Kreis Euskirchen/Kall – 12,19 Millionen Menschen haben am Mittwochabend den Finaleinzug der deutschen Frauen im Fernsehen verfolgt. Ein par von ihnen im Saal der Gaststätte Gier in Kall, in dem beste Europameisterschaftsstimmung herrschte. Vor der Großleinwand fieberten rund 20 Fußballfans mit der deutschen Nationalmannschaft, während in der Gaststätte weitere zehn Zuschauer vor den Bildschirmen saßen. Lauthals wurde gejubelt bei den Toren von Alexandra Popp und mitgelitten bei den vielen Chancen, die die Französinnen sich Mitte der zweiten Halbzeit erarbeiteten.
Unübersehbar war, dass die lange Corona-Pause auch beim Fußball-Merchandising ihre Spuren hinterlassen hatte. Eine Charge der auf den Tischen bereitliegenden Fanartikel war offensichtlich beim Hersteller verkehrt herum zusammengesetzt worden, sodass sie eine gold-rot-schwarze Flagge zeigten. Doch auch diese wurde eifrig geschwenkt, wenn sich die deutsche Mannschaft dem Tor näherte. Die Halbzeitpause wurde dann genutzt, um die Fähnchen von den Halterungen abzupiddeln und sie richtig herum wieder aufzusetzen.
Bürgermeister gibt einen aus
Bürgermeister Hermann-Josef Esser und Uwe Schubinski vom Verein zur Erhaltung der Gaststätte Gier schoben sich die Verantwortung für den Einfall, im Saal ein Rudelgucken anzubieten, gegenseitig zu. „Uwe hatte Werbung für das Public Viewing gemacht, und ich habe angekündigt, dass ich jedem Besucher ein Getränk ausgebe“, so Esser. Schubinski war etwas bescheidener: „Das war eine gemeinsame Idee.“ Nach Corona seien alle froh, dass wieder etwas stattfinden könne. Er habe mit weniger Besuchern gerechnet, da der Spieltermin mitten in der Woche und spät am Abend sehr ungünstig gelegen habe.
Als regelmäßiger Beobachter der Frauen-Fußballnationalmannschaft outete sich Esser. „Die anderen Spiele habe ich auch gesehen“, sagte er. Er finde es interessant, da es nicht so ein Rasenschach sei wie bei den Männern, sondern eher ein offener Schlagabtausch. „Das hat man ja heute auch gesehen“, urteilte er. Diese Europameisterschaft sei ein Ersatz für die WM, die ja erst im November stattfinde. „Es bleibt abzuwarten, wie die angenommen wird bei dem Termin und dem Austragungsort“, so Esser.
Finale wird auch gezeigt
„Ich bin erstaunt, wie athletisch die Frauen mittlerweile geworden sind“, sagte Schubinski. Bald würden sie den Männern in nichts mehr nachstehen. „Alex Popp könnten die direkt mit nach Katar nehmen, die trifft wenigstens das Tor“, urteilte er. „Ich habe total die Atmosphäre in der Kneipe vermisst“, freute er sich über die Möglichkeit, mit anderen gemeinsam Fußball zu schauen. Am Sonntag, 31. Juli, 18 Uhr, könne auch das Finale im Saal der Gaststätte Gier verfolgt werden.
Doch was bedeutet das erfolgreiche Abschneiden der deutschen Kickerinnen in England für den Kreis Euskirchen? Und wie sehen Menschen, die sich mit dem Frauenfußball beschäftigen, die Fußball-EM?
Mitspielerin der Nationaltrainerin
Wie sich Erfolg im deutschen Dress anfühlt, weiß Sonja Fuss ganz genau. Die Flamersheimerin ist Doppel-Weltmeisterin und Dreifach-Europameisterin geworden, 1997 sogar an der Seite der heutigen Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. „Mein schwarz-rot-goldenes Herz brennt natürlich immer noch für den Frauenfußball, und entsprechend hoffe ich natürlich auf erfolgreiche Spiele unserer Mannschaft“, sagte Fuss. Es mache nicht nur wahnsinnig Spaß, dem Team zuzuschauen, sie freue sich auch darüber, dass die deutsche Elf im Land Begeisterung auslöse. „Das Abschneiden unserer Mannschaft bei so einem Turnier ist wichtig für die weitere Entwicklung des Frauen- und Mädchenfußballs, und ich hoffe, dass man den Schwung mitnehmen kann.“
Doch was ist mit dem Boom? Das Potenzial, das im Frauen- und Mädchenfußball schlummere, brauche immer wieder solche Ereignisse, um sich zu entfalten. „Mit dem Schwung und der Begeisterung sowie den Persönlichkeiten in der Mannschaft kann man sicherlich einen perspektivischen Mehrwert erreichen.“ Diese Begeisterung müsse aber genutzt werden, um den Frauenfußball von der Bundesliga bis zur Kreisliga nach vorne zu bringen. „Rückenwind hilft hier natürlich.“
Viel Lob für England
Im Fußballkreis Euskirchen ist Isabelle Strunk als Frauenbeauftragte genau dafür zuständig. Die Spiele hat sie gemeinsam auf dem Sportplatz mit Freunden geschaut. „Für mich ist das DFB-Team als Außenseiter in die EM gestartet und hat sich zum Mitfavoriten entwickelt.“ Aber sie schickt auch Grüße in die Gaststätte Gier. Das Finale in der „Kultkneipe“ werde unterschiedliches Publikum anlocken und ein tolles Event werden.
Viel Lob hat Strunk auch für Ausrichter England übrig. Auf der Insel werde Fußball gelebt, das Land sei Vorbild für alle Nationen. Dennoch ist ihr Optimismus verhalten. „Das DFB-Team kann sich auf dem Großereignis präsentieren und die Chance nutzen, um den Frauenfußball weiterzuentwickeln. Ob wir von einem Boom sprechen können, würde ich verneinen. Aber eventuell treten für die Zukunft Verbesserungen ein.“ Damit meint Strunk eine bessere Vermarktung und natürlich auch ein Grundgehalt für die Bundesligaspielerinnen, damit diese nicht auch noch nebenher arbeiten gehen müssten.
Weniger Teams und Spielerinnen
Aber wie ist die Lage im Fußballkreis Euskirchen? „Die Anzahl der weiblichen Mannschaften und Spielerinnen im Amateurbereich ist in den vergangenen Jahren trotz des an vielen Orten vorhandenen großen Engagements zurückgegangen.“ Dennoch schaue man positiv in die Zukunft und versuche, einen Weg zu finden, um neue Spielerinnen zu integrieren und ein Fundament zu schaffen für den wenigen Nachwuchs, den man habe. Deshalb ist Strunk auch auf jede einzelne Frauen- und Mädchenmannschaft im Kreis Euskirchen stolz.
Auch beim VfL Kommern, aktuell die fußballerische Hochburg des Mädchenfußballs im Kreis Euskirchen, hat man noch keinen Boom durch die Europameisterschaft wahrgenommen. Dafür gibt es laut Trainer Sascha Wagner auch einen einfachen Grund: die Ferien. „Vor den Ferien haben sich zehn Mädchen angemeldet. Das war aber vor der EM. Also ist das auch nicht auf einen EM-Effekt zurückzuführen“, so Wagner. Er hoffe aber, dass die Leistungen der Nationalmannschaft einen Schub für den Mädchen- und Frauenfußball im Kreis bringen werden. Verfolgt worden sind die Spiele von den Nachwuchskickerinnen des VfL. „Wir haben sogar extra früher das Training beendet, um die Spiele gucken zu können“, berichtet Wagner.
Ehrliches Spiel
Christof Hilgers, Trainer der SG Oleftal, als Landesligist die höchstspielende Damenmannschaft im Kreis, ist immer noch begeistert vom Halbfinale: „Das war ja mal wieder ein Top-Spiel unserer Damen-Nationalmannschaft. Ich finde, es ist eine herausragende Europameisterschaft. Wir sehen hier Fussball auf höchstem Niveau im taktischen und technischen Bereich.“ Vielmehr noch fällt ihm aber die Art und Weise auf, wie die Mannschaften auftreten, die er als „ehrlich“ bezeichnet.
Die deutsche Elf sei ein absolutes Flaggschiff an Disziplin und Einstellung, top trainiert und jederzeit bereit, alles für einander zu geben. „Ich finde, dass sich die Herren davon eine gewaltige Scheibe abschneiden können.“ Hilgers macht es Spaß, dem „erfrischenden und schnellen Spiel zuzuschauen und mit der Mannschaft mitzufiebern“.
Mehr Akzeptanz gefordert
Doch es muss sich auch noch etwas tun. So wünscht er sich eine weitere Förderung des Frauenfußballs, und er erhofft sich mehr Akzeptanz und Anerkennung im Amateurbereich. „Ich trainiere jetzt seit fünf Jahren in der Damen-Landesliga und bereue keinen einzigen Tag. Der Damenfußball hat sich in großen Schritten weiterentwickelt. Ich hoffe sehr, dass uns in Zukunft weniger Steine in den Weg gelegt werden“, so Hilgers.
Gemeinsam habe man fast alle Spiele gesehen. Die SG Oleftal freue sich jetzt sehr auf Sonntag. „Ich denke, es wird ein offenes Finale werden.“
Werbung für den Frauenfußball
Auch für Ingo Fink, bis Sommer Trainer des Bezirksligisten SG Erfthöhen, ist das Auftreten der Teams in England Werbung für den Mädchen- und Damen-Fußball. „Besonders gefällt mir, dass unsere Mannschaft als Team richtig gut funktioniert.“ Doch auch Fink rechnet momentan nicht mit einem großen Boom. „Ich bin skeptisch, ob das die Mädels wieder in der Anzahl auf den Platz bringt, die so dringend benötigt wird.“ Optimistisch ist er aber für Sonntag. „Ich gehe davon aus, dass unsere Damen den Titel dieses Jahr holen.“
Ehrlich ist Axel Sendscheid, Trainer des Neu-Bezirksligisten TB-SV Füssenich-Geich. Er gibt zu, dass er den Frauenfußball früher immer ein wenig belächelt habe. „Aber ich trainiere jetzt seit gut drei Jahren eine Damenmannschaft. Mittlerweile ist da eine Entwicklung zu sehen, die sensationell ist: technisch anspruchsvoll und auch vom Tempo her.“
Deutschland spiele eine tolle EM, und allein im Halbfinale zu stehen, sei schon etwas Besonderes. Sendscheid hat, wenn es ihm möglich war, alle Spiele geschaut und wünscht sich jetzt einen Boom: „Ich hoffe, der DFB bringt da noch was auf dem Weg.“