Gegen den Widerstand der Kommunen drückte die Landesregierung das für den Strukturwandel gedachte Geld durch. Was waren die Gründe dafür?
70 Millionen Euro für ein Laschet-Versprechen?Warum Strukturhilfen für das Rheinische Revier in Leistungssport fließen
Beim Gerangel um Millionenbeträge aus dem mit 14,8 Milliarden Euro prall gefüllten Fördertopf für den Strukturwandel im Rheinischen Braunkohlerevier hat Bedburgs Bürgermeister Sascha Solbach schnell begriffen, dass er höllisch aufpassen muss, damit für seine Stadt am Ende nicht nur ein paar Krümel vom großen Kuchen übrigbleiben.
Der SPD-Politiker sitzt als kommunaler Vertreter der Anrainer-Konferenz im Aufsichtsrat der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR), jener Institution, die das Milliardenbudget verwaltet und letzten Endes darüber entscheidet, wie der Kuchen aufgeteilt wird. So manches Sahneschnittchen sei da anfangs über die Theke gegangen. Zum Beispiel für ein Raster-Elektronenmikroskop im Forschungszentrum Jülich für 120 Millionen Euro. „Damit kann man sich den Strukturwandel sehr gut aufgelöst ansehen“, sagt Solbach in einem Anflug von Sarkasmus.
Sicherheit für Arbeitsplätze und Energieversorgung
Prinzipiell sei gegen ein paar Leuchtturmprojekte nicht einzuwenden, aber das Revier habe wahrlich andere Sorgen. „Wir haben den Kohleausstieg um acht Jahre auf 2030 vorgezogen“, sagt der Bürgermeister. „Ich kann bisher keinen Ansatz erkennen, die Themen Arbeitsplatzsicherung und sichere Energieversorgung endlich strukturiert anzugehen.“ Es gebe keine Strategie, wie die 400 Zulieferbetriebe in der Region in die Transformation zur klimaneutralen Industrieregion begleitet werden sollen. „Die haben im Tagesgeschäft einfach keine Zeit, sich mit dieser Frage zu befassen.“
Die Zukunftsagentur, glaubt Solbach, habe schon lange ein Strukturproblem. „Die ursprüngliche Idee war, über den Aufsichtsrat einen Konsens der Kommunen mit der Landesregierung zu organisieren.“ Deren Einfluss sei aber so groß, dass für die Kommunen bei strittigen Themen mehr als ein Patt nicht zu erreichen sei. „Es gab immer schon Projekte, die von der Landesregierung am Aufsichtsrat vorbei auf der Überholspur gefördert wurden.“
Ex-Olympia-Projekte werden aus Strukturwandel-Geldern finanziert
Am Ende wäre das wohl auch mit den rund 70 Millionen Euro so gelaufen, die aus dem Förderprogramm „Revier gestalten“ in drei Sportprojekte fließen werden. Zufall, oder nicht? Alle standen auf der Wunschliste der gescheiterten privaten Olympia-Initiative Rhein-Ruhr-City 2032, die von der alten schwarz-gelben Landesregierung massiv unterstützt wurde: ein Wildwasserpark für Dormagen, der Sportpark in der Soers in Aachen mit einer neuen Reitsporthalle und Turnierplatz sowie einer für Bundesliga-Volleyball tauglichen Multifunktionshalle und ein nationales Trainingszentrum für Hockey in Mönchengladbach.
„Das sind Projekte in Kommunen, die mit dem Kernrevier nichts zu tun haben“, kritisiert Solbach. Letztlich hätten die kommunalen Vertreter im Aufsichtsrat im März zähneknirschend zustimmen müssen, nachdem Thomas Hissel, Kämmerer der Stadt Düren, am Verhandlungstisch immerhin noch 40 Millionen Euro für den Breitensport im Kernrevier ausverhandelt habe. „Wir hätten sonst wieder mit leeren Händen dagestanden.“
Landesregierung will nicht verhandeln
Die Vertreter der Landesregierung hätten unmissverständlich deutlich gemacht, dass die drei Sportprojekte nicht verhandelbar seien und notfalls auf dem Weg einer „Kriterien gestützten Einzelfallentscheidung“ beschlossen werden, die der Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats nicht unterliegen.
Doch wie sind sie auf die Förderliste der Zukunftsagentur Rheinisches Revier gekommen? Und warum fallen sie nicht unter den von NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) im November 2022 verfügten Stopp aller „Revier gestalten“-Projekte mit dem Ziel, einen Kassensturz und eine Neubewertung vorzunehmen?
