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„Unheimlich schwierig zu entkommen“Wann es für Kinder gefährlich ist, im Sand zu buddeln

Lesezeit 6 Minuten
Ein Schwimmtier und Sandspielzeuge liegen im Sand. (Symbolbild)

Ein Schwimmtier und Sandspielzeuge liegen im Sand. (Symbolbild)

Wer an möglichen Gefahren am Strand für Kinder denkt, dem fällt Sand wahrscheinlich nicht als Erstes ein. Worauf Eltern achten sollten und was im Notfall zu tun ist.

Der Strand ist für Familien einer der schönsten Zeitvertreibe im Urlaub, gleichzeitig ist er ironischerweise ein Ort, an dem viele potenzielle Gefahren für Kinder lauern. Ihre Haut muss mit Lichtschutz vor der UV-Strahlung der Sonne geschützt werden, die durch das Wasser zusätzlich reflektiert und verstärkt wird.

Sie sollten außerdem nicht zu tief ins Wasser gehen, um zu vermeiden, dass sie von starken Wellen erwischt werden und sich nicht mehr über Wasser halten können. Und auch eine andere mögliche Gefahrenquelle befindet sich am Strand, die viele für harmlos halten: Sand.

Gefahren am Strand: Mehr Tote durch einstürzende Sandlöcher als durch Haiangriffe

Damit sind nicht etwa die kleinen Häppchen gemeint, die manche Kleinkinder vom Sand naschen. Die Gefahr geht zwar selten, aber dennoch zu oft von einem geliebten Hobby vieler Kinder aus: dem Buddeln im Sand. Natürlich ist es längst nicht immer gefährlich, wenn Kinder kleine Löcher schaufeln.

Aber harmlos sind Sandlöcher eben auch nicht immer: Erst vor Kurzem sind zwei deutsche Kinder gestorben, nachdem sie in Dänemark am Strand in einer Düne eine Art Höhle gruben und daraufhin durch einen plötzlichen Erdrutsch unter Sand verschüttet wurden.

Ob das Graben zum Erdrutsch führte, ist bislang noch nicht abschließend geklärt. Tatsächlich kommt es unabhängig davon immer wieder beim Buddeln von Sandlöchern zu tragischen Unfällen. Ein siebenjähriges Mädchen starb im Februar in Florida, nachdem sie und ihr Bruder ein Sandloch buddelten, das einstürzte.

Die genaue Zahl der jährlichen Unfälle ist nicht bekannt, jedoch untersuchte eine im „New England Journal of Medicine“ veröffentlichte Studie Fälle zwischen 1997 und 2007. Das Ergebnis: Allein in den USA starben 31 Menschen durch einstürzende Sandlöcher. Statistisch gesehen sterben sogar mehr Menschen dadurch als durch Haiangriffe, informiert die Florida International University.

Sandlöcher zu buddeln mag harmlos erscheinen, aber wenn das Loch tief genug ist und auf eine Person einstürzt, ist es unheimlich schwierig zu entkommen.
Stephen P. Leatherman,; Geowissenschaftler

„Sandlöcher zu buddeln mag harmlos erscheinen, aber wenn das Loch tief genug ist und auf eine Person einstürzt, ist es unheimlich schwierig zu entkommen“, erklärte der US-amerikanische Geowissenschaftler Stephen P. Leatherman im Juli in einer Mitteilung der Florida International University. Er half im Februar dabei, den Tod des siebenjährigen Mädchens zu untersuchen. Zahlreiche Menschen versuchten damals, das Mädchen zu befreien. Die Versuche waren zwecklos. Die Feuerwehrleute erreichten den Unfallort erst Minuten nach dem Einsturz und konnten das Kind nicht mehr wiederbeleben.

Doch wie kommt es überhaupt zu einem solchen Einsturz? Kinder stabilisieren die Wände eines Sandlochs häufig mithilfe von Wasser. „Sand ist stabiler, wenn er nass ist, weil die Oberflächenspannung zwischen Wasser und Sandkörnen den Sand vertikal fixieren kann“, informiert Leatherman. Das ist auch der Grund, warum Sandburgen im feuchten Zustand so stabil aussehen. Das Problem beginnt oft dann, wenn der Sand trocknet – und das kann bei praller Sonne und Wind schnell passieren. Denn damit verschwindet auch die Oberflächenspannung.

„Wenn entweder der Sand trocknet, der das Loch formt, oder jemand in der Nähe des Rands des Lochs steht und für zusätzliches Gewicht sorgt, stürzt das Sandloch ein – und die schweren Sandkörner füllen den gesamten offenen Raum in diesem Loch“, sagt Leatherman. Wenn sich Menschen dabei im Loch befinden, stürzt teils eine gewaltige Menge an Sand herunter.

Nach Leathermans Schätzung wiegt trockener Sand allein pro Kubikfuß Strand ungefähr 58 Kilogramm. Das entspricht einer Fläche von je knapp 30 Zentimeter Höhe, Breite und Länge. Sandlöcher, die Kinder buddeln, sind dabei oft so groß, dass ein oder zwei Kinder reinpassen. Dementsprechend könnten laut Leathermans Rechnung Hunderte Kilo Sand auf sie stürzen, wenn sie sich im Loch befinden.

Dieses Gewicht erschwert auch die Rettung der Kinder – und zusätzlich ist die Instabilität trockenen Sandes problematisch. „Wenn Retter den Sand wegschaufeln, um die Opfer zu befreien, wird das Loch weiterhin unter dem Gewicht der Retter einstürzen und sich mit Sand neu auffüllen“, so Leatherman. Deswegen würden Feuerwehrleute bei einem Rettungseinsatz Bretter rund um das Loch legen, um zu verhindern, dass weiterer Sand in das Loch stürzt. Dann könnten sie den Sand wegschaufeln, ohne zusätzliches Gewicht auf die Ränder des Lochs zu lagern.

Um Unfallopfer aus dem Sand zu befreien, bleiben den Rettungskräften nur drei bis fünf Minuten. Das Problem ist, dass Sand keinen Raum zum Atmen lässt. „In Lawinen gefangene Skifahrende können mit ihren Händen eine Atemhöhle formen, weil Schnee leicht ist – doch das ist nicht der Fall, wenn Sand einstürzt“, schreibt Leatherman. Wer im Sand gefangen ist, hat folglich nur Minuten, bevor sie oder er erstickt.

Diese Gefahr besteht nicht nur bei Sandlöchern auf ebenen Strandflächen. Auch Dünen könnten einstürzen, wenn darin gebuddelt wird, wie der tragische Unfall in Dänemark suggeriert. Die beiden gestorbenen Jungs waren nach bisherigen Erkenntnissen der Polizei dabei, eine Art Höhle in die Dünen zu graben. „Sie sind von den Dünen gesprungen und wollten gerade ein Loch graben“, sagte Benny Bak, Leiter der Rettungsstation des kleinen Küstenorts Nørre Vorupør. Sein Kollege habe ihnen gesagt, sie sollten von dort wegkommen, weil es dort gefährlich sei und einstürzen könnte.

Das Graben könnte einen plötzlichen Erdrutsch ausgelöst haben. Weil es in jüngster Zeit kräftig geregnet hatte, wird auch für möglich gehalten, dass sich das Risiko für Erdrutsche an den Küsten dadurch erhöht hat. Geklärt ist die Unglücksursache noch nicht. Die dänischen Behörden hatten die beiden Vorfälle zum Anlass genommen, um zum Start der Woche davor zu warnen, dass nasses Wetter die Dünen instabil machen könnte.

Dies erhöhe das Risiko von Einstürzen, warnten diverse Behörden. Nach dem Erdrutsch lagen die Jungen dann unter riesigen, schweren Sand- und Grasklumpen. Erst mit einem Traktor und Draht hätten die Ersthelfer diese Erdmassen beseitigen können. Die Jungen erlagen schließlich im Krankenhaus ihren Verletzungen.

Kinder müssen nicht gänzlich auf das Buddeln verzichten, um einen tödlichen Unfall am Strand zu verhindern. Allerdings ist es wichtig, dass Eltern und andere Erziehungsberechtigte auf einige Sicherheitsvorkehrungen achten. „Fachleute raten dazu, niemals ein Loch zu graben, das tiefer als die Kniehöhe der kleinsten Person in der Gruppe ist“, sagt Leatherman. 60 Zentimeter sollte außerdem die maximale Tiefe des Lochs sein. Wichtig ist auch, dass Kinder niemals in Dünen buddeln sollten, da dort die Gefahr eines Erdrutsches besteht.

Wenn Strandbesucherinnen und -besucher bemerken, wie Kinder oder auch Erwachsene unter Sandmassen verschüttet werden, ist schnelles Handeln gefordert. Allerdings sollten nur maximal zwei bis drei Menschen daran arbeiten, die Unfallopfer aus dem Sandloch zu befreien. Denn wenn sich zu viele Menschen um das Loch herum befinden, könnte noch mehr Gewicht auf den im Sand gefangenen Menschen lasten.

Der Rest sollte sich um weitere Aufgaben kümmern, etwa darum, den Notdienst zu rufen – und in der weiteren Umgebung der Unfallstelle den Sand beiseite zu schaufeln. „Die Menschen im äußeren Umkreis können Sand von dem zentralen Bereich fernhalten, indem sie alles Mögliche benutzen – von Eimern und Schaufeln bis hin zu Standstühlen und Bodyboards“, rät Leatherman.

Wenn möglich, sollten Retterinnen und Retter Bretter – etwa Bodyboards – an den Rändern des Lochs platzieren, um zu verhindern, dass weiterer Sand durch ihr Gewicht ins Loch stürzt. So, wie es laut Leatherman auch Feuerwehrleute machen. Während man versucht, die Menschen im Sandloch zu befreien, sollte man sich dem Experten zufolge darauf fokussieren, möglichst den Mund zuerst von Sand zu befreien.

„Wenn der Mund befreit ist, kann man eine Mund-zu-Mund-Beatmung beginnen, während andere Retter weiterhin daran arbeiten, die Brust weiter freizugraben“, sagt Leatherman. Viele, die einen derartigen Unfall überleben, benötigten eine Herz-Lungen-Wiederbelebung. Eine Anleitung für eine Herz-Lungen-Wiederbelebung bei Kindern finden Sie beim Deutschen Roten Kreuz unter diesem Link.