Jülich – Wer über einen Zeitraum von 17 Jahren bis 2038 rund 860 Millionen Euro in einen Rübenacker steckt, verknüpft damit eine gewisse Erwartungshaltung.
Und wenn der Acker im Rheinischen Braunkohlerevier liegt, nur ein paar Kilometer vom renommierten Forschungszentrum Jülich entfernt, kann diese angesichts der Energiekrise und des Klimawandels nur lauten: So, Freunde. Hier habt ihr die Kohle. Jetzt gebt mal richtig Gas und verwandelt Nordrhein-Westfalen in ein klimaneutrales Industrieland mit bezahlbarer Energie und ohne Einschränkungen beim Wohlstand.
Ganz so flapsig fallen die Worte von Hendrik Wüst nicht aus, als er am Montag zwischen neuen mobilen Bürocontainern für 110 Mitarbeitende den Startschuss für den Aufbau eines Instituts für nachhaltige Wasserstoffwirtschaft (INW) gibt.
Es bildet den Kern des HC-H2, das Forschung und Hochschule mit Industrie und Wirtschaft koordiniert. „Sie werden hier zeigen, dass saubere Energie auf NRW kommt und dass wir beides können: das Klima schützen und Industrieland bleiben“, sagt der Ministerpräsident. „HC-H2 wird das Rheinische Revier zu einer Innovationsregion für die Wasserstoffwirtschaft machen.“
Dass das alles möglichst schnell geschehen soll, muss ein Politiker nicht eigens betonen. Vor zwei Jahren hat Deutschland den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung eingeleitet und NRW die Vorreiterrolle in diesem Prozess übernommen.
Und Hendrik Wüst macht bei jeder sich bietenden Gelegenheit klar, dass die Landesregierung das Ziel des vorzeitigen Ausstiegs im Jahr 2030 nicht aufgeben will – trotz Energiekrise und explodierender Preise für Gas und Strom.
Beitrag zum Klimawandel, wirtschaftlich lukrativ
Der Montag auf dem Rübenacker von Jülich ist so eine Gelegenheit. Professor Peter Wasserscheid, Direktor des neuen Instituts, verspürt dennoch keinen Druck. „Wir versuchen, große Geschwindigkeit an den Tag zu legen, das ist für die Wissenschaft auch nicht immer üblich“, sagt er.
Das Forschungszentrum Jülich arbeite seit Jahrzehnten an Wasserstofftechnologie und sei weltweitend führend. Man wolle bis 2038 mit den Fördergeldern im gesamten Rheinischen Revier mit der Industrie Demonstrationsobjekte aufbauen und betreiben und im Industriemaßstab zeigen, dass die entwickelten Technologien einen Beitrag zum Klimaschutz leisten und gleichzeitig wirtschaftlich lukrativ sind.
Ziel sind 3000 neue Jobs für das Rheinische Revier
„Wenn wir nur Geld für schöne Forschung ausgeben, wird es keinen Strukturwandeleffekt und neue Arbeitsplätze geben.“Davon sollen auf dem Rübenacker bis 2038 aber zwischen 2500 und 3000 entstehen, bis zu 900 davon allein in der Forschung und Entwicklung. Der Rest in Unternehmen, die deren Ergebnisse in die Tat umsetzen und beim Betrieb der Demonstratoren mit bis zu 20 Prozent von der öffentlichen Hand gefördert werden.
„Das könnten wir gar nicht leisten“, sagt Wasserscheid. „Wir können hier keine Energieversorgungsanlage mit Wasser für eine Glashütte aufbauen und einen Wasserstoffantrieb für ein Binnenschiff testen. Wir versuchen die Randbedingungen zu schaffen, dass sich schnell wachsende Firmen hier wohlfühlen. 3000 Arbeitsplätze sind schon eine Messlatte. Was hier an neuen Technologien erfolgreich demonstriert wird, muss am Ende überall auf der Welt verkauft werden. Sonst wird es den Jobeffekt nicht geben.“
Das neue Institut macht den Anfang. Bis Ende 2023 sollen eine 900 Quadratmeter große Halle und ein Labormodul für wissenschaftliche Experimente entstehen; bis 2028 ein Forschungsneubau folgen, der nach derzeitigem Stand rund 90 Millionen Euro kosten und in dem bis zu 400 Menschen arbeiten werden.
„Das wird dann der Kern unserer Aktivitäten sein“, sagt Wasserscheid. Bis 2038 könne sich dann ein Energietechnik-Gewerbepark mit dem Schwerpunkt saubere Energie und Wasserstoffe entwickeln, dessen Produkte auf dem Weltmarkt führend sein sollen.