Fußballklub verspielt seinen RufDer Euskirchener TSC – Ein Verein am Tiefpunkt
Euskirchen – Es ist der Tiefpunkt eines einst stolzen Fußballvereins. 0:22 gegen den TuS Zülpich. In der Bezirksliga. Der Euskirchener TSC, Heimatverein von Heinz Flohe, Doublesieger 1978 mit dem 1. FC Köln, Weltmeister vier Jahre zuvor, kämpft gegen Hohn und Spott. Der Verein, bei dem auch der ehemalige FC-Spieler Andrzej Rudy kickte und trainierte.
Auch Bundesligaspieler Lukas Klünter hat eine ETSC-Vergangenheit. Der Verein, der sich für seine Vergangenheit nichts kaufen kann, sondern aktuell nicht nur gegen übermächtige Gegner spielt, sondern auch um seinen Ruf. Eine Woche nach dem 0:22 setzt es eine 0:13-Pleite. Viermal haben die Euskirchener in dieser Saison schon mindestens zehn Gegentore kassiert. 124 sind es insgesamt – nach 15 Partien.
Erfolg gesucht, gefunden, verloren
Der ETSC ist kein Einzelfall. Der TV Herkenrath, Yurdumspor Köln oder der FC Bergheim 2000: Alles Teams, die den Erfolg gesucht und dank eines Sponsors auch gefunden haben, die dann aber nach dem Rückzug des Geldgebers schnell wieder von der Fußballlandkarte verschwanden. Die Liste lässt sich fortsetzen. Beispielsweise mit Fortuna Köln. Auch der Südstadt-Klub ist zwischenzeitlich bis in die Verbandsliga abgestürzt. Der Grund auch hier: das liebe Geld.
Zurück zum ETSC: Kann es noch schlimmer kommen? Ja. Wenn die Verantwortlichen das Team zurückziehen, muss der Verein in die Kreisliga C. So sehen es die Statuten des Verbands vor, wenn man in zwei aufeinanderfolgenden Spielzeiten das Team vom Spielbetrieb abmeldet. Tiefer geht es nicht im Kreis Euskirchen. So weit will es keiner kommen lassen. Das betont Trainer Hartmut Pitten immer wieder.
„Wir werden in der kommenden Saison in der Kreisliga A eine wettbewerbsfähige Mannschaft stellen“, Coach Hartmut Pitten
„Wir werden in der kommenden Saison in der Kreisliga A eine wettbewerbsfähige Mannschaft stellen“, sagt der Coach, der als Spieler und Juniorentrainer über ETSC-Vergangenheit verfügt. Es sei deutlich schwieriger, aus der Kreisliga C den Weg in die Kreisliga A zu schaffen, als die Saison irgendwie zu Ende zu spielen. Wie der Ex-Profi von Fortuna Köln und dem AS Eupen berichtet, hat der Verein für die Rückrunde bereits fünf Spieler verpflichtet. Er sei sich bewusst, so Pitten, dass ein schwieriger und weiter Weg auf alle Beteiligten warte. Aufgeben sei aber keine Option.
Auch wenn sich die aktuelle Situation erneut wie ein Scherbenhaufen anfühlt. Das zeigt allein schon der Blick auf die Vereinshomepage. Die dort aufgeführten Trainer und der Sportliche Leiter sind seit mehr als einem Jahr nicht mehr da.
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Aber mit Scherbenhaufen und Tiefpunkten kennt sich der Euskirchener TSC aus: Im Oktober 2020 steht die Fußballabteilung nach dem Rückzug der Mannschaft aus der Landesliga vor dem Neuanfang. Es ist der zweite in drei Jahren, der vierte in 16. Der Stern des selbst ernannten FC Bayern München des Kreises Euskirchen ist längst verblasst. Spätestens nach dem 0:22 sind sie wieder zu vernehmen – die Rufe nach der guten alten Zeit. Die Rufe werden im Euskirchener Umfeld immer laut, sobald etwas Negatives geschieht – was in den vergangenen Jahren oft der Fall war. „Der Hein würde sich im Grab umdrehen“, sagt einer der wenigen Interessierten, die sich noch zu ETSC-Spielen verirren.
Der „Hein“ ist Heinz Flohe. Das fußballerische Gesicht des ETSC, der gesamten Kreisstadt – nicht nur als Spieler, sondern auch als Trainer. Weit über seine Lebzeiten hinaus. Dem Verein, der neben der Fußball- noch über eine Turn-, Badminton- sowie Leichtathletik- und Reha-Abteilung verfügt, ist es nie gelungen, aus dem Schatten Flohes herauszukommen. Auch, weil Fehler gemacht worden sind. Viele Fehler. 1999 stieg die Mannschaft in die Oberliga Nordrhein auf, damals die vierthöchste Spielklasse.
Ein Kraftakt, der der Fußballabteilung rückblickend das Genick gebrochen hat. Es sind immer wieder Kraftakte von einzelnen Gönnern, nicht nachhaltige Visionen von Geldgebern, die Vereine wie Herkenrath oder Bergheim stolpern lassen – also nicht nur den ETSC.
Das liebe Geld
Bei dem hat der damalige Aufstieg noch knapp 20 Jahre später Auswirkungen auf den Verein. Der Grund: die finanziellen Machenschaften, die sich im Hintergrund abspielten und sogar Gerichtsprozesse zur Folge hatten.
Eine Zerreißprobe für den Verein, von der er sich nie erholt hat. Die Fußballabteilung hatte Steuerschulden in Höhe von 47 000 Euro angehäuft. Das ist wieder der Hauptgrund: das liebe Geld.
Es folgen Zwangsabstiege, Neuanfänge und bessere Zeiten
Es folgen Zwangsabstiege, Neuanfänge und bessere Zeiten. Letztere dank der finanziellen Mittel, die Sponsor Willi Beier in den Verein pumpt. Von bis zu 250 000 Euro pro Saison über zehn Jahre hinweg ist die Rede. Den angestrebten Sprung in die Regionalliga schafft der ETSC trotzdem nicht. Was sich in all den Jahren nicht geändert hat: der Vorstand der Fußballabteilung ist gefühlt immer eine Ein-Mann-Armee und besteht bestenfalls aus zwei, drei Einzelkämpfern.
Der vermutlich größte Fehler in den vergangenen Jahren: Von all dem Geld, das Beier in die Abteilung gesteckt hat, wird nichts für schlechte Zeiten beiseitegelegt. Beim Rückzug aus der Mittelrheinliga im Sommer 2019 ist die Abteilung zwar nicht pleite, große Sprünge können aber nicht gemacht werden. Wieder heißt es Neuanfang. Wieder währt die Freude nur eine Saison und fünf Spieltage.
Beim Neuanfang in diesem Jahr war abzusehen, dass die Mannschaft kein Bezirksliga-, bestenfalls Kreisliga B-Niveau hat. Dennoch entscheiden sich die Verantwortlichen für den Start auf Verbandsebene – trotz schwieriger Vorbereitung im Zuge der Corona-Pandemie und der Flutkatastrophe. Trainer Markus Klaas wirft nach vier Spieltagen aus persönlichen Gründen das Handtuch.
Nur ein Gegentor in einem Spiel, das wäre ein Erfolg für den ETSC.
Ein Neuanfang im Neuanfang. Etwas, was man genau so wenig gebrauchen kann, wie ein Gegentor zum 0:1 in 90. Minute. Obwohl: Nur ein Gegentor in einem Spiel, das wäre ein Erfolg für den ETSC. Bisher gab es immer mindestens drei. Am Sonntag wartet mit Sindorf der Tabellendritte. Nur ein Gegentor? In dem Fall wären weniger als zehn ein Erfolg.
Trotz allem wäre es zu einfach, die Fehler im Hier und Jetzt zu suchen. Die Verantwortlichen müssen sich schon Jahre zuvor die Frage gefallen lassen: Warum wurde nicht gespart – spätestens als feststand, dass die Stadt sich nicht an der Modernisierung des Erftstadions beteiligen wird? Ob man Zweiter, Siebter oder Zwölfter in der Mittelrheinliga wird – geschenkt.
Denn die Zuschauer blieben ohnehin weg, weil der ETSC nur eine mittelprächtige Saison spielt. Im Heimspiel gegen Welldorf-Güsten am achten Spieltag in dieser Saison verirren sich 15 Zuschauer ins Erftstadion. An jenen Ort, an dem drei Jahre zuvor 1400 Zuschauer das Halbfinale des Verbandspokals gegen Alemannia Aachen (0:2) verfolgten.
B-Jugend spielte in der Bundesliga
Doch der Abstieg betrifft in Euskirchen nicht nur die Seniorenabteilung. Auch beim Nachwuchs reiht sich seit Jahren Fehlentscheidung an Fehlentscheidung. Die Jugendabteilung ist im Niemandsland verschwunden. A- und B-Junioren, also den direkten Unterbau der Seniorenmannschaften, gibt es nicht. Genau wie bei vielen Schicksalsgenossen – unter anderem dem FC Bergheim 2000 und Yurdumspor Köln. Alle anderen Jahrgänge spielen im Vergleich zu vergangenen Jahren unterirdisch.
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Das war einmal anders. 2013 bis 2015 spielte die B-Jugend sogar in der Bundesliga. Der ETSC kickte gegen Nachwuchsteams aus Köln, Leverkusen, Dortmund oder Schalke. Das Projekt, das dem ETSC zwar kurzfristig Prestige einbrachte, kostete unterm Strich aber viel Geld – nach Informationen dieser Zeitung wurden etwa 20 000 Euro ausgegeben. Viel Geld für einen Verein, der das Geld lieber in auswärtige Spieler der Seniorenmannschaft investierte. Wie beispielsweise Ex-FC-Spieler Karsten Hutwelker.
Junge Fußballer machten die Biege
Und die jungen Fußballer, die damals für Euskirchen spielten, machten die Biege, als der Verein abstieg. Schließlich stand nun in der Vita „Bundesligaspieler“ und der Traum musste weiterverfolgt werden. Einheimische Kicker waren damals längst vergrault worden.
Hätte damals jemand gesagt, dass das der Tiefpunkt sein wird – aus der heutigen Sicht hätte es wohl jeder, der es mit dem ETSC hält, unterschrieben.