AboAbonnieren

TeufelskreisWarum wir uns öfter langweilen sollten, statt zum Handy zu greifen

Lesezeit 7 Minuten
Mann guckt aufs Smartphone Getty Images

Mit dem Smartphone vergeht die Wartezeit schneller – aber wir greifen auch schneller danach.

  1. Dr. Marc Wittmann beschäftigt sich beruflich mit dem Zeitempfinden und erklärt, welche Rolle unser Gedächtnis dabei hat.
  2. Der Psychologe schildert, in welchen Teufelskreis wir geraten, wenn wir jede freie Minute auf das Smartphone blicken.
  3. Der Druck auf das Handy zu schauen, immer beschäftigt zu sein, löst bei vielen Menschen den Wunsch aus, Zeit bewusster zu empfinden.

Köln – Ob in der Schlange beim Bäcker, am Bahngleis oder im Wartezimmer des Arztes – viele Menschen greifen sofort zum Smartphone, wenn sie warten müssen. Auch wenn es nur zwei oder drei Minuten sind. Der Mensch ist beschäftigt, die Wartezeit vergeht scheinbar schneller.

Wie sich dieses Verhalten auf das Zeitempfinden auswirkt, hat der Psychologe und Humanbiologe Dr. Marc Wittmann untersucht. Er forscht am Freiburger Institut für Grenzgebiete der Psychologie und hat uns im Interview erklärt, in welchen Teufelskreis Menschen sich begeben, die jede freie Sekunde dazu nutzen, einen Blick aufs Handy zu werfen.

Fünf Minuten bis der Zug kommt. Schaut man sich auf dem Bahnsteig um, haben die meisten Menschen ihr Smartphone in der Hand. Wenn wir nicht warten, sondern uns lieber mit dem Handy beschäftigen, verändert sich unser Zeitgefühl?

Neuer Inhalt

Dr. Marc Wittmann

Dr. Marc Wittmann: Ja, deswegen tun wir es. Gestern saß ich zum Beispiel im Bus, der erst in zwölf Minuten abfahren sollte: Dann sitzt man da, schaut aus dem Fenster und hat nichts zu tun. In solchen Situationen zieht sich die Zeit plötzlich – wir nehmen uns selbst ganz stark wahr. Die Zeit vergeht für uns langsamer, weil wir uns selbst und unsere Körperlichkeit bemerken. Die Insula, eine Hirnregion für das Körperempfinden ist dann besonders aktiv und bestimmt, wie wir Zeit empfinden. Eigentlich steuert die Insula unsere Körperwahrnehmung. Aber über das Körpergefühl nehmen wir die Zeit wahr.

Um dieser gefühlten Langeweile zu entgehen, starren die Menschen auf ihre Bildschirme. Sie lesen, hören oder schauen und die ganze Aufmerksamkeit ist beim Smartphone und nicht bei sich selbst und die Zeit vergeht schneller.

Ist das ein reines Smartphone-Phänomen?

Wittmann: Es gibt ein berühmtes Foto aus New York in den 1950ern, lauter Männer sitzen mit Hut und einer aufgeschlagenen Tageszeitung in der Vorortbahn. Es ist also nicht neu, sich die Zeit zu vertreiben – früher war es eben die Zeitung. Der Unterschied: Mit dem Smartphone können wir immer wieder neue Nachrichten abrufen. Die Zeitung war irgendwann ausgelesen.

Was das Smartphone besonders verführerisch macht, es sind nicht mehr bloß abstrakte Nachrichten, sondern es sind Beziehungsereignisse, die mich selbst betreffen. Es sind E-Mails für mich oder Likes für meine Beiträge in sozialen Medien. Dadurch sind wir stärker emotional involviert und das alles zieht uns in diesen Automaten, den wir Smartphone nennen.

Wir können immer zum Smartphone greifen, langweilen uns nicht mehr. Verändert das unser Zeitempfinden auch längerfristig?

Wittmann: Weil wir uns mehr oder schneller langweilen, schauen wir eher auf das Smartphone. Es ist ein Teufelskreis: Weil wir es so gewohnt sind ständig durch das Smartphone abgelenkt zu werden, wird uns schneller langweilig, wenn wir nichts zu tun haben. Das lässt uns aber schneller auf das Smartphone schauen. Früher hatte man zwar das Taschenbuch oder die Zeitung, man hat aber eher auch mal nur dagesessen oder sich in der Gegend umgeschaut. Manche Leute haben sich sogar unterhalten – unglaublich! Das hat sich durch das Smartphone etwas verschoben, weil wir durch das Handy jederzeit quasi auf die Welt zugreifen können und sie auch auf uns.

Hat es auch etwas damit zu tun, dass wir keine Sekunde unbeschäftigt wirken wollen?

Wittmann: Das ist eher ein Phänomen, was man aus dem Arbeitsbereich kennt. Im öffentlichen Alltag in der Straßenbahn oder an der Haltestelle gibt es dazu keinen Druck.

Wenn wir uns immer mit dem Smartphone beschäftigen und uns nicht mehr langweilen, verlernen wir es, es mit uns selbst auszuhalten?

Wittmann: Das kann man so sagen. Wir werden tendenziell immer impulsiver in einer Wartesituation – wir wollen immer schneller aus einer solchen Situation heraus. Wir geraten schneller in Panik, wenn wir drei Stunden im Zug sitzen müssen, aber der Handyakku leer ist und wir auch kein Buch dabei haben. Wir halten solche Situationen immer schlechter aus und werden schneller unruhiger.

Wenn ich Samstag oder Sonntag einen Ausflug mache, nehme ich das Smartphone gar nicht mit, weil der Druck so groß ist auf das Smartphone zu schauen. Ein Beispiel: Bei einem Museumsbesuch mit der Partnerin oder dem Partner. Wenn ich selbst schon fertig bin, sie oder er aber noch Bilder anschaut und ich warten muss. Das erste, was wir in so einer Situation machen, ist es auf das Smartphone zu schauen.

Sobald sich eine Pause ergibt, verspürt man den Druck auf das Smartphone zu schauen, weil auf dem Handy eine Nachricht warten könnte. Im Grunde ist es eine Art soziale Sucht: Wir bekommen ständig positive Verstärker – eine Mailanfrage, Nachrichten von Freunden oder einen Like. Wir sind soziale Wesen und diese sozialen Verstärker binden uns an diesen Apparat. Ich möchte das Smartphone und soziale Medien aber nicht verteufeln. Denn es ist eine wunderbare Möglichkeit mit Kollegen und Freunden auch nach Jahren noch in Kontakt zu bleiben.

Schaue ich auf das Smartphone, denke ich oft, es seien nur fünf Minuten gewesen. Die Handyanzeige verrät aber, dass es zwei Stunden waren.

Wittmann: Beschäftigen wir uns mit dem Smartphone schauen wir auf die E-Mails, gehen auf Facebook, surfen im Internet, lesen einen Artikel – unsere Aufmerksamkeit wechselt hin und her. Wir sind dabei sehr schnell unterwegs und die Dinge, die wir machen, erleben wir nicht richtig. Das, was man erlebt, wird nicht tief im Gehirn abgespeichert. Weil keine Aktivität richtig im im Gedächtnis haften bleibt, kommt es mir so schnell vor – dabei sind zwei Stunden vergangen.

Was beeinflusst denn, ob wir die Zeit als schnell oder langsam vergehend wahrnehmen?

Wittmann: Das liegt daran, ob man sich selbst bewusst oder beschäftigt ist: Schaue ich einen spannenden Film, versinke ich darin und die Zeit geht schnell um. Gucke ich aber einen Film, der langweilig ist, scheint die Zeit langsamer zu laufen. Ich bemerke mich selbst sehr stark und reflektiere mich: Was mache ich nun? Schaue ich den Film weiter? Gehe ich lieber raus? Eine Form von Selbstregulation. Je stärker ich mich selbst bemerke, desto langsamer vergeht die Zeit.

Das könnte Sie auch interessieren:

Der Druck auf das Smartphone zu schauen, Zeit die wir damit vertrödeln, das Gefühl zu wenig Zeit im Alltag zu haben, lassen Gegentrends wie Yoga, Meditation oder Achtsamkeit aufkommen. Ist das ein Versuch, Zeit wieder bewusster zu empfinden?

Wittmann: Die Leute bemerken, dass Ihnen die Zeit entgleitet. Das sind Aspekte der Technisierung, weil unsere Aufmerksamkeit schnell hin und her wechselt und wir mehr in einer Zeitspanne machen, als wir es früher gemacht hätten. Yoga, Tai Chi, Meditation– solche Kurse sind körperzentriert. Durch diese Körperlichkeit bemerke ich Zeit. Bin ich auf die Körperlichkeit fokussiert, bin ich in der Gegenwart. Sonst bin ich mit meinen Gedanken meist schon bei dem Termin morgen oder in der Vergangenheit. Um sich selbst zu spüren, braucht es aber nicht unbedingt ostasiatische Techniken, sondern auch ein Waldlauf oder Mountainbiken können das erreichen.

Hat das Zeitempfinden auch mit dem Alter zu tun? Als Kind kam einem ein Jahr länger vor, als im Erwachsenenleben.

Wittmann: Das ist noch ein anderer Aspekt, sprechen wir über das Smartphone und das Zeitempfinden sind wir eher im Minuten- oder Stundenbereich – nicht aber bei Jahren. Das Zeitempfinden von längeren Zeitintervallen hängt mit unserem Gedächtnis zusammen. Ein Klassiker: Dass es uns vorkommt, es sei gerade erst Weihnachten gewesen, obwohl es schon zehn Monate zurück liegt.

Erlebe ich viele emotionale oder abwechslungsreiche Dinge, kommen mir die Tage länger vor. Weil im Gedächtnis diese Momente besonders abgespeichert werden. Ein Beispiel: der Urlaub. Die ersten Tage scheinen lang, weil alles neu ist, nach zwei Wochen habe ich mich schon an den Ort gewöhnt und die Zeit vergeht wieder schneller. Das gilt auch für unser Erwachsenenleben. Die Routinen nehmen zu und die Tage, Wochen und Monate vergehen schneller. Denn wir erleben nicht mehr so viele Dinge zum ersten Mal, wie in der Jugend.

Herr Wittmann, vielen Dank für das Gespräch.