Schimmel-Experte„Wir haben verlernt, wie richtiges Wohnen geht – deshalb schimmelt's“
Köln – Nein, besonders sexy sei sein Spezialgebiet nicht, gibt Jürgen Jörges zu: „Man muss schon besonders hartgesotten sein, um mir zu folgen.“ Schimmel, überall Schimmel, das ist selten angenehm. Deshalb kann der 55-Jährige ganz gut damit leben, dass seine 23 Jahre alte Tochter Jessica im „familieninternen Social-Media-Battle“ die Nase vorn hat. Egal wer die meisten Klicks bekommt, am Ende ziehen die Jörges’ an einem Strang. Auch mit der Hilfe von Mutter Kirsten und Sohn Lars (19) mischen Vater und Tochter die digital oft etwas altbackene Zunft der Maler und Lackierer auf und zeigen, wie modernes Marketing im Handwerk gehen kann.
Jürgen Jörges ist Malermeister und Schreinermeister und hat sich als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger im Maler- und Lackierer-Handwerk einen Namen als Schimmel-Experte gemacht. Als seine Tochter nach ihrem Abitur im Betrieb des Vaters eine Maler-Lehre begann, startete sie ihren Blog „BunteZukunft“. Ihr Credo: Wer erfolgreich sein will, muss nicht unbedingt studieren. Ihr Beweis: Sie selbst. Mit 23 Jahren ist sie Meisterin und fünftbeste Malerin der Welt. Bei der WM der Berufe (ja, so etwas gibt es!) musste sie 2019 nur vier internationalen Kollegen den Vortritt lassen.
Ihrem Vater zeigte sie mit ihren Online-Aktivitäten eine Welt auf, mit der er sich bis dahin noch nicht so richtig befasst hatte. Zum ersten Mal beschäftigte er sich ernsthaft mit den Zugriffszahlen seiner Homepage – und erkannte Verbesserungspotenzial. „Damals hatte ich 80 bis 90 Besucher pro Monat“, erzählt Jörges. „Im vergangenen Dezember waren es 3400.“
Der „Schimmel-Schimanski“ ist multimedial unterwegs
Aus dem Maler-Meister mit besonderer Schimmel-Expertise ist der „Schimmel-Schimanski“ geworden. Keiner erklärt so anschaulich und unterhaltsam wie er, was es auf sich hat mit dem fiesen Mitbewohner, den niemand haben will. Seine Mission: „Ein schimmelfreies Leben für Jedermann.“ Sein Weg: Blogbeiträge, kostenlose Tipps auf seiner Homepage, Facebook-Posts, ein Podcast – und nun ein Buch.
Im Januar ist „Schimmel, Arsch und Zwirn“ von Jürgen Jörges erschienen. Kein sexy Thema, nein. Und doch erzählt Jörges so erstaunlich spannend, lustig und informativ vom Schimmel, dass es Spaß macht, über „mikrobielle Schäden“, so der offizielle Terminus unter Fachleuten, in unseren Wohnungen und Häusern zu lesen. „Ich habe so geschrieben, wie ich rede“, sagt er. „Ich wollte, dass das Buch für den Otto-Normal-Verbraucher gut lesbar ist. Ein ernster Hintergrund, aber keine hochwissenschaftliche Abhandlung, sondern verständlich. Ich will den Schimmel mal näher an die Menschheit bringen.“
Schimmel gehört zum Leben dazu
Im übertragenen Sinne natürlich. Nah am Menschen ist der Schimmel ja ohnehin. Er gehört zu unserer Welt, zu unserem Leben. Er ist anspruchslos (braucht nur etwas Wasser und kann bei Temperaturen zwischen 0 und 60 Grad Celsius wachsen), extrem teamfähig (tut sich gern mit anderen Gattungen und Arten oder auch Bakterien oder Milben zusammen) und mit einer wichtigen Aufgabe betraut: Aufräumen.
„Schimmelpilze zersetzen gnadenlos alles, was sich irgendwie zersetzen lässt. Damit sind sie in der Natur ein wichtiger Bestandteil des Kohlenstoffkreislaufs“, schreibt Jörges in seinem Buch. Ohne Schimmelpilze gäbe es im Wald keine frische Erde. Und wir müssten etwa auf Edelsalami, Gorgonzola-Käse oder ein schönes Bier verzichten.
Schimmel sei nicht „böse“
Deshalb mag Jörges es nicht, wenn Schimmel als „böse“ bezeichnet wird. „Oft macht der Schimmel ja ganz viel Gutes“, sagt er. „Ohne Schimmel hätten wir zum Beispiel kein Penicillin.“ Diese antibiotisch wirksame Substanz wird von Schimmelpilzen gebildet. In Wohnräumen habe Schimmel aber natürlich nichts zu suchen. Da ist der Schimmel-Schimanski unerbittlich. „Nicht jeder Schimmel ist offensichtlich. Manchmal gleicht mein Tun akribischer Polizeiarbeit. Es dauert, bis ich den Täter finde.“
Um sein Buch zu promoten, hat Jürgen Jörges zu dessen Erscheinen „Eventboxen“ verkauft. Darin unter anderem ein handsigniertes Exemplar, der Zugangscode zu einer digitalen Buchpremiere – und eine gelbe Quietsche-Ente. Warum das? Weil unsere Panik vor dem „bösen“ Schimmel an der Wand nicht immer angebracht ist. Wenn etwa gleichzeitig die Orange in unserem Mülleimer munter weiterschimmeln darf oder unsere Kinder in der Badewanne an einer dieser Gummi-Enten mit dunklem Mageninhalt nuckeln. „Da sind zigtausendmilliarden Schimmelsporen drin“, sagt Jörges, „aber der Fleck an der Wand ist böse.“ Der Experte wünscht sich weniger Hysterie in Sachen Schimmel. Um den Fleck kümmert er sich dann schon.
Der Schimmel-Fahnder muss immer häufiger ausrücken
Er müsse immer häufiger ausrücken, um Schimmelprobleme zu lösen, sagt Jürgen Jörges. Seine Erklärung: „Wir haben verlernt, wie richtiges Wohnen geht, wir wohnen nicht mehr achtsam genug.“ Schuld am Schimmelpilzbefall ist immer Wasser, ohne können sich die kleinen Organismen nicht vermehren.
In unserer Raumluft schwirren Schimmelsporen umher, das lässt sich nicht ändern und muss uns nicht stören. Finden sie jedoch einen organischen Nährboden (eine Wand oder Fuge etwa) und Feuchtigkeit (also Wasser), entsteht aus den Sporen ein Fadengeflecht, eine Art Wurzelwerk, genannt Mycel. Ist es groß genug, wachsen die Sporenträger, genannt Hyphen, an denen sich millionenfach neue Sporen bilden, die sich dann durch die Luft auf den Weg machen. Und so geht der Kreislauf immer weiter.
Nun gibt es zwei Möglichkeiten, woher das Wasser kommt, das dem Schimmel hilft: Einen baulichen Defekt. Oder menschliches Fehlverhalten. Eine kaputte Wasserleitung oder eine fehlende Dichtung können für den schimmeligen Ärger verantwortlich sein.
Oder aber es liegt an uns. Weil wir viel duschen und wenig lüften. Weil wir viel arbeiten und keine Zeit mehr haben, unsere Bettdecken aus dem Fenster zu hängen. Weil wir noch schnell das Dampfbügeleisen anschmeißen, bevor wir hinaus eilen und die selbst produzierte Feuchtigkeit allein zu Hause lassen. „Früher gab es Schränke mit Füßchen, da hat es durchgezogen. Heute kommt der Einbauschrank direkt an die Wand und einen Frühjahrsputz, bei dem viele Sporen einfach mal weggewischt wurden, gibt es kaum noch“, sagt Jörges. „Ich sage nicht, zurück zur alten Zeit und wieder leben wie die Oma. Auch ich genieße das moderne Leben. Aber es bedarf einer gewissen Disziplin, wenn es um gesundes Wohnverhalten geht.“
Schimmelbefall findet sich schon in der Bibel
Also war früher alles besser und der Schimmelpilz im Wohnraum ist ein Produkt der Neuzeit? Nein, so ist es nun auch wieder nicht. Selbst in biblischer Vergangenheit kannten die Menschen das Problem des Schimmelbefalls. Jürgen Jörges hat im 3. Buch Mose, Kapitel 14, eine wunderbare Anleitung zum Umgang mit der unangenehmen Plage gefunden, die zusammengefasst lautete: Eigentümer informieren, Sachverständigen rufen, sanieren. „Der Sachverständige war damals der Priester, weil die was weiß ich was dachten, was das für böse Sachen sind da an der Wand“, sagt Jörges. Wohnung ausräumen, Putz abschlagen, Schutt wegräumen an einen unreinen Ort außerhalb der Stadt, neu verputzen – so lauteten die Anweisungen. „Das habe ich mir nicht ausgedacht, das steht genau so in der Bibel“, schiebt Jörges sicherheitshalber noch hinterher.
Auch im Logbuch der Bounty, dem legendären Dreimaster der britischen Admiralität aus dem 18. Jahrhundert, hat Jörges schimmelige Hinweise gefunden. Damals habe es eine Anordnung des ersten Offiziers gegeben, die Segel regelmäßig zu lüften. Die Matrosen widersetzten sich – und die Segel verschimmelten in ihren Kisten.
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Jörges gefallen diese Beispiele aus vergangenen Zeiten. Denn sie passen zu dem, was er zu vermitteln versucht. Die Anweisungen in der Bibel bedeuteten lediglich eine Behandlung der Symptome. Nach den Ursachen für den Schimmelbefall wurde nicht geforscht. Das sei auch heute oft das Problem, so der Experte. „Ein Anstrich mit einer Schimmelfarbe ist keine Schimmelsanierung. Und nicht jeder Befall ist mit Heizen und Lüften zu beseitigen.“ Auch auf der Bounty sei geschehen, was sich heute in vielen unserer Wohnungen und Häusern abspielt und von Jörges kurz und knapp so auf den Punkt gebracht wird: „Schimmelbefall durch Disziplinlosigkeit.“