Nach der FlutAus Bad Münstereifel evakuierte Senioren vereinsamen
- Dies ist ein Artikel aus unserem Archiv vom 21.02.2022.
Bad Münstereifel/Düren – Die leuchtend roten Blüten der Kalanchoe auf dem kleinen Tisch sind der einzige Farbtupfer in Frau Müllers (Name geändert) kargem Zimmer. Ein paar ungerahmte Fotos sind die einzige persönliche Note: Eines zeigt ihre Eltern und einen Onkel, auf anderen ist Frau Müller bester Laune mit der Nachbarin zu sehen. Auf dem Nachttisch steht ein kleines Bild mit Rahmen: Es zeigt sie mit ihrer strahlend lächelnden Enkelin.
Der Rest des Zimmers in der Dürener Senioren-Wohnanlage ist zwar neu und sauber, das Personal kümmere sich lieb und nett. Aber hier sein will Frau Müller nicht.
Frau Müller kämpft auch gegen den Krebs
Ihre Bilder wirken wie aus einem anderen Leben. Oft fehlt der knapp Mitte-70-Jährigen der Lebensmut. Von ihrem Mann hat sie sich nach mehr als 50 Ehejahren getrennt, die Gründe dafür möchte sie nicht öffentlich nennen.
Zu den Kindern und den meisten Enkeln hat sie nur wenig Kontakt. Sich um andere zu kümmern, was für sie selbst ihr Leben lang so selbstverständlich gewesen ist, vermisst sie bei ihnen.
Und dann ist da dieser verdammte Krebs: Der Bauchspeicheldrüsenkrebs ist zurück, die Chemo raubt ihr die Kraft, die ständigen Untersuchungen zermürben sie.
Schlimme Erinnerungen an den 14. Juli in Bad Münstereifel
Zu all dem kommen die Erinnerungen an den Tag, an dem das Wasser kam. Der 14. Juli, als die Flutkatastrophe sie in ihrer Wohnung in der Seniorenwohnanlage am alten Stadttor in Bad Münstereifel solche Angst hat ausstehen lassen: „Es war so furchtbar. Das Wasser hat alles mitgerissen.“ Im Dunkeln hat sie von oben auf die wütenden Wassermassen geschaut.
Der Hausmeister habe die ganze Nacht über versucht, sie und die anderen zu beruhigen: „Der war ganz toll. Er hat uns über jeden Zentimeter informiert, den das Wasser gefallen ist. Aber der Schock saß so tief.“ Die Nacht hat Spuren hinterlassen – und Angst vor Wasser verursacht, die sie nie gekannt hat: „Ich könnte nicht mehr ins Meer gehen. Dabei war ich immer so gerne am Meer.“
Der Vater sagte: „Du bist ein Sonntagskind. Du schaffst das!“
Schon sind die Hoffnungslosigkeit und die trüben Gedanken wieder da: „Ich denke manchmal wirklich: Vielleicht wärst du besser mit der Flut untergegangen.“ Dann erinnert Frau Müller sich aber an die Worte ihres vor gut 20 Jahren verstorbenen Vaters: „Du bist ein Sonntagskind. Du schaffst das!“
Die Seniorenwohnanlage
Die Schäden
Geflutet wurde in der Seniorenwohnanlage am alten Stadttor in Bad Münstereifel am 14. Juli der Keller, im Erdgeschoss stand das Wasser 1,50 Meter hoch. Davon, dass bei der Instandsetzung nicht alles so schnell funktioniert, wie man sich das wünscht, können auch die Verantwortlichen der Einrichtung ein Lied singen.
Die Gesellschaft Gut Köttenich betreibt die Wohnanlage, ist nach Angaben von Geschäftsführer Peter Krames jedoch nicht der Besitzer der Immobilie. Mit dem stehe man aber in engem Kontakt. Handwerker seien nun mal schwer zu bekommen gewesen, mal wurden sie von Corona außer Gefecht gesetzt. In einer Seniorenwohnanlage muss zum einen die aufwendige Haustechnik vom Schwesternruf über Aufzüge bis zur Brandmeldeanlage funktionieren, zum anderen müssen alle erforderlichen Freigaben und Genehmigungen, etwa von Heimaufsicht und in Sachen Trinkwasser und Lebensmitteln, vorliegen.
Die Rückkehr
Einen genauen Termin, wann die mehr als 50 Senioren in ihre Heimat zurückkehren können, nennt Krames zwar nicht. So lange keine endgültige Klarheit herrscht, will er keine falschen Hoffnungen schüren. Allzu lange werde es aber nicht mehr dauern: „Wir sprechen definitiv von Wochen, nicht von Monaten.“
Die Senioren aus dem Betreuten Wohnen werden als erste zurückkehren, die anderen folgen dann nach und nach, so dass der Betrieb geordnet wieder aufgenommen wird. Zudem wird laut Krames dann eine psychologische Betreuung im Haus angeboten. (rha)
Aber das mit dem Schaffen fällt Frau Müller und den anderen von der Flut betroffenen und ausquartierten Senioren so schwer. Zwei Tage nach der Flut, die sie ohne Strom und mit viel Improvisieren verbracht haben, sind für die Bewohner vom alten Stadttor andere Unterkünfte organisiert. Für drei bis vier Tage, habe es zuerst geheißen.
Die Senioren fühlen sich zuweilen vergessen
Mit einem kleinen Köfferchen hat Frau Müller Bad Münstereifel verlassen, sie und einige andere sind in Düren untergekommen. Dass daraus mehr als sieben Monate werden, hätten sie sich nicht träumen lassen. Dass sie Reife und Ernte von Mais und Zuckerrüben auf den angrenzenden Feldern sehen würden. Dass ihnen Kleidung für den Winter gebracht würde. Das Warten auf die Rückkehr zehrt, die Senioren fühlen sich zuweilen vergessen.
Zum gemeinsamen Essen in den Speisesaal möchte Frau Müller derzeit nicht gehen. Die oft angespannte, gereizte Stimmung der anderen Evakuierten kann sie gerade nicht ertragen: „Es ist manchmal wie ein Pulverfass.“
Und manchmal ist es schier unerträglich. Wenn der Leichenwagen vorfährt zum Beispiel. „Das bleibt hier nicht aus“, lässt sie ihr Pragmatismus sagen. Doch Frau Müller, die als junges Mädchen in einem Altenheim geholfen hat, bevor sie sich für den Beruf der Einzelhandelskauffrau entschieden hat, dreht dann lieber um: „Ich kann das Leid grade nicht sehen.“ Auch das Bild der jungen Frau mit den schönen schwarzen Haaren, die beatmet und bewusstlos im Zimmer schräg gegenüber liegt, kann sie nur schwer verdauen.
Die Spaziergänge sind ein Lichtblick
Da bewundert sie die Geduld, mit der ihre über 90-jährige Nachbarin die Zeit erduldet. Sie erzählt vom Lichtblick in ihrem Leben. Von der anderen Nachbarin, mit der sie so oft spazieren geht und der sie unendlich dankbar ist: „Wenn ich die nicht hätte... Sie sieht in allem immer das Gute.“
In der Umgebung der Wohnanlage gibt es ein Wohngebiet und Felder. Ein bisschen städtisches Leben, ein Café-Besuch sind eine Busfahrt entfernt – in ihrem geschwächten Zustand für Frau Müller unerreichbar weit weg. Die Spaziergänge lenken sie oft ab.
Wenn sie von dem Quatsch erzählt, den sie dabei gerne machen, blitzen ihre Augen auf. Ihre frühere Lebenslust ist trotz Schutzmaske zu erkennen. „Wir gehen in die Knollen“, ist im Herbst die Ansage für die Tour in die Felder gewesen, der „Besuch beim Biber“ für den Weg zum Bach. Und mit den Hunden der Anwohner sind die Frauen auch schon bestens bekannt. „Das Erzählen tut gut. Es vergeht kein Mal, wo wir uns nicht über irgendetwas amüsieren. Das ist das Salz in der Suppe – und lässt das Elend mal vergessen.“
Das Provisorium und die Krankheit sind eine Qual
Für einen kontaktfreudigen Menschen wie Frau Müller ist das Leben in diesem so lange andauernden Provisorium und mit der Krankheit, die sie stark einschränkt, eine Qual. Der Kontakt zur Außenwelt ist ihr Smartphone. Mit ihren Brüdern telefoniert sie, mit alten Schulkameradinnen schreibt sie, eine Bekannte aus Essen meldet sich häufig.
Dennoch bleibt ihr viel Zeit, mit dem Leben zu hadern: „Ich habe nicht gesoffen, nicht geraucht und mich gesund ernährt.“ Rennrad ist sie gefahren, hat Walking und Yoga gemacht: „Der Krebs ist wenigstens gut genährt worden.“
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„Wie lange ich das hier überstehe, weiß ich nicht“, sagt Frau Müller. Die Gesundheit und das Zuhause sind eben nicht zu ersetzen. „Da helfen keine Schokolade, kein Parfüm, keine Blumen und keine Pille“, hat sie an die Redaktion geschrieben.
Doch dann überlegt sie, dass sie allen vom alten Stadttor eine schöne Zeit in ihrem Zuhause wünscht. Betrachtet das Foto ihrer Eltern. Besinnt sich des Spruchs ihres Vaters: „Du bist ein Sonntagskind. Du schaffst das!“ Schließlich ist da ja noch der Wunsch, eines nochmal zu machen: Tanzen zu gehen.