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Der lange Weg zurück ins LebenFlutopfer werden Jahre für die Aufarbeitung brauchen

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Setzen sich dafür ein, dass die von der Flut betroffenen Menschen auch weiterhin die Unterstützung bekommen, die sie benötigen: Ingo Pfennings (l.) und Frank C. Waldschmidt.

Kreis Euskirchen/Schleiden – Es wird noch Jahre dauern, bis die Spuren der Flut in den Orten nicht mehr zu sehen sein werden. Doch was ist mit Schäden, die die Katastrophe bei den Menschen angerichtet hat. Wie lange wird es dauern, bis ihr Leid, ihre Ängste und ihre traumatischen Erlebnisse verarbeitet sind?

„Auch das wird Jahre dauern“, ist sich Frank C. Waldschmidt, Leiter der Beratungs- und Koordinierungsstelle „Schleidener Tal“ (BeKo), sicher. Bis zu 9000 Menschen im Kreis Euskirchen, so schätzt Waldschmidt, brauchen längerfristig psychologische Unterstützung.

„Wer ganz nah dran war, braucht eine langfristige Therapie“

Die BeKo hatte auf Initiative von Bürgermeister Ingo Pfennings am 1. August die psychologische Akuthilfe der Malteser abgelöst. Waldschmidt, Fachberater für psychosoziale Notfallversorgung und Experte für Krisen- und Bedrohungsmanagement, übernahm die Leitung. „Ziel war und ist es, möglichst allen Betroffenen ein Angebot machen zu können“, sagt Pfennings. Das gelte für die Bevölkerung und die Einsatzkräfte. „Wir haben dafür ein Team von Psychologen und Traumatherapeuten, aus der Städteregion Aachen“, erklärt Waldschmidt. „Doch wer ganz nah dran war, um sein Leben gebangt oder Schreie von anderen Menschen gehört hat, der braucht eine langfristige Therapie“, betont Waldschmidt.

Das gelte auch für ältere Menschen, bei denen durch die gefühlte Ohnmacht oft Kriegserlebnisse wieder ausbrechen. „Die Möglichkeiten, diese Menschen in der Regelversorgung unterzubringen, sind ausgereizt. Einige suchen seit Wochen einen Platz“, erzählt Waldschmidt. Schon in der Pandemie sei die Nachfrage nach Psychotherapieplätzen gestiegen: „Jetzt kommen die Flutopfer noch hinzu. Wir versuchen die Menschen an die Therapeuten zu vermitteln, die bislang ehrenamtlich geholfen haben.“

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In dem Zusammenhang kann sich der Leiter der BeKo Kritik am Land NRW nicht verkneifen: „In Düsseldorf denkt man, es wäre doch jetzt wieder alles im Griff. Als wir zwei Monate nach der Flut Kräfte angefordert haben, um durch die Orte zu gehen und mit Betroffenen zu sprechen, wurden wir gefragt, was das soll.“

Traumazentrum im Ahrtal wird eingerichtet

Es gebe in NRW kein klares Konzept für die kurz- und langfristige Versorgung: „Das hätten wir schon in der Pandemie benötigt.“ Hinzu kämen Probleme mit Gutachtern und Versicherungen sowie zu komplizierte Antragsformulare: „Da besteht die Gefahr, dass die Opfer ein zweites Mal traumatisiert werden.“ Manch einer würde angesichts der Probleme erst gar keinen Hilfsantrag stellen und seine Ersparnisse aufbrauchen.

Im Ahrtal, so Waldschmidt, werde jetzt ein Traumazentrum eingerichtet und für drei Jahre vom Land bezahlt. Deshalb habe man beim Innenministerium in Düsseldorf auch eine Initiative für ein solches Zentrum gestartet. „Das Zentrum würden wir gerne im Stadtgebiet ansiedeln“, sagt der Bürgermeister.

Die Stadt sei ja gerade dabei, mit Partnern das Hilfszentrum Schleidener Tal einzurichten, um Betroffenen weiterhelfen zu können. Dort sollen Angebote von verschiedenen Organisationen gebündelt werden. Auf Dauer könne die Stadt die Hilfe aber nicht alleine stemmen. Die Räume für das Hilfszentrum, in denen Pfennings auch das Traumazentrum unterbringen möchte, sind von den Maltesern für zwei Jahre mit der Option für ein drittes angemietet. Dort wird auch Waldschmidt weiterarbeiten, wenn die BeKo am 31. Januar ausgelaufen ist.

„Normalerweise sind schreckliche Erlebnisse nach Tagen oder Wochen verarbeitet, aber nicht nach solchen Katastrophen. Die Hochwasser an der Elbe haben gezeigt, dass das lange dauern kann“, berichtet Waldschmidt. In der ersten Zeit seien die Menschen mit dem Überlebenskampf beschäftigt: „Da müssen die Häuser aufgeräumt und Hilfe koordiniert werden.“ Doch wenn die Betroffenen dann zur Ruhe kämen, seien die Ereignisse wieder präsent.

Bislang kaum Hilfe für Kinder und Jugendliche

In mehr als 2000 Gesprächen mit Betroffenen habe sich gezeigt, wie unterschiedlich die Menschen von der Katastrophe betroffen seien: „Manche haben nur kleinere Probleme, andere tragen Suizidgedanken mit sich herum. Einige Betroffene trauen sich kaum raus aus ihrem Haus, weil sie Angst haben, dass die Erlebnisse wieder hochkommen.“ Auf der anderen Seite gebe es auch Menschen, die keine Schäden erlitten hätten und sich dafür schon schämen würden.

Für Einsatzkräfte sei es besonders schlimm gewesen, dass sie Menschen nicht helfen konnten oder nicht wussten, wo ihre Kollegen sind. „Die Ohnmacht und der Kontrollverlust sind für die Helfer kaum zu ertragen“, weiß Waldschmidt.

Auch Hilfe für Kinder und Jugendliche habe man bislang kaum auf dem Schirm gehabt. „Wir haben Rückmeldungen von Eltern, dass Kinder weinen, wenn sie ein Martinshorn hören, oder dass sie nicht mehr zurück ins Haus wollen, weil man da nicht mehr schnell genug rauskommt“, berichtet Pfennings.