Köln – Nach einer „Vandalismuswelle“ hat die KVB alle Leihräder aus dem rechtsrheinischen Köln abgezogen. 1500 Fahrradschlösser seien geknackt worden, teilten die Verkehrsbetriebe am Dienstag mit, der Schaden liege bei einer hohen sechsstelligen Summe. Grund für diese hohe Zahl an geklauten Fahrrädern sei eine TikTok-Challenge: Auf der Plattform sollen Jugendliche Videos hochgeladen haben, auf denen sie KVB-Räder mit Steinen aufbrachen und Gleichaltrige dazu aufriefen, es ihnen gleichzutun. Clemens Kroneberg, Jugendforscher und Professor für Soziologie an der Uni Köln, hält dies einerseits für typisch jugendliches Verhalten – das Ausmaß des wirtschaftliche Schadens durch diese Challenge sei dagegen „ein sehr seltenes Ereignis.“
TikTok wird hauptsächlich von Teenagern genutzt – hier eine kurze Erklärung: Das Videoportal TikTok ist die Nachfolge-App für das Portal „Musical.ly“ und funktioniert ähnlich. Nutzer können kurze Videoclips mit Spezialeffekten aufnehmen und diese mit Musik unterlegen. Viele dieser Videos zeigen Tänze oder Lippensynchronisationen, mittlerweile laden viele Nutzer jedoch auch politische Videos, Buchtipps und Kniffe für den Alltag hoch. Über thematische Hashtags können Nutzer auf der App zu „Challenges“ aufrufen: Dafür stellen sie ein Video ins Netz, in dem sie sich bei einer Aufgabe filmen und andere Nutzer dazu aufrufen, ihnen diese Aufgabe nachzumachen.
Viele dieser Challenges sind harmlos, es geht um Tänze und Sportübungen. Es gibt aber Ausnahmen: An mehreren Schulen in Hessen brachen Anfang des Jahres Brände aus, weil Schüler – angeblich aufgrund einer TikTok-Challenge – Klopapier auf der Schultoilette anzündeten. Im Rahmen von Challenges sollen Schüler absichtlich Schultoiletten verstopft haben, erst am Mittwoch warnte die Schulpflegschaft der IGIS Köln vor dem TikTok-Trend „Pilotentest“: Dabei versuchen Schüler, durch einen Schlag auf die eigene Brust bewusstlos zu werden. In Köln trenden auf TikTok Suchanfragen wie „kvb fahrrad aufschlagen“, „kvb rad klauen“ und „wie bricht man ein kvb fahrrad schloss“. Die dazugehörigen Videos erscheinen unter diesen Suchanfragen jedoch nicht.
„Man will den Freunden signalisieren, dass man Risiken eingeht“
Grenzen austesten, Regeln brechen. Etwas Aufregendes machen, etwas Riskantes – „solche Vorfälle sind typisch für das Jugendalter. Das gab gab es schon vor Social Media“, sagt Clemens Kroneberg. Freilich waren die Taten andere: „Früher haben Jugendliche eher mal etwas an der Tankstelle gestohlen, um ihre Freunde zu beeindrucken.“ Das Ziel sei das selbe geblieben: „Man will den Freunden signalisieren, dass man Risiken eingeht und sich etwas traut, man möchte cool wirken“, sagt Kroneberg. „Gerade illegale Handlungen werden in bestimmten Milieus mit Respekt belohnt.“
Bei Vandalismus sei die Hemmschwelle für manche Jugendliche eher niedrig: Schließlich schädigt man „nur“ Gegenstände, man begeht keine Gewalttat gegen eine Person. „Ein einzelnes Fahrradschloss zu zerstören erscheint aus der Sicht des einzelnen Jugendlichen nur einen begrenzten Schaden zu verursachen“, sagt Kronenberg. Das gilt vor allem, wenn das Fahrrad einem Unternehmen und keiner Privatperson gehört.
Durch die Sozialen Medien, so Kroneberg, verändere sich jedoch die Dynamik dieser Taten. Der Nachahmer-Effekt ist deutlich größer, wenn Tausende Menschen online den Fahrraddiebstahl verfolgen. Die Hemmschwelle sinkt – andere machen es schließlich auch. Gleichzeitig steht bei Plattformen wie TikTok die soziale Anerkennung im Mittelpunkt, die Zahl der Likes, die ein Video einbringt. „Wenn deshalb am Ende 1500 Fahrräder betroffen sind, dann kann ein enormer Schaden für den Anbieter und die Gesellschaft entstehen“, sagt Kroneberg.
KVB erhöht Sicherheitsvorkehrungen
Trotzdem betont Kroneberg: Es ist nicht die Masse der Jugendlichen, die den Vandalismusaufrufen nachkämen. Ein Großteil der Teenager scrollt weiter. Auf den TikTok-Clip, auf dem Jugendliche Schultoiletten verstopfen, reagieren die meisten – ebenfalls jugendlichen – Nutzer in den Kommentaren mit Unverständnis. „Warum Junge“, schreibt eine Person, „Warum muss das sein?“, und „Das machst du doch auch nicht zuhause“ die nächste.
Die KVB will dem Vandalismus nun mit neuen Sicherheitsvorkehrungen entgegentreten. Die Leihräder werden künftig mit Schlössern ausgestattet, die schwerer aufzubrechen sind. Kronenberg findet die Strategie richtig. Seine Hoffnung ist: Die Aufmerksamkeit der Jugendlichen wende sich neuen Trends zu, bei denen niemand zu Schaden komme.
Eine weitere Möglichkeit, dem Vandalismus Herr zu werden, sei es, die Jugendlichen selbst in die Verantwortung zu nehmen: „Die sozialen Räume lassen sich nicht großflächig überwachen. Es ist deshalb wichtig, den Jugendlichen klarzumachen: Ihr tragt zu einer Dynamik bei, durch die am Ende über 100 Fahrradschlösser betroffen sein können und ein Problem für die ganze Stadt entstehen kann“, sagt er.
Man müsse Jugendlichen klarmachen, dass sie keine Denunzianten sind, wenn sie solche Videos melden, sondern Zivilcourage zeigen. Kroneberg plädiert für mehr Medienerziehung in Schulen und Familien, nicht nur in Form von Medientagen, sondern verankert im Lehrplan.