GastkommentarDie Abschaffung des Schulfachs SoWi ist ideologisch motiviert
- Felix Banaszak ist seit 2018 Vorsitzender der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Zuvor war er Sprecher der Grünen Jugend, der Jugendorganisation der Partei.
Manchmal reicht es, in der Politik ganz genau auf die verwendeten Begriffe zu schauen. CDU und FDP haben in Nordrhein-Westfalen ein neues Schulfach eingeführt – Wirtschaft/Politik. Jetzt soll sich an den Universitäten im Land einiges an der Lehrerausbildung ändern. Denn auch dort soll künftig Wirtschaft/Politik studiert werden und nicht mehr die seit 50 Jahren etablierten Sozialwissenschaften. Dabei macht schon allein die Reihenfolge im Namen des neuen Fachs klar, um was es hier vorrangig gehen soll: Wirtschaft – und nachgeordnet Politik. Es zählt die Wirtschaft, der dann die Politik folgt, sich an ihr auszurichten hat. Und die Gesellschaft bleibt ganz außen vor.
FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer will die Sozialwissenschaften (SoWi) ersetzen. Ein Fach, das politische Bildung mit Soziologie und Ökonomie verbindet. Eines, das genau jenen übergreifenden Ansatz verfolgt, den Politiker gern von den Schulen fordern. Durch die Kombination der drei Bereiche ermöglicht SoWi den Schülern, unsere komplexe Welt zu erfassen und sich selbstbestimmt und reflektiert in ihr zu bewegen.
Doch genau daran haben die FDP und ihre Schulministerin offenkundig wenig Interesse. Es gehe ihr um „ideologiefreie Schulpolitik“, sagt die Ministerin Gebauer. Und handelt mit der SoWi-Abschaffung doch genau so: ideologiegetrieben. Wer den Menschen hauptsächlich als Konsumenten sieht, der hat natürlich wenig Interesse daran, dass dieser die bestehenden Verhältnisse in Frage stellt. Dahinter steckt ein einseitiges Wirtschaftsverständnis, auf den Punkt gebracht lautet es: Der Markt regelt alles.
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Im Sozialwissenschafts-Unterricht lernt man etwa, dass Armut nicht vom Himmel fällt, sondern Ergebnis politischer Entscheidungen ist. Man erfährt, wie Einkommen, Vermögen und Privilegien verteilt sind – und warum das so ist. Man betrachtet Wirtschaftssysteme nicht als Naturgesetze, sondern mit Blick auf ihre Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Kurz: Man lernt, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu verstehen. Und wer versteht, kann auch verändern und gestalten. Genau das brauchen wir: Mündige Gesellschaftsgestalterinnen und Weltveränderer. Schwarz-Gelb will nur Marktteilnehmer.
Auch Studierende kritisieren SoWi-Abschaffung
Zahlreiche Verbände, aber auch Studierende selbst kritisieren das schwarz-gelbe Vorgehen. Schon über 25000 haben eine Petition gegen die Abschaffung des SoWi-Lehramts unterschrieben. Sie fürchten, dass ihr Studium durch die Umstellung entwertet werden könnte. Für Einsätze in der Schule sollen sie weitere Qualifikationen erwerben, auch bereits ausgebildete Sozialwissenschaftslehrer sollen Zusatzkurse besuchen. Dabei vermitteln sie schon lange ökonomische Elemente.
Doch die Probleme gehen tiefer. Zahlreiche SoWi-Professuren sind an die Lehrer-Ausbildung gebunden, werden durch diese zum größten Teil finanziert. Fällt das Lehramt weg, drohen auch der Forschung der Professorinnen und wissenschaftlichen Mitarbeiter Kürzungen, einigen das Aus. Wenn politische Entscheidungen und Strukturen nicht mehr so gut erforscht werden, dann bleiben Machtstrukturen dort, wo finanzkräftige Akteure sie gern haben – im Verborgenen. Ist es das, was Schwarz-Gelb will?
Die Grundlagen zur Beantwortung solcher Fragen werden oft im SoWi-Unterricht gelegt. Wie man trotz erstarkender rechtsextremer und demokratiefeindlicher Kräfte in Parlamenten und auf den Straßen bei der politischen Bildung den Rotstift ansetzen kann, bleibt ein Rätsel.
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Warum in einer Zeit, in der unsere Gesellschaft in Aufruhr ist, nach Orientierung sucht und die Soziologie eine Renaissance erlebt, ausgerechnet diese Inhalte hintangestellt werden, das sollten CDU und FDP sehr genau erklären. Aber nicht einmal das passiert. Ein diffuser Ideologie-Verdacht und immer wieder vorgetragene Beschwerden aus der Wirtschaft über die vermeintlich wirtschaftlich ungebildete Jugend reichen Ministerin Gebauer offenbar aus, um ein gut funktionierendes System zu zerschlagen.
Unser Bildungsverständnis setzt den Menschen als Ganzes in den Mittelpunkt. Es geht darum, was er braucht, um in der Welt von morgen ein erfülltes und verantwortungsbewusstes Leben führen zu können. Die Demokratie funktioniert weder als Zuschauersport noch als Konsumentscheidung. Sie funktioniert, wenn möglichst viele mitmachen, sich und ihre Ideen einbringen und spüren, dass es genau auf sie und ihr Engagement ankommt.
Demokratie braucht Demokraten – und die müssen durch politische Bildung erfahren, wie Demokratie funktioniert. Für politische Bildung in diesem Sinne kann es gar nicht zu viel Platz in den Lehrplänen geben.