Rhein-Berg – Karl Peters hat immer eine gepackte Tasche dabei, wenn er zur Blutabnahme ins Krankenhaus fährt. „Falls nötig, kann ich sofort da bleiben“, sagt er. Alle zwei Tage wird an der Uniklinik Bonn sein Blut analysiert. Unter anderem wird die Zahl der roten Blutkörperchen gemessen. Die spielen verrückt, seitdem er mit Astrazeneca geimpft wurde. In seinem rechten Bein hat sich bereits eine Thrombose gebildet.
„Damit das nicht noch woanders im Körper geschieht, bin ich sozusagen unter ständiger Beobachtung“, sagt Peters, der schon in vier Krankenhäusern war. Wie das wohl alles weitergeht, habe er sich in den vergangenen Wochen oft gefragt. Die Ärzte hätten ihm gesagt, sie wüssten es auch nicht genau. Sie wüssten, „wo es hingehen soll, und wie der Weg ungefähr verläuft“. Aber mindestens an jedem zweiten Tag müsse der Behandlungserfolg neu bewertet werden. „Jetzt aber geht es endlich bergauf“, sagt Peters: „Endlich scheinen die Ärzte das richtige Mittel gefunden zu haben, um mir zu helfen.“
In vier Kliniken behandelt
Karl Peters ist 37 Jahre alt, wohnt im Rheinisch-Bergischen Kreis, ist Polizist und deshalb schon am 11. März geimpft worden (wir berichteten). Gegen die drastischen Nebenwirklungen, die er daraufhin hatte, wird er mittlerweile in der Uniklinik Bonn behandelt. Er ist sozusagen zu einem Teil der Medizingeschichte geworden. Sein Krankheitsverlauf fließt in die Forschungen der Universitätsklinik Greifswald mit ein, durch die der Zusammenhang zwischen Astrazeneca und Thrombosen erstmals nachgewiesen wurde und die deshalb weltweit auf großes Interesse treffen.
Durch die Impfung werde bei einigen Patienten ein Mechanismus aktiviert, der letztlich zur Bildung von Blutgerinnseln vor allem im Gehirn führe, hatten die Wissenschaftler herausgefunden. Als Peters geimpft wurde, war davon aber noch nichts bekannt. Er möchte nicht erkannt werden, deshalb wurde sein Name in diesem Artikel geändert.
Kopfschmerzen, Sehstörungen und extreme Schmerzen in der rechten Wade
Am Tag nach der Impfung habe er „normale“ Nebenwirkungen gehabt, sagt Peters. Ein wenig Fieber, Müdigkeit sowie Gliederschmerzen – was sich schnell aber gebessert habe. Eine Woche später hatte er „tierische Kopfschmerzen, die nicht mehr aufhörten, und Sehstörungen und leichte Ausfallerscheinungen im Gesicht, von dem er Teile nicht mehr gespürt hat“. Als auf einer CT-Aufnahme seines Kopfes und des Gehirns nichts Verdächtiges gefunden wurde, schickte ihn die erste Klinik wieder nach Hause.
Vier Tage später hatte er extreme Schmerzen in der rechten Wade. Peters fuhr in ein weiteres Krankenhaus, dort wurde eine Thrombose im Bein diagnostiziert. Kompressionsstrümpfe sowie der Wirkstoff Heparin, der die Blutgerinnung hemmt, würden das Problem lösen, habe es geheißen. Wieder zu Hause angekommen, fand Peters im Internet erste Berichte über die Ergebnisse der Greifswalder Forschung. Das ihm verschriebene Mittel sei falsch, hieß es dort.
Drastischer Rückschlag vor zwei Wochen
Im Klinikum Leverkusen, an das er sich daraufhin wandte, wurde Peters dann erstmals richtig behandelt und stationär aufgenommen. Seine Thrombozyten waren bereits auf 22.000 pro Milliliter Blut gesunken, als normal wird ein Referenzbereich von 150.000 bis 350.000 angesehen. Das Heparin, das ihm womöglich das Leben gekostet hätte, wurde durch einen anderen Gerinnungshemmer ersetzt. Als sich sein Gesundheitszustand daraufhin immer weiter verbesserte, wurde Peters vor Ostern aus dem Klinikum entlassen.
„Vor etwa 14 Tagen stagnierte die Zunahme der Thrombozyten dann plötzlich und die Kurve wurde sogar wieder rückläufig“, erzählt der Polizeibeamte. Auch seine Thrombose habe sich drastisch verschlimmert. „Vom Knie ist sie fast bis zur Leiste hochgewachsen“, so Peters. „Wenn das so weiter gegangen wäre, hätte ich operiert werden müssen.“
Thrombose konnte in der Uniklinik Bonn gestoppt werden
Soweit ist es nicht gekommen. Die Thrombose wurde an der Uniklinik Bonn gestoppt, und sein Blutbild hat sich wieder deutlich verbessert. Es scheint, als ob die durch die Impfung ausgelöste Fehlreaktion aufgehalten werden konnte. „Vielleicht kann meine Hausärztin bald die weitere Überwachung und die Behandlung der Thrombose übernehmen, die mich wohl noch ein Jahr beschäftigen wird“, hofft Peters.
Die Spitzenmediziner der Uniklinik Bonn waren sich zunächst nicht sicher, was zu tun ist. „Das Krankheitsbild, das im Zusammenhang mit der Astrazeneca-Impfung aufgetreten ist, ist auch für uns vollkommen neu“, sagt Professor Bernd Pötzsch vom Institut für Hämatologie und Transfusionsmedizin, der Peters mit seinem Team betreut.
Patient leidet unter einer „verunglückten Immunabwehr“
Was aber klar sei: „Solche Patienten bilden nach der Impfung eine sozusagen verunglückte Immunantwort, also einen Antikörper, der Blutplättchen aktivieren kann. Und der dazu führen kann, dass Blutplättchen in der Blutzirkulation verbraucht werden und gleichzeitig das Thromboserisiko steigt, weil diese aktivierten Thrombozyten Thromben bilden können.“ Es gebe mittlerweile auch in Bonn verschiedene Testverfahren, mit denen nachgewiesen werden kann, ob ein solcher Antikörper vorliegt.
„Und bei Herrn Peters ist das der Fall“, sagt Pötzsch: „Wir versuchen, bei ihm die Blutplättchen- und die damit verbundene Gerinnungsaktivierung mit Medikamenten zu unterbrechen.“ Es sehe momentan auch so aus, „als ob die Therapie anschlägt, wie wir uns es wünschen“: „Aber wir sind uns da nicht sicher. Denn das Problem ist, dass wir nicht wissen, wie die Immunreaktion weiter verläuft.“
„Das nimmt mich mit, wie selten in meinem Berufsleben“
Deshalb werde Peters engmaschig kontrolliert. Die Ergebnisse würden auch in die Forschungen der Greifswalder Wissenschaftler miteinfließen, mit denen ein „enger und stetiger Austausch“ stattfinde: „In den letzten Wochen haben wir teilweise täglich miteinander gesprochen.“
Worauf Sie nach einer Astrazeneca-Impfung achten sollten
Der Impfstoff soll nach einem Beschluss der Gesundheitsminister von Bund und Ländern in der Regel nur noch für Personen ab 60 Jahren eingesetzt werden. Grippeähnliche Symptome wie Gelenk-, Muskel-und Kopfschmerzen, die über ein bis zwei Tage nach erfolgter Impfung anhalten, stellen eine häufige Nebenwirkung dar und sind kein Anlass zur Besorgnis. Bei Nebenwirkungen, die länger als drei Tage nach erfolgter Impfung anhalten oder neu auftreten (z.B. Schwindel,Kopfschmerzen, Sehstörungen, Übelkeit/Erbrechen, Luftnot, akute Schmerzen in Brustkorb, Abdomen oder Extremitäten),sollte eine weitere ärztliche Diagnostik zur Abklärung einer Thrombose erfolgen. Wichtige Untersuchungen sind insbesondere ein Blutbild mit Bestimmung der Thrombozytenzahl sowie gegebenenfalls eine weiterführende bildgebende Diagnostik (Quelle: Gesellschaft für Thrombose-und Hämostaseforschung)
Ist es ein besonderes Gefühl, Patienten gegenüber zu stehen, denen man glaubt helfen zu können, es aber nicht weiß? Die Antwort kommt leise. „Diese Situation ist für unser Team und mich extrem belastend“, sagt Professor Pötzsch. „Das nimmt mich mit, wie selten in meinem Berufsleben.“ Denn es sei „in der Tat so, dass wir Schicksale sehen, die einem ans Herz gehen“.
„Junge Leuten, die kerngesund waren“
Schließlich habe man es „mit jungen Leuten zu tun, die kerngesund waren, und dann zu einer Impfung gegangen sind, um dann wenige Tage später todkrank zu sein“, so Pötzsch. Damit meine er ausdrücklich nicht Karl Peters, der immenses Glück gehabt habe. „In dem Sinne, dass er bisher nur eine tiefe Beinthrombose hatte.“ Das sei zwar sehr unangenehm für den Patienten, „aber von der Gefährlichkeit nicht zu vergleichen mit den Sinusvenenthrombosen im Gehirn anderer Betroffener“.
Einige davon würden auch in Bonn behandelt. „Gott sei Dank“ gebe es bisher aber nur sehr wenige derartige Fälle. „Bundesweit spricht man momentan von 30 bis 50 Patientinnen und Patienten.“