Als Sprecher der SPD-Fraktion stellte Sascha Solbach im Unterausschuss Rheinisches Revier der Bezirksregierung Köln noch vor der Landtagswahl im Mai 2022 und dem Regierungswechsel in NRW die Frage, ob die alte schwarz-gelbe Landesregierung plane, Projekte wie den CHIO und Volleyball in Aachen tatsächlich aus Braunkohle-Strukturmitteln zu fördern.
„Die erste Reaktion war vollkommenes Unverständnis. Nach dem Motto: Was will der denn schon wieder. Danach wurde alles sehr wortreich negiert“, erinnert er sich. In der folgenden Aufsichtsratssitzung der ZRR habe ein Vertreter des zur Staatskanzlei des Ministerpräsidenten gehörigen Staatssekretariats für Sport „wortreich erklärt, warum die Projekte riesige Chancen und touristisches Potenzial bieten.“
Letztlich sei allen klar gewesen, dass die drei Projekte kommen werden, „weil die Landesregierung ein altes Versprechen des damaligen Ministerpräsidenten Armin Laschet einlösen musste", so Solbach.
Kommunen konnten nur einen Aufschub erreichen
Den Kommunen sei es damals nur gelungen, einen Aufschub bis nach der Landtagswahl zu erzielen. „Am Anfang drohte sogar noch ein deutlich größeres Szenario“, sagt Solbach. Wir haben gesagt, es kann nicht sein, dass hier einfach so das Geld abrauscht, und die Einführung einer Obergrenze gefordert. Nach Recherchen dieser Zeitung standen insgesamt 13 Sportprojekte auf der Liste. Welche das im Einzelnen sind, könne man „aus Datenschutzgründen“ nicht sagen, teilt das Wirtschaftsministerium auf Anfrage mit.
Die Intervention der Kommunen hat Erfolg. Das Sportförderprogramm, das jetzt einschließlich der 40 Millionen für den Breitensport auf 110 Millionen Euro gestiegen ist, sei von der alten Landesregierung zunächst auf fünf Millionen gedeckelt worden. Solbach ist sicher: „Das war eine Art Platzhalter-Betrag.“
Nachdem das NRW-Wirtschaftsministerium auf Anfrage unserer Zeitung zunächst erklärt hatte, dass die drei Sportprojekte nicht unter den Inventurstopp fallen, weil die Zuständigkeit für Sport in der Staatskanzlei von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) liegt, heißt es in einer neuen Stellungnahme, sie seien schon vor Juli 2022 beim zuständigen Fachausschuss der Zukunftsagentur eingereicht und dort im November ausgewählt worden.
„Damals verständigte man sich zunächst auf eine Vertagung, um vorab einen grundsätzlichen Konsens zu strukturwirksamen Sportvorhaben zu ermöglichen, der dann im Februar dieses Jahres erfolgte“, heißt es wörtlich. „Die Projekte erhielten letztlich am 17. März 2023 im Aufsichtsrat der Zukunftsagentur den regionalen Konsens und können nun bei der Bezirksregierung Köln zur Förderung beantragt werden. Sie sind damit von der Inventur nicht betroffen. Ziel war es, dass im Sinne eines Vertrauensschutzes der Vorhabenträger keine laufenden Verfahren gekappt werden.“
Die Staatssekretärin für Sport und Ehrenamt, Andrea Milz, ist davon überzeugt, dass „durch die Umsetzung dieser drei Leuchtturmvorhaben die Bekanntheit des Rheinischen Reviers, auch über den Sport hinaus, deutlich erhöht und dadurch spürbar positive Effekte für das Rheinische Revier und das gesamte Sportland NRW entstehen werden.“
Auch für Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) steht deren Sinnhaftigkeit außer Frage. „Wenn Sie sich mal anschauen, wie in anderen Regionen Deutschlands, wo Strukturwandel stattfindet, Gelder allokiert werden, wird sichtbar, dass wir einen sehr kleinen Teil für den Bereich vorsehen, wo es auch um Lebensqualität und lebenswerte Heimat in dieser Region geht. Dazu gehört auch Sport, auch Kultur, insofern halte ich das für mehr als vertretbar, diese Projekte auch aus diesen Mitteln zu finanzieren. Die sind beschlossen.“
Sascha Solbach hat so seine Zweifel, ob im Strukturwandel derzeit die richtigen Prioritäten gesetzt werden. „Wir haben in zwei Jahren zwei Kohleausstiege beschlossen, aber in der gesamten Zeit hat sich offenbar kein Mensch in diesem Land und im Bund Gedanken darüber gemacht, welche Umstrukturierungen das auf dem Energiemarkt zur Folge haben müsste. Und was jetzt eigentlich zu tun ist, damit bis 2030 neue Gaskraftwerke als Backup für die Region und ganz NRW stehen. Das müssen wir alles angehen, bevor wir einen Hockeypark in Mönchengladbach fördern.“