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Die schönsten BilderSo herrlich jeck treiben die Geister in Blankenheim den Winter aus

Lesezeit 7 Minuten
Hoch zu Ross ritt mit Elena I. (Weber) zum zweiten Mal eine Frau als Obergeist dem Zug voran.

Als Obergeist ritt Prinzessin Elena I. hoch zu Ross dem Geisterzug voran. Sie ist die zweite Frau, die die Jecke im Ahrstädtchen anführt.

Zum Winteraustreiben treffen sich die Geister in Blankenheim. Seit Jahrhunderten wird an der Ahr die Form des historischen Karnevals gepflegt.

Im kleinen Eifelort Blankenheim ist am frühen Abend des Karnevalssamstags Geisterstunde: Beim Geisterzug ziehen in weiße Bettlaken gehüllte Gestalten mit den zu Öhrchen gebundenen Zipfeln fröhlich singend und tanzend durch die alten Gassen – 350 Geister sind es dieses Mal, große wie kleine. Der kleine Max aus Weilheim in Oberbayern ist erstmals dabei und gerade mal drei Jahre alt. Dieser Zoch ist für die ganze Familie ein Highlight.

412 Jahre oder vielleicht noch älter? Die historischen Daten sind nicht endgültig geklärt. Der Karnevalsverein Blankenheim ist überzeugt, dass es das jecke Treiben hier länger gibt als jedes andere in Deutschland. Im Obergeschoss des mittelalterlichen Georgstors, einem der beiden erhaltenen Zugänge zum Fachwerk-Ortskern, treffen sich vor dem Zug Vereinshonoratioren, der Landrat und wichtige Hauptdarsteller. Orden werden verliehen, die Vorfreude steigt.

Erst zum zweiten Mal in der langen Geschichte ist eine Frau Obergeist

Mittendrin ist Prinzessin Elena I. (Weber). Sie wird sich gleich in den Obergeist verwandeln und hoch zu Ross den Zug anführen. Zum zweiten Mal nach der Premiere von Prinzessin Dilek I. (Schröder-Tas) im Vorjahr hat eine Frau die höchste Blankenheimer Karnevalswürde.

Draußen in den Gassen und entlang der Ahrstraße ist es noch still, die Straßenbeleuchtung wird erst mit dem Start des Geisterzugs ausgeschaltet. Wenige Touristen schlendern übers Kopfsteinpflaster. An einige Fassaden hängen weiße Puppen, immer wieder der Schriftzug: „Blangem – Juh Jah!“

Wir trotzen dem Düsseldorfer Karneval! Das hier ist doch viel netter und familiärer.
Anna, Besucherin beim Geisterzug in Blankenheim

Das ist das Alaaf der Blankenheimer (Blangemer) Jecken und Titel des überlieferten Karnevalsliedes. Die Melodie dazu wird später von drei Musikkapellen gespielt. Es ist die Begleitung zum Tanz der Geister: Untergehakt in Dreier- bis Fünferreihen geht es hüpfend nach links und nach rechts den Zugweg entlang. Viele haben Pechfackeln in der Hand, die die alten Hausfassaden beleuchten.

Bei Felix Schlemmer an der Pechfackel-Ausgabestelle am Rathaus herrscht die Ruhe vor dem Sturm. „Die Fackel hält den Zoch lang, wenn man sie erst beim Start anmacht“, rät er. Anna aus Erkrath, die mit Ehemann und Töchterchen zum ersten Mal als Geist dabei ist, greift zu. Das Trio ist überzeugt: „Wir trotzen dem Düsseldorfer Karneval! Das hier ist doch viel netter und familiärer“, meint Anna.

Ecky ist das Pferd im Geisterzug in Blankenheim und die Ruhe selbst

Lukas aus Tecknau im Kanton Basel wirkt etwas ratlos. Aber neugierig ist er: Seine Ehefrau, die lange in Blankenheim gelebt hat, hat ihn überzeugt. „Wir kennen in Basel bei der Fassnacht die Larven, das ist eher ernst.“ Da kann er bei den gut gelaunten Blankenheimerinnen neben ihm einiges lernen. „Wir springen im Geisterzoch seit Kindesbeinen – und noch so lange wir können“, sagt Anja und strahlt voller Vorfreude. Die Freundinnen sind in weiße Bettlaken gehüllt – oft Erbstücke, natürlich ohne Gummizug: „In einem Spannbettlaken sieht man doch aus wie eine Wurst.“

Kurz nach 19 Uhr wird ernst für die lustigen Geister. Prinzessin Elena, jetzt mit Flügelkonstruktion auf dem Rücken und dem an eine keltische Gottheit erinnernden Ohren-Helm, besteigt entschlossen Ecky. Das 17 Jahre alte Rheinisch-Deutsche Kaltblut, das Julia Zenner am Halfter hat, wirkt ungerührt. „Der wird gleich der Fels in der Brandung sein. Elena muss sich keine Sorgen machen“, sagt die Pferdehalterin. Schließlich sei er karnevalserprobt: Er gehe im Reiterkorps der Kölner Prinzengarde mit.

Zahlreiche Traditionsfiguren gehören zum Geisterzug – und ein Schnaps

Vor der berittenen Obergeistin reihen sich weitere Traditionsfiguren auf: Etwa das Schelleböumche, ein Quintett aus Mitgliedern des Junggesellenvereins mit Querföten, Trömmelchen und einem alten, aus Lindenholz gebauten Schellenbaum. Fünf Hexen treiben mit ihren Reisigbesen symbolisch den Winter aus und erschrecken liebend gerne kleine Geister. Ein überraschend gemütlich wirkender Teufel unter einer gruseligen schwarz-dunkelroten Maske im Zottelgewand geht mitten drin.

Das erste „Juh Jah“ erklingt, die Geister machen sich auf den Weg. Es ist die Freude am ungezügelten Springen und Singen, Beifall spenden hunderte Zuschauer des Spektakels. Es geht über die Ahrstraße und durchs Georgstor bis zum Kreisverkehr, an dem der ganze Zoch sich dreht. Auf dem Rückweg wartet der Aufstieg hoch zum Pfarrhaus am Ende des Zuckerbergs.

Kurz vor 20 Uhr ist es hier noch ruhig, aus den alten Gassen schallt der „Juh Jah“ hoch. Pfarrer Andreas Züll, das Pastoralteam und Mitarbeiter der Pfarreiverwaltung haben auf Tabletts Schnaps und Likör vorbereitet. Hochgeistiges für Untote. „Das ist hier Tradition“, sagt Züll. Jean Elex Normil, gebürtig aus Haiti und seit wenigen Monaten Priesterlicher Mitarbeiter, hat Geisterzoch-Premiere: „Der Karneval und der Geisterzug, das ist bunt und lebendig. Die Menschen feiern gemeinsam. Das tut ihnen gut. Sie können die Lebensfreude weitergeben. So kann auch der Glaube sein: bunt und lebendig, und man kann ihn teilen.“

Auch mit Kanonendonner wird an der Ahr der Winter ausgetrieben

Schon nähern sich die, für die die Getränke sind. Die zwei Jecken Böhnchen, historische Figuren im Blankenheimer Karneval, sind die Personenschützer der Tollität, gekleidet in Kostüme, die an Uniformen der Bürgerwehr aus der Zeit des 30-jährigen Krieges erinnern. Im Zug laufen sie im Geistergewand im Hüpfsprung voneinander weg, dann wieder aufeinander zu. Aus rund einem Kilometer Zugweg werden für Tom Franzen und Noel Mercier, in dieser Session die Jecken Böhnchen, an die sieben. Da ist der Schnaps verdient.

Unter der Maske des Teufels steckt Frank Bertram. Er folgt mit den Hexen auf dem Fuß. „Ich mache den Teufel jetzt seit 23 Jahren“, sagt Bertram, während er die monströse Maske abnimmt. In zwei Jahren will er das Ehrenamt abgeben: „Dann hätte ich Jubiläum, Silberhochzeit und werde 60.“ Zudem könne er im Blankenheimer Karneval ohnehin nichts mehr erreichen. Prinz war er schon, jetzt der Teufel. Mehr jeckes Ehrenamt gehe hier eben nicht. Nun sucht der Teufel seinen Nachfolger.

„Es war wunderbar!“ Elena I., die Obergeistin, strahlt, wenn auch ein bisschen erschöpft. Ein bisschen Angst habe sie vor dem Start schon gehabt. Eineinviertel Stunden später ist die verflogen. Ebenso begeistert sind die Geister, Gerd aus Bonn etwa: „Das ist doch das Original! In Köln gehen 8000 mit der Bierflasche in der Hand durch die Stadt. Wie langweilig“. Seine Mit-Geister Martin und Anna aus Stuttgart nicken.

Kurz nach 20.30 Uhr machen sich Wilfried Wutgen und anderen Mitglieder der vor (erst) 63 Jahren aus den Reihen der Feuerwehr gegründeten Kaisergarde an die Arbeit an der mitgeführten alten Kanone. „Drei Mal böllern wir immer. Öfter, wenn wir Lust drauf haben – und genug Pulver“, sagt Wutgen.

Bei der Historie muss man es so ganz genau nicht mehr nehmen. Den Geistern ist es vermutlich ohnehin schnuppe. Viele von ihnen sind in die nahe Weiherhalle weitergezogen. Zur Geisterzochparty bis weit nach Geisterstunde. Da ist es im historischen Ortskern längst so wie immer. Still, fast ausgestorben. Nur ab und zu huschen weiße Gestalten vorbei.


Die Regeln für den Geisterzug

Nur ein Kostüm ist beim Geisterzug erlaubt: Ein Bettlaken, zwei kurze und ein längeres Stück Kordel, weiße Schminke – fertig ist der Geist. Der Geisterzoch beginnt am Karnevalssamstag am Blankenheimer Rathaus und führt durch den historischen Ortskern. Er dauert eine gute Stunde. Jeder kann mitmachen.

Vom Karnevalsverein Blankenheim gibt es gegen einen kleinen Obolus eine Pechfackel für den jecken Weg, denn der Ortskern ist während des Geisterzochs ohne Straßenbeleuchtung.

Gesungen und getanzt/gesprungen wird zum Text des „Juh Jah“-Liedes: „Juh Jah Kribbel en dr Botz. Wä dat net hätt, dä es nix notz! - Juh Jah Kribbel en dr Botz. De Fassenaach es do! Ne richtige Fastelovendsjeck, dä freut sich övver jede Dreck. Juh Jah Kribbel en dr Botz. De Fassenaach es do!“