur bis zu einem gewissen Maße weiter und es stellt sich die alte Frage, ob es ein richtiges Leben im Falschen gibt.
Dann sind wir bei der Systemkritik – und bei dem Wunsch nach einer Postwachstumsökonomie. Werden Sie ernst genommen?
Viele denken wahrscheinlich, lass’ sie mal machen. Andere fragen mich, ob wir wieder in den Kommunismus zurückwollen. Darum geht es natürlich gar nicht. Mir geht es um Kooperation, Solidarität und vor allem Suffizienz. Also um die Frage, ob wir nicht einfach schon längst genug von allem haben. Wir leben derzeit mit unserem Konsumverhalten über unsere Verhältnisse und die Welt geht daran zugrunde. Das zu ändern, ist etwas, das ausgehandelt werden muss. Die Menschen müssen dazu bereit sein. Das kann man nicht radikal verordnen, aber ich wünsche mir natürlich, dass es schneller ginge, um nicht am Ende doch noch in der Klimakatastrophe zu enden.
Haben Sie die Hoffnung, dass die künftigen Konsumenten, also diejenigen, die jetzt auf die Straße für den Klimaschutz gehen, eines Tages andere Kauf-Entscheidungen treffen?
Wenn man als Jugendlicher derart politisiert wird, kann ich mir nicht vorstellen, dass man später zum Hardcore-Kapitalisten wird – auch wenn man Geld hat. Ich hoffe, dass die Bewegung noch mehr an Momentum gewinnt und noch mehr vor Ort gemacht wird. Klima ist eine große abstrakte Sache, aber allein auf nachbarschaftlicher Ebene kann man schon etwas bewirken.
Haben Sie deshalb auch den Verein gegründet?
Ja, mit unserem Verein genug.org wollen wir weiterhin das Jahr ohne Zeug begleiten, Tauschveranstaltungen und Nachhaltigkeitsfeste organisieren und darüber hinaus den Gedanken der Suffizienz in den öffentlichen Diskurs tragen. In der Mainstream-Debatte geht es häufig um Effizienz, also um technische Lösungen, nicht darum, wie wir leben wollen. Darum, dass wir besser das Drei-Liter-Auto statt dem Sieben-Liter-Auto fahren. Aber nicht darum, ob jeder grundsätzlich ein Auto braucht.
Zu diesem Thema wollen Sie auch eine Veranstaltung aus Köln nach Berlin importieren?
Ja. Wir haben mit dem Gründer vom „Tag des Guten Lebens“ Kontakt aufgenommen. Wir wollen im kommenden Jahr auch mehrere Kieze einen Tag lang vom Verkehr befreien, diskutieren, gemeinsam in der Nachbarschaft auch über die Veranstaltung hinaus initiativ werden. Wäre doch schön, wenn solche Initiativen durch die Republik getragen würden.
Was würden Sie gerne an Ihrem Verhalten noch ändern?
Ich würde gerne mehr unverpackte Sachen kaufen und mehr Müll vermeiden. Der nächste Unverpackt-Laden ist aber ziemlich weit weg. Dazu müsste ich mich aufraffen.
Kein Zeug kaufen ist am Ende sehr unspektakulär?
Richtig. Es ist gar nicht so schlimm. Ich sehe auch normal aus. Die Wohnung auch.
Was holen Sie sich für Ihren nächsten Joker?
Ich denke tatsächlich noch mehr Unterwäsche.