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Kölner Lehrerin des Biontech-Gründers„Er hat die anderen immer abschreiben lassen“

Lesezeit 4 Minuten
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Uğur Şahin mit seiner Lieblingslehrerin Gisela Seulen im Jahr 1999.

Köln – Natürlich, sagt Gisela Seulen, habe sie sich über die Geburtstagsnachricht ihres ehemaligen Musterschülers gefreut. „Ich war gebauchpinselt von seinen Worten, aber vor allem war es einfach schön, dass Uğur sich meldet.“

Emotionale Botschaft des Wissenschaftlers

Ihren 80. Geburtstag verbrachte Seulen, 33 Jahre lang Mathematiklehrerin am Niehler Erich-Kästner-Gymnasium, in diesem April coronabedingt allein. Statt einer Feier haben ihre Kinder ihr ein Video mit Wünschen von Angehörigen, Freundinnen und anderen Wegbegleitern geschnitten. Seulen freute sich über jedes Gesicht und jeden Satz, und war doch besonders gerührt, als am Ende der Collage ihr früherer Ausnahmeschüler Uğur auftauchte und sie mit seinen jung gebliebenen Augen anstrahlte.

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Uğur Şahins Liebingslehrerin Gisela Seulen (80)

Der Mann, den Seulen nur „Uğur“ nennt, nennt Seulen seinerseits weiterhin „Frau Seulen“ und ist einer der bekanntesten Wissenschaftler der Welt, seit er als Vorstandsvorsitzender der Firma „Biontech“ den ersten und bislang wirksamsten Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt hat. Und dieser Uğur Şahin sagt nun also in die Kamera, dass er „unendlich dankbar für das Privileg“ sei, „Sie als Lehrerin in einer so wichtigen Zeit meiner Entwicklung gehabt zu haben“. Und mehr: Sie, die „liebe Frau Seulen“, sei „einer der wenigen Menschen gewesen, die mich in meinem Leben stark geprägt haben“.

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„Absolute Lieblingslehrerin“

Womöglich, sagt Şahin, ungewohnt überschwänglich, hätte es ohne die Prägung seiner „absoluten Lieblingslehrerin“ auch den Biontech-Impfstoff gegen das Coronavirus nicht gegeben. „Es ist auch ihrem Unterricht und Ihnen persönlich zu verdanken, dass wir im Januar letzten Jahres mit aller Entschlossenheit begonnen haben, den Impfstoff zu entwickeln.“ Die Folgerung erklärt Şahin mit Seulens Verdienst, ihn „für die Mathematik begeistert“ zu haben.

Nachdem er Anfang Januar 2020 wissenschaftliche Aufsätze über das Coronavirus in Wuhan gelesen habe, sei es aus „simpler Logik und ein bisschen Statistik“ naheliegend gewesen, dass sich das Virus bereits weltweit ausgebreitet haben musste. Das aus den vorliegenden Daten zu schließen, sei „nicht komplexer als Oberstufen-Mathe“ gewesen, sagt Şahin in der Geburtstagsbotschaft. Während andere noch darüber nachdachten, wie sich das Virus in China kontrollieren lassen könnte, arbeitete Şahin mit seinem Biontech-Team schon mit Hochdruck an einem Impfstoff.

Klassen- und LK-Lehrerin

Die Mathematik helfe ihm, „biologische Mechanismen zu verstehen oder die Zusammenhänge zwischen Krankheiten und der Entwicklung von wirksamen Therapieverfahren“. Immer gehe es um „die mathematische Natur der Aufgabe, elementare Muster und quantitative Zusammenhänge“.

Der Lehrerin war das fast zu viel des Lobs: „Ich denke, dass vor allem seine Grundschullehrerin tolle Arbeit geleistet hat“, sagt Seulen. „Uğur war erst seit sechs Jahren in Deutschland, als er aufs Gymnasium kann, und konnte die Sprache perfekt. Überhaupt war er ein Schüler, für den jede Lehrerin nur dankbar sein kann.“

Gisela Seulen unterrichtete Uğur Şahin, der im Alter von vier Jahren mit seinen Eltern aus der Türkei nach Köln kam, von der fünften bis zur siebten Klasse als Klassenlehrerin, in der Mittelstufe in Physik und in der Oberstufe im Mathe-Leistungskurs.

„Ein neugieriges, fröhliches und hilfsbereites Kind“ sei Uğur gewesen, erinnert sich die 80-Jährige. In Mathematik habe er schon in der 5. Klasse jede Antwort gewusst. Später habe er regelmäßig das von ihr gestellte „Problem der Woche“ gelöst, eine Matheaufgabe, die Seulen auf eine Karteikarte kritzelte und mit einer Heftzwecke am schwarzen Brett befestigte. „Und im Leistungskurs Mathe hat er die anderen dann immer abschreiben lassen“, sagt Seulen. Kürzlich erst habe ihr das eine andere Schülerin aus dem LK erzählt. „Wahrscheinlich war er auch deswegen so beliebt.“

Şahin ließ alle abschreiben

Die Schülerin heißt Heike Sistig und wurde später Künstlerin. Zum Abschied vom Gymnasium fertigte Sistig für Seulen eine Zeichnung des Mathe-LKs an, die die Lehrerin seit 37 Jahren aufbewahrt: Ganz vorn sitzt Uğur Şahin, der die Hand hebt – „weil er sich auf jede Frage gemeldet hat und immer die Antwort wusste“.

Nach dem Abitur, das Şahin als Jahrgangsbester abschloss, hielt der Schüler losen Kontakt zu seiner Lieblingslehrerin. Sie sahen sich auf Ehemaligentreffen, Şahin lud Gisela Seulen auch ein, als er im Dezember 1999 eine Professur in Saarbrücken antrat. Die Lehrerin kam – gemeinsam mit einem Freund Şahins aus dem früheren Mathe-Leistungskurs, der heute als Direktor der Software-Entwicklung von Biontech arbeitet.

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Zeichnung einer Schülerin: Uğur Şahin ist der Junge, der immer aufzeigt.

Seit 20 Jahren nicht gesehen

Seit mehr als 20 Jahren haben die Lehrerin und der inzwischen weltweit gefeierte Schüler sich nicht mehr gesehen. Das heißt, nicht persönlich: Seulen sieht Şahin fast jeden Tag in der Zeitung oder im Fernsehen. Er würde sich sehr freuen, wenn Sie sich bald mal wieder persönlich treffen würden, sagte Şahin seiner Lehrerin abschließend zum 80.

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Am Freitag tragen sich Uğur Şahin und seine Frau Özlem Türeci ins Goldene Buch der Stadt Köln ein. Im Rahmen des Empfangs wird der Rektor der Universität zu Köln, Axel Freimuth, den beiden Medizinern auch die Ehrendoktorwürde verleihen.