Große AnalyseWie weit rechts steht die AfD im Kreis Euskirchen?
Kreis Euskirchen – Die AfD im Kreis Euskirchen weist beachtliche Ergebnisse auf. Überall dort, wo sie bei der jüngsten Kommunalwahl antrat, kam sie auf eine ansehnliche Zahl an Mandaten: im Kreistag und im Stadtrat von Euskirchen auf jeweils vier, in Mechernich, Kall und Weilerswist auf jeweils zwei. In keinem anderem Kreis im Regierungsbezirk Köln war die Partei so erfolgreich. „In Stolberg, Aachen, Heinsberg und Eschweiler kam die AfD weitaus schlechter weg“, stellt Michael Klarmann fest. Der Aachener Journalist kennt sich in der Region aus. Seit vielen Jahren recherchiert er dort im und über das rechte Spektrum.
Der AfD widmete sich Klarmann intensiv während seines Online-Vortrags über das „Spektrum rechts der Unionsparteien“ im Kreis Euskirchen, der vom Landesförderprojekt „NRWeltoffen“ veranstaltet wurde. Knapp 80 Interessierte hatten sich am Mittwoch zugeschaltet.
AfD wehrt sich gegen Einordnung als rechtsextremistisch
Während extremistische Parteien und Gruppierungen, die einstmals im Kreis durchaus sichtbar waren, nicht mehr relevant seien, so Klarmann, spiele die AfD eine zunehmend bedeutendere Rolle. Wobei er klarstellt: „Die AfD ist natürlich keine rechtsextremistische Partei.“ Es gebe zwar den Flügel, der als rechtsextrem deklariert worden sei und sich aufgelöst habe. Das mache die AfD aber nicht zur rechtsextremistischen Partei.
Wird Lucassen Fraktionschef?
Der Bundestagsabgeordnete der AfD, Rüdiger Lucassen aus Bad Münstereifel, könnte sich vorstellen, im nächsten Bundestag Fraktionsvorsitzender zu werden. Das erklärte der 69-Jährige dieser Zeitung. Wie Michael Klarmann, der seit vielen Jahren unter anderem zur AfD in der Region recherchiert, sagte, habe der derzeitige Co-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland dem Münstereifeler entsprechende Ambitionen nachgesagt. „Diese Äußerung von Herrn Dr. Gauland kenne ich“, so Lucassen: „Wenn es ein Wunsch von Herrn Gauland sein sollte, ihm als Fraktionsvorsitzender nachzufolgen, fühle ich mich geehrt.“ Sollte die Übernahme dieses Amtes von seinen Fraktionskollegen in der nächsten Legislaturperiode an ihn herangetragen werden, könne er sich vorstellen, sich dieser Verantwortung zu stellen – jedoch alleine: „Doppelspitzen sind für mich nicht das Mittel der Wahl, weil sie nach meiner Erfahrung häufig zu einer Verantwortungsdiffusion führen.“ Derzeit wird die AfD-Bundestagsfraktion von Gauland und Alice Weidel geführt. (sch)
Der AfD-Kreisverband Euskirchen sei nicht nur wegen der Wahlergebnisse interessant. Er sei zudem die Heimat des NRW-Landeschefs der AfD, Rüdiger Lucassen aus Bad Münstereifel. Im Kreisverband ist der 69-Jährige stellvertretender Vorsitzender. Sein Wort hat also Gewicht. Für Klarmann ist Lucassen eine „interessante Person“. Es lohne sich, sich mit ihm auseinanderzusetzen, um zu sehen, „wie dieser Kreisverband drauf ist“. Der Oberst a.D. habe eine steile politische Karriere hingelegt: Erst 2016 in die AfD eingetreten, schaffte er schon ein Jahr später den Sprung in den Bundestag und wurde dort sogleich verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion. Klarmann beschäftigt die Frage, ob Lucassen wirklich so moderat sei, wie er sich gebe. Es sei zumindest bemerkenswert, dass Lucassen 2016 der AfD zu einem Zeitpunkt beigetreten sei, als diese sich schon in eine Richtung bewegt habe, die derzeit den Verfassungsschutz fragen lasse, ob sie als Verdachtsfall gelten sollte.
„Moderat und Bürgerlich“ – laut eigener Aussage
Bernd Lucke sei als Parteichef ein Jahr zuvor vom Hof gejagt worden, so der Journalist. Der Rechtsruck der AfD sei 2016 längst im Gange gewesen. Was sagt Lucassen dazu? „Ich bin 2016 in die AfD eingetreten, um der verheerenden Migrationspolitik der Frau Merkel etwas entgegenzusetzen“, so der Bundestagsabgeordnete: „Die AfD ist mein bisher einziges parteipolitisches Engagement und wird es auch bleiben.“
Wo aber steht der 69-Jährige politisch? Lucassen wie auch der Euskirchener AfD-Kreisverband vermitteln laut Klarmann den Eindruck, „dass sie sich moderat und bürgerlich präsentieren, intern aber durchaus zu radikalen Optionen bereit sind“. Fest macht er das unter andrem an Kontakten des Kreisverbandes zur Partei „Vlams belang“. Dabei handele es sich um eine rechtsextreme Regionalpartei in Belgien. Klarmann berichtet etwa von Grußbotschaften des Vorsitzenden von „Vlams belang“ zur Eröffnung von Lucassens Wahlkreisbüro 2018. Lucassen erklärte auf Anfrage: „Ich pflege Kontakt zu mehreren national-konservativen Parteien in Europa.“ Als Bundestagsabgeordneter und Mitglied in der Bundestags-Parlamentariergruppe Benelux treffe er regelmäßig auch mit Abgeordneten von „Vlaams Belang“ zusammen.
„Da war wenig Kritik an der Politik des Flügels“
Intensiv durchleuchtet Klarmann auch Lucassens Agieren in Bezug auf den „Flügel“. Ja, Lucassen habe maßgeblich zur Auflösung dieser Gruppierung innerhalb der AfD beigetragen, so Klarmann – allerdings nicht vorrangig aus politisch-inhaltlichen Gründen. „Da war wenig Kritik an der Politik des Flügels, die der Verfassungsschutz rechtsextremistisch nennt. Sondern es gibt Kritik an dessen radikalem Auftreten, mit dem man im Westen relativ wenig Stimmen holt, weil man sich hier etwas moderater und bürgerlicher gibt“, so Klarmann.
Lucassen stehe für einen Kurs der strömungsübergreifenden Integration in der AfD. Das habe der 69-Jährige erst vor kurzem so erklärt. „Das klingt nicht wie ein Kampf gegen Rechts, sondern wie eine Integration von Rechtsextremen in die Partei, um die Partei einfach stärker zu machen“, sagt Klarmann.
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Lucassen, über sein Vorgehen gegen den „Flügel“ befragt, erklärte: „Die Aufforderung zur Auflösung des ,Flügels’ war aus meiner Sicht als Landessprecher der AfD NRW eine zwingende Maßnahme. Quer verlaufende Strukturen innerhalb einer offiziellen Struktur stören den Parteifrieden.“ Er widerspricht Klarmanns Aussage, wonach er Björn Höcke „eine rechte Politik, die visionär ist“, attestiert hat. Befragt zu seinem Verhältnis zum thüringischen AfD-Vorsitzenden, sagte der Bad Münstereifeler: „Herr Höcke ist Vorsitzender eines Landesverbands wie ich auch. Gemeinsame Veranstaltungen oder Einladungen in diesem Rahmen finden statt.“
Weder Lucassen noch die Kreis-AfD, so Klarmann, hätten sich gescheut, 2017 den damaligen brandenburgischen Parteichef Andreas Kalbitz zum Wahlkampfauftritt nach Kall einzuladen – jener Kalbitz, der Mitglied einer Gruppierung, die auf der die AfD-Unvereinbarkeitsliste steht, gewesen sein soll und zurzeit gerichtlich gegen seinen Parteiausschluss vorgeht. „Herr Klarmann“, so Lucassens Reaktion, „hängt sich schon seit vier Jahren daran auf, dass Herr Kalbitz 2017 in Kall aufgetreten ist. Das ist dann aber ein Problem des Herrn Klarmann.“
Rechtsextreme Parteien bedeutungslos, aber viele „Reichsbürger“ im Kreis
Der Experte Michael Klarmann rechnet nicht damit, dass rechtsextremistische Parteien im Bundestagswahlkampf 2021 eine relevante Rolle spielen werden.
Ohnehin hätten sie im Kreis Euskirchen, wo sie vor etwa zehn Jahren noch aktiv waren, kaum noch eine Bedeutung. „Wenn jetzt einer von denen mithört und sagt: ’Wir machen einen Infostand, um den Michi zu ärgern’ – ist okay“, sagte Michael Klarmann während eines Online-Vortrags mit Bezug auf die NPD. Es gebe aber immer noch Treffen solcher Gruppen in Vogelsang, um dort Fotos zu machen und sie dann im Netz zu präsentieren.
Wie Klarmann ausführte, zeigt sich rechtsextremes Gedankengut eher individuell. So habe das Land 2019 erklärt, dass im Kreis etwa 60 „Reichsbürger“ oder „Selbstverwalter“ bekannt seien. Die bestreiten die verfassungsmäßige Gültigkeit der Bