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Zweifel an wissenschaftlicher BasisWie geht es nun mit Impfungen für Kinder weiter?

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Kinder Impfen Corona

In den kommenden Tagen soll über die Impfung junger Menschen entschieden werden.

Düsseldorf – In den USA und Kanada dürfen Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 15 Jahren bereits mit dem Biontech/Pfizer-Präparat geimpft werden. In der EU ist mit einer Zulassung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur Ende Mai zu rechnen, möglicherweise auch erst im Juni. Am Donnerstag soll bei einem Gespräch von Kanzlerin Angela Merkel mit den 16 Ministerpräsidenten am Donnerstag über die Frage gesprochen werden, wie und wo die Kinder in Deutschland geimpft werden sollen. Besonders brisant ist diese Frage im Hinblick auf die Arbeit der Schulen, die in der Corona-Pandemie ein Wechselbad aus Schließung und Öffnung, Präsenz-, Distanz- und Wechselunterricht zu durchleiden hatten – auch in NRW. Unterdessen meldet die Ständige Impfkommission und auch andere Experten Zweifel an der generellen Impfung für junge Menschen an, und auch die Verknüpfung von Impfung und Schulöffnung stößt auf Skepsis.

Wie ist die politische Ausgangslage?

„Der Beschluss der Konferenz der Gesundheitsminister vom 6. Mai zur Impfung von Personen zwischen zwölf und 18 Jahren sieht vor, dass den Kindern und Jugendlichen ein Erstangebot mit dem Impfstoff Biontech bis Ende August gemacht wird“, heißt es dazu auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus dem NRW-Gesundheitsministerium. Doch wie sich dies ausgestalten soll, ist noch einem Klärungsprozess unterworfen, nicht nur, weil derzeit noch keine Zulassung des Impfstoffs der EMA für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren und auch keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) vorliegt. „An einer Konkretisierung des Vorgehens in NRW wird derzeit gearbeitet“, heißt es aus dem Gesundheitsministerium in Düsseldorf.

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Muss die Altersgruppe der Zwölf- bis 15-Jährigen geimpft werden?

Mehrere deutsche Mediziner hatten in einem Positionspapier aufgelistet, welche kinderbezogenen und auch gesellschaftlichen Aspekte man berücksichtigen müsste, bevor man eine generelle Impfempfehlung von Kindern und Jugendlichen gegen Covid-19 in Deutschland beschließt. So sei etwa zu klären, wie schwer die Krankheit diese Altersgruppe trifft und ob es zu Langzeitschäden kommt. „Für Deutschland ergibt sich zum aktuellen Zeitpunkt keine wissenschaftliche oder medizinische Basis für eine generelle Impfempfehlung von Kindern und Jugendlichen“, heißt es im Fazit der Mediziner. Eine Impfung ist ein unter Umständen schwerwiegender Eingriff, so dass Belastungen und Nutzen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssten.

Was sagt die Impfkommission Stiko?

Die Stiko wird wohl zunächst keine Empfehlung für die Impfung aller 12- bis 15-Jähriger abgeben, wie am Dienstag durchsickerte. Die Empfehlung könnte sich auf chronische kranke Kinder beschränken. Stiko-Vorsitzender Thomas Mertens wies darauf hin, dass die Gefährdung, die durch die Infektion auf Kinder und Jugendliche ausgehe, gerade erst erforscht werde – bislang sei der Impfstoff erst an 1100 Personen aus dieser Altersgruppe erprobt worden, wobei er sich als unproblematisch erwiesen habe.

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Allerdings sei diese Aussage angesichts der geringen Zahl von Probanden in ihrem Wert limitiert. Für Mertens hat der Schutz des gesundheitlichen Wohls oberste Priorität, demgegenüber seien Schulöffnung oder auch Teilnahme am Urlaub sekundäre Argumente. Laut Mertens können die Schulen auch durch Anwendung bereits erprobter Maßnahmen wie Testen durchaus geöffnet bleiben. Auch sei in die Abwägung mit einzubeziehen, dass immer mehr Eltern durch den Impffortschritt geschützt würden. Die Infektionsgefahr innerhalb der Familien sinkt.

Was würde die ausbleibende Empfehlung bedeuten?

Das NRW-Gesundheitsministerium will sich erst äußern, wenn die Stiko-Entscheidung offiziell ist. Die SPD-Gesundheitsexpertin Bärbel Bas erklärte dazu, dass Eltern ihre Kinder trotzdem impfen lassen können – wenn der Impfstoff zugelassen und die Priorisierung aufgehoben worden ist.

Was hieße das für die angestrebte Herdenimmunität, wenn viele Kinder nicht geimpft würden?

Die Altersgruppe der etwa drei Millionen 12- bis 15-Jährigen sei dafür nicht der „entscheidende Faktor“, sagt Jörg Dötsch, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik Köln. Die Verantwortung dürfe man auch nicht an die Kinder übergeben. „Es ist viel mehr die Pflicht der Erwachsenen sich impfen zu lassen, damit die Pandemie zum Stillstand kommt.“ Für die Stiko sei dies auch kein Kriterium. Kinder seien schließlich „schutzbefohlen. Deshalb muss bei einem Impfstoff gewährleistet sein, dass ein Eigennutzen für die Kinder vorliegt.“ Dötsch betonte, dass die Stiko „jahrzehntelange Erfahrung und ein sehr breites, sehr gut eingespieltes Expertenteam“ habe.

Gäbe es überhaupt genug Impfstoff?

Ärztinnen und Ärzte, Apotheken, Impfzentren und Kommunen in Nordrhein-Westfalen warnen bereits mit Blick auf die angekündigte Aufhebung der Impfpriorisierung ab dem 7. Juni vor einem drohenden Impfstoffengpass. Josef Neumann, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag NRW, warnt vor einem Chaos, weil der Impfstoff dann nicht für die zahlreichen Interessierten reichen werde. Sollten Schülerinnen und Schüler in diesem Sommer geimpft werden, bedeute dies laut Mertens eine neue Bevorzugung einer Gruppe – das Nachsehen könnten unter anderen die Angehörigen der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren, vor allem also viele Studenten haben.

Wie geht es in den Schulen weiter?

Die Sommerferien stehen als Zäsur bevor, ob und wie danach oder sogar schon vor den Ferien geimpft wird, ist also derzeit eine Frage, über die noch debattiert wird. Festgelegt hat sich die NRW-Landesregierung hingegen darauf, die Schulen noch vor den Ferien zu öffnen, und zwar in Abhängigkeit vom Infektionsgeschehen. Aus dem Schulministerium in Düsseldorf heißt es dazu: „Ab Montag, den 31. Mai 2021, kehren alle Schulen aller Schulformen bei einer stabilen Inzidenz unter 100 in einem Kreis oder einer kreisfreien Stadt vom Wechselunterricht zum Präsenzunterricht zurück.“ Damit wird für die fünf Schulwochen bis zum Beginn der Sommerferien am 2. Juli 2021 Präsenzunterricht für alle Schülerinnen und Schüler erteilt. Die bestehenden strikten Hygienevorgaben mit Mundschutz und Testpflicht gelten weiter.