Nach Schiedsrichter-AttackeTürk Gencligi Euskirchen kommt mit blauem Auge davon
Euskirchen – In der Hinrunde keine Zuschauer bei Heimspielen, 750 Euro Ordnungsgeld, Ausschluss aus dem Kreispokal – das sind die Strafen, die die Kreisspruchkammer für den Fußballverein Türk Gencligi Euskirchen ausgesprochen hat. Zudem wurde der Torwart des B-Ligisten für vier Monate gesperrt – inklusive Sommerpause.
Sowohl Schlussmann als auch Verein sind mit einem blauen Auge davongekommen, wenn man bedenkt, was sich für Szenen beim Pokalspiel zwischen Türk Gencligi und dem TuS Zülpich am 18. Mai abgespielt haben. Zunächst rannten Zuschauer aufs Spielfeld, weil der Unparteiische Christian Kühlborn ein Tor von Türk Gencligi aberkannt hatte. Dann brannten beim Türk-Gencligi-Torwart die Sicherungen durch, und schließlich jagten Zuschauer den Schiedsrichter über den Platz.
Schiedsrichter wird von Plastikflasche getroffen
Trauriger Tiefpunkt: Eine gefüllte Plastikflasche traf Kühlborn im Gesicht. Geworfen vom Vorsitzenden von Türk Gencligi. Das gab bei der Verhandlung der Geschehnisse vor der Kreisspruchkammer nun zumindest der Torwart zu, nachdem der Vorsitzende der Kammer, Manuel Plützer, vier kurze Handyvideos gezeigt hatte, die am 18. Mai von Zeugen gemacht worden waren. Alle anderen Anwesenden und auch der schriftlich befragte Kapitän von Türk Gencligi schwiegen beharrlich.
Vier Stunden verhandelt
Fast vier Stunden verhandelte die Spruchkammer das „Skandalspiel“, wie Doris Mager, Vorsitzende des Fußballkreises, die Partie nach wie vor nennt. Dabei ging es zunächst um eine mögliche Sperre für den Torwart. Der war nach dem Zülpicher 1:0 wutentbrannt bis zur Mittellinie auf den Schiedsrichter zugelaufen.
Dafür sah er zunächst die Gelbe Karte, wenige Sekunden später die Rote. Dann folgte der Spielabbruch. Im Raum stand neben diversen Beleidigungen auch, dass der Schlussmann dem Schiedsrichter die Karten aus der Hand geschlagen haben könnte. Dies war aber weder mit Zeugenaussagen noch mit Videomaterial zu belegen.
Beleidigungen unstrittig
„Dass der Torwart dem Schiedsrichter die Karten aus der Hand geschlagen hat, ist für uns nicht erwiesen“, erklärte auch der Vorsitzende der Spruchkammer: „Dass er den Schiedsrichter beleidigt hat, ist indes unstrittig. Das hat er auch zu Protokoll gegeben.“
Dass das Hinterherlaufen einen tätlichen Angriff darstelle, dem könne sich die Kammer nicht anschließen. Dafür fehle die körperliche Berührung. Die Situation und das Verhalten des Torwarts seien aber als Bedrohung zu werten. Entsprechend sperrte die Spruchkammer den Schlussmann für vier Monate. „Wir halten es für sinnvoller, eine Monats- und keine Spielsperre auszusprechen“, so Plützer.
Strafmildernd machte die Kammer geltend, dass der Torwart als Einziger den Flaschenwerfer namentlich benannte. Dass der Schlussmann mit seinem Verhalten, wie vom Kreisvorstand angeführt, Auslöser der Eskalation und der Hetzjagd auf den Schiedsrichter gewesen sei, dem schloss sich die Kammer nicht an. Damit ist der Torwart bis zum 15. Oktober gesperrt und verpasst so unterm Strich maximal acht Spiele.
Halbes Jahr ohne Zuschauer
Sein Verein muss in der Hinrunde ohne Zuschauer auskommen. In der Rückrunde sind die Fans im Erftstadion wieder zugelassen, denn die Kreisspruchkammer verhängte die Strafe auf Bewährung. Zudem ist der Verein für den kommenden Pokal gesperrt. Die Sperre für den Pokal 2023/24 wurde auf Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungsfrist beträgt ein Jahr.
„Der Sachverhalt ist für mich eindeutig“, sagte Plützer bei Urteilsverkündung: „Vereine haften verschuldensunabhängig – auch für das Vergehen von Zuschauern.“ Das Problem haben laut Plützer auch Bundesligisten, wenn ein paar wenige „Zuschauer“ Pyrotechnik zünden und dafür der Verein und die vielen friedlichen Besucher bestraft würden.
Pokal auf Bewährung
Die Verhältnismäßigkeit sei ein wichtiger Punkt bei der Urteilsfindung gewesen, so der Kammervorsitzende. Der Kreisvorstand hatte den Ausschluss beider Seniorenmannschaft für die Meisterschaft und den Pokal im kommenden Jahr gefordert. Zudem sollte nach Ansicht des Kreisvorstands Türk Gencligi auch im Pokal 2023/24 nicht starten dürfen, wenngleich diese Strafe auf Bewährung auszusetzen sei. Allerdings hätte der Verein beim kompletten Ausschluss keine Gelegenheit gehabt, sich zu bewähren – das führte auch Plützer aus.
„Das Ganze ist im Pokal passiert, und sie dann für die ganze Meisterschaftssaison zu sperren, halten wir für unverhältnismäßig. Auch vor dem Hintergrund, dass aktuell keine weiteren Verurteilungen vorgelegen haben.“ Es seien Fälle, aber keine Verfahren vom Kreisvorstand ins Feld geführt worden, die aber auch nie bis zum Sportgericht vorgedrungen seien. Es gebe zwar ein Verfahren, das beim Verbandssportgericht angesiedelt sei (aus dem Spiel gegen DHO im Jahr 2020), da könne die Kreisspruchkammer „aber nichts dafür, dass das Verfahren noch nicht beschieden ist“.
Ausschluss aus Meisterschaft unverhältnismäßig
Der Ausschluss für die Meisterschaft sei unverhältnismäßig „ohne vorherige großartige andere Vorstrafen“, so Plützer: „Wir wollen, dass sich der Verein in der Hinrunde beweisen kann.“
Das Urteil ist aus Sicht der Kammer auch deshalb verhältnismäßig, weil die Eskalation von den Zuschauern und nicht den Spielern ausgegangen sei. „Da sind nicht acht oder elf Spieler dem Schiedsrichter hinterhergelaufen. Die Aggressoren sind die Zuschauer und ihr erster Vorsitzender“, erklärte Plützer. Dass der erste Vorsitzende als Flaschenwerfer überführt worden sei, habe die Kammer „extrem stark strafschärfend“ ins Urteil einfließen lassen.
Dass ein Schiedsrichter Angst habe, eine Mannschaft oder ein Spiel zu pfeifen, lässt Plützer nicht als Argument gelten. „Dann bin ich fehl am Platz“, so der Vorsitzende: „Das ist das Gleiche, wenn ein Richter sagt, dass er Angst habe, ein Verfahren gegen Mitglieder einer Rocker-Bande zu führen. Da kann ich auch nicht sagen, dass ich mich da nicht hinsetze.“
Rückzug des Teams denkbar
Ob Türk Gencligi im kommenden Jahr überhaupt an der Meisterschaft teilnehmen wird, ist indes noch nicht klar. „Das Verhalten an diesem Tag ist durch nichts zu entschuldigen“, sagte Vereinsvertreter Salih Yavuz. Zwischenzeitlich habe man intern viel diskutiert. Sogar eine Abmeldung des Vereins habe zur Debatte gestanden. Letztlich habe man sich aber – Stand jetzt – dagegen entschieden, weil die Mannschaft keine Schuld treffe. Hätte die Spruchkammer den Verein vom Meisterschaftsbetrieb ausgeschlossen, hätte man keinen Einspruch eingelegt, so Yavuz: „Dann hätte man uns eine Entscheidung abgenommen.“
Die Vorsitzende des Fußballkreises, Doris Mager, sagt: „Das Urteil ist in meinen Augen zu milde.“ Über einen Einspruch gegen das Urteil sei noch nicht abschließend im Kreisvorstand beraten worden.
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Mit einer Entscheidung sei Anfang der Woche zu rechnen, so Mager: „Die Kreisspruchkammer hat es leider verpasst, ein Zeichen zu setzen.“ Je länger man über das Urteil nachdenke, so die Kreis-Fußballchefin, desto „unverständlicher sind gewisse Entscheidungen“. Die Maßnahmen seien schwer umsetzbar und auch schwierig zu kontrollieren.