Nach monatelanger OdysseeBlinde Seniorin kehrt nach Bad Münstereifel zurück
Bad Münstereifel-Holzem – Die Welt von Hildegard Krawinkel ist dunkel. Das heißt aber nicht, dass es für sie keinen Lichtblick gibt. Seit Anfang April lebt die blinde Frau dort, wo es sie seit der Flutkatastrophe hinzieht: im Seniorenheim Haus Hardt in Holzem. Hinter ihr liegen der Verlust ihrer Wohnung und eine monatelange Odyssee. Wegen eines Aufnahmestopps für das Heim, den der Kreis verhängt hätte, verbrachte die 87-Jährige fünf Monate fernab ihrer Heimat Bad Münstereifel. Jetzt aber haben sich Kreis und Haus Hardt auf einen Kompromiss geeinigt.
Es gibt einen Schrank, einen Nachtisch, ein Bett und einen Tisch samt zwei Stühlen für Besucher. Ihr neues Zimmer – es trägt den Namen Birke – hat Hildegard Krawinkel (Name geändert) nur spärlich eingerichtet. Viel braucht die Blinde aber auch nicht. „Ich habe das Gefühl, hier nie wieder wegzuwollen. Hier gehöre ich hin“, sagt Krawinkel. Wenn sie das Fenster öffnet, strömt kühle Waldluft ins Zimmer. Luft, nach der sie sich in ihrer Übergangsheimat in Rheinland-Pfalz gesehnt hat.
Kreis verhängte Aufnahmestopp
Das vergangene Jahr war für Krawinkel nicht leicht. Erst verwüstete die Flutkatastrophe ihre Wohnung in Bad Münstereifel. Sie bemühte sich deshalb um einen Heimplatz im Haus Hardt. Die Zusage kam schnell. Weil es aber an Pflegekräften in dem Heim fehlte, durfte Krawinkel nicht einziehen. Der Kreis verhängte einen Aufnahmestopp. Krawinkel hatte keine Wahl und musste in ein Seniorenheim im rheinland-pfälzischen Linz ziehen.
„In Linz hatte ich ein viel zu großes Doppelzimmer. Dieser Raum hier ist kleiner, perfekt für eine Blinde wie mich“, sagt die Seniorin. Jeder neue Raum, den sie betritt, ist für Krawinkel wie eine endlose Leere. Sie weiß nicht, wo der Tisch steht. Sie weiß nicht, wo der Raum anfängt und wo er endet. Und wo die Toilette ist, das weiß sie auch nicht. Vorsichtig muss sie die Welt vor sich ertasten. „Wichtig ist, dass nichts verändert wird.“
Flut hat Wartezeit verschärft
Noch ist alles neu. Ab und zu muss die blinde Seniorin Dinge suchen. Die Nichte habe den Schrank und den Nachttisch eingeräumt, sagt sie. Ihr Farberkennungsgerät etwa hat Krawinkel schon gefunden. Mit ihm kann die blinde Frau prüfen, welche Farben ihr neues Zuhause oder die Kleidung hat.
Lange Wartezeiten für einen Heimplatz sind in der Pflege nicht ungewöhnlich. „Zwei bis drei Monate sind die Regel. Es kann aber auch schon mal bis zu sechs Monaten dauern“, erläutert Michael Lamsfuhs, Geschäftsführer des Hauses Hardt. Die Flutkatastrophe aber verschärfte die Situation der Senioren in Bad Münstereifel zusätzlich. Viele, die Heimplätze in der Kurstadt sicher glaubten oder schon in Heimen lebten, warten noch immer auf ihre Rückkehr. Dass Krawinkel und mit ihr sieben andere Senioren ins Haus Hardt ziehen konnten, liegt auch am Einsatz von Lamsfuhs.
Das könnte Sie auch interessieren:
Permanent habe er beim Kreis Anträge gestellt, sagt er. „Wir haben uns auf eine Zwischenlösung einigen können. Im April, Mai und Juni dürfen wir bis zu 84 Plätze belegen.“ Die Bedingung: Jeder Bewohner, der kommt und geht, jede Veränderung beim Personal muss unverzüglich der Kreisverwaltung gemeldet werden. Die Quote für examinierte Fachkräfte muss das Haus Hardt erfüllen. Lamsfuhs hat aber mehr Zeit für die Personalsuche. Neue Pflegekräfte hat er bereits gefunden. „Jetzt hoffe ich nur noch, dass das Personal auch bleibt.“
Für Lamsfuhs ist die Zwischenlösung ein „Licht am Ende des langen Tunnels“. Der Aufnahmestopp hat ihn vor ein Dilemma gestellt: Ohne Pflegefachkräfte keine Bewohner, ohne Bewohner kein Geld. „Wenn die finanziellen Reserven zu Ende gehen, können wir aber keine neuen Pflegekräfte einstellen“, erläutert Lamsfuhs. Trotzdem sind mit der Zwischenlösung nicht alle Missstände in der Pflege behoben, die Lamsfuhs auch im Interview mit dieser Zeitung kritisiert hat. „Wir hoffen, dass sich bald etwas tut. Aus dem Licht am Ende des Tunnels muss endlich ein Horizont werden“, sagt er.
Für Hildegard Krawinkel spielt das aber keine Rolle. In ihrem kleinen Zimmer fühlt sie sich nicht gefangen, sie fühlt sich frei. Und doch gibt es eine Kleinigkeit, einen Lichtblick, den sich die 87-Jährige noch wünscht: „Wenn ich den entsprechenden Partner finden würde, würde ich gerne Rumba lernen“, sagt sie. Um zu tanzen, müsse sie nichts sehen. „Man guckt ja nicht auf die Füße.“