Auch „Decker Pitter“Der Herr der Glocken kommt aus der Eifel

Julius Maas in seiner Gießerei – vor dem nächsten Arbeitsschritt werden die Formen bei 1000 Grad getrocknet.
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- Seit 1840 gibt es die Gießerei Maas in der Eifel.
- Die Familie wartet den Glockenturm im Kölner Dom und war beteiligt an der Restaurierung der Petersglocke – dem „Decken Pitter“
- Warum und wie wird man zum Glockengießer? Ein Besuch in einem echten Traditionsunternehmen.
Brockscheid – Mitten in der Vulkaneifel, da wo Maare und Kraterseen noch heute Zeugnis ablegen vom Ursprung dieser wilden, stillen Landschaft aus Feuer, Asche und Lava, steht die Glockengießerei Mark. Die Adresse kann man sich gut merken: Glockenstraße 51.
Eine alte Industriehalle, 40 mal 50 Meter, Kranschienen im Boden und an der Decke, es gibt Hochetagen, in einer offenen Kellergrube steht ein halbes Dutzend Glockenkerne mit Kaminrohren, aus denen heiße Flammen schlagen. Die Luft ist rauchig, es beißt in den Augen. Hinten im Raum weitere brennende Glockenformen, an jeder Ecke gestapeltes Holz für noch mehr Feuer, gemauerte Öfen. Mitten in der Halle eine fertiggestellte Glocke, mannshoch.
An Weihnachten und Ostern größter Bedarf
Julius Maas ist heute alleine im Betrieb, es gibt viel zu tun, in ein paar Tagen wird gegossen. Natürlich gibt es Angestellte, aber die sind im ganzen Land unterwegs. Weihnachten ist immer viel los, sagt Maas, Weihnachten und Ostern ist der Bedarf am größten, die Kirchengemeinden gönnen sich was. Dabei geht es inzwischen eher selten um neue Glocken; häufiger sollen Turmuhr- und Glockenanlagen repariert, restauriert und nachjustiert werden, damit zum Fest alles stimmt.

Heiße Bronze: Die Gießer schützen sich in Schutzanzügen vor der Hitze.
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Cornelia Mark-Maas, Julius’ Mutter, ist die einzige Frau deutschland-, vielleicht weltweit, die es im harten Metall- und Glockengießer-Handwerk zu Meisterehren gebracht hat. Sie hat den Betrieb vom Vater Hans August Mark übernommen, der das Unternehmen in fünfter Generation geführt hatte. Eine rare Ehre: Beider Namen sind im Geläut des Kölner Doms verewigt – die 6. Glocke, die Josephsglocke, wurde von ihnen in der Eifel gegossen.
Die Familie ist beauftragt mit der Wartung des Glockenturms im Dom und war beteiligt an der aufwendigen Restaurierung der Petersglocke – dem „decken Pitter“. „Den Klang“, sagt Julius Maas, „hat meine Mutter eingestellt. Da sind wir schon stolz drauf.“ Maas hat bei der Mutter gelernt, die Meisterprüfung ist so gut wie absolviert, sein Meisterstück – eine Glocke von 400 Kilogramm, 860 Millimeter Durchmesser, Schlagton B1 – ist in Arbeit. Der Generationswechsel kann dann kommen.

Schweißtreibend: Gießer Julius Maas bei der Arbeit
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Die Familie übt das Handwerk seit 1620 aus. Gute Gießer waren gerne gesehen damals, sie waren zuständig für die Herstellung von Glocken und – gelernt ist gelernt! – Kanonen. Die Marks waren Wandergesellen. „Es war damals ohne Weiteres möglich, eine Glocke von mehreren Tonnen Größe zu gießen“, erklärt Julius Maas, „das Problem war der Transport – wie sollte das gehen? Also ist man dort hingegangen, wo eine Glocke gebraucht wurde.“ Oder eine Kanone. Nach Brockscheid kam die Familie im Jahr 1840. Warum, das weiß man nicht genau. Aber ja: Es ist schön hier und der Lehm ist gut. Was daran liegen könnte, dass Lehm und Erde vulkanischen Ursprungs sind, wie alles hier.
Älteste Dom-Glocke ist fast 1000 Jahre alt
Es ist heiß in der Halle. Julius Maas schwitzt. „Man arbeitet mit Metall, man arbeitet mit Holz“ – zum Betrieb gehören inzwischen eine Schlosserei und eine Zimmerei – „man braucht Kraft, es ist körperlich anstrengend“, sagt er über seine Arbeit, „man braucht logisches Denken für die Planung, das Verzieren der Glocken ist sehr filigran, es wiederholt sich nichts.“ Und vor allem: „Das was man hier schafft, ist für die Ewigkeit.“ Die ältesten Glocken im Dom stammen aus dem 15. Jahrhundert, die älteste Glocke Deutschlands erklingt in Bad Hersfeld – gegossen im Jahr 1038. Das ist ein bisschen Ewigkeit.
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Vier Gießereien gibt es noch in Deutschland, „Betriebe wie wir“, sagt Julius Maas, alle haben zu kämpfen. Nach den großen Kriegen des 20. Jahrhundert, als die meisten Glocken eingeschmolzen worden waren, gab es viele Aufträge. In Brockscheid wurden in guten Jahren bis zu 120 Glocken gegossen; inzwischen sind es kaum mehr als 30. Die Welt ändert sich, heute sind Kirchenschließungen an der Tagesordnung. Aber auch da gibt es für Julius Maas und seine Leute zu tun: „Wir vermitteln die Glocken an andere Gotteshäuser.“ Klingt nach Tauschbörse, ist aber viel komplexer – die Glocke muss ja passen.
„Alles hängt vom Ton ab“, sagt Maas, und das ist nur der Anfang. Der Entwurf einer Glocke ist eine Kombination aus Handwerk, Kunst und Notwendigkeit. Wenn eine Kirchengemeinde eine Glocke in Auftrag gibt, schlägt die Stunde des Glockensachverständigen. Er prüft eine Reihe von Faktoren: Wie viel Platz ist im Glockenturm? Gibt es andere Glocken in der Nähe und – der Klang soll ja harmonieren – in welchem Ton erklingen sie? Daraus ergibt sich alles Weitere, die gewünschten Tonwerte geben die Größe der Glocken vor.

Am heißen Ofen entsteht eine neue Glocke.
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Je tiefer der Ton, desto größer: Glocken mit dem Schlagton C4 haben einen Durchmesser von 160 mm, bei C3 sind es 380 mm, bei C2 sind es 770 mm und ein C1 erklingt bei 1400 mm Durchmesser und wiegt bereits 2,5 Tonnen. Zum Vergleich: Die Kölner Petersglocke wiegt bei 3220 mm Durchmesser etwa 24 Tonnen und tönt im tiefen C0.
Phsysik, Handwerk, Hitze
Nach der Physik kommt das Handwerk. Zuerst wird eine ungefähre Form der Glocke gemauert – aus Ziegelsteinen; für die Feinarbeit wird ein Mix aus Lehm, Pferdemist und Rinderhaar aufgetragen und so lange mit einer Schablone abgeschabt, bis alles passt – der Glockenkern ist fertig. Es folgt die „falsche Glocke“ – ein präzises Modell der späteren Glocke aus Lehm, Sand und Asche. Darauf wird der Glockenmantel gesetzt, wiederum aus Lehm. Nach Stunden des Trocknens bei gut 1000 Grad wird der Mantel angehoben, die „falsche Glocke“ wird freigelegt und zerschlagen. Der Glockenmantel wird wieder aufgesetzt und – wie Friedrich Schiller korrekt beschreibt: „Festgemauert in der Erde“ – eingegraben, damit die Lehm-Konstruktion den Druck aushält, wenn die 1100 Grad heiße Bronzelegierung – 78 Prozent Kupfer, 22 Prozent Zinn – eingefüllt wird.
Weil sie den Gläubigen als eine Art klingende Verbindung zwischen Himmel und Erde gelten, haben Glocken im Laufe der Zeit einen fixen Platz in der Liturgie zugewiesen bekommen. Gegossen wird deshalb nach uraltem Brauch zur Todesstunde des Herrn – freitags, 15 Uhr.
Allerdings nicht in Brockscheid. „Wir gießen am Samstagnachmittag“, sagt Julius Maas, „das ist praktischer für die Kirchengemeinden, die die Glocke bekommen.“ Da braucht sich niemand extra frei zu nehmen, um dabei zu sein, wenn der Pfarrer den heißen Moment mit Gebeten veredelt.
Es dauert Tage und Wochen bis die Glocken soweit abgekühlt sind, dass sie aus ihrer Form befreit werden. In der Regel, sagt Maas, geht beim Gießen kaum mehr etwas schief. Aber auf den ersten Ton – da ist er dann schon so gespannt wie alle anderen. Immer wieder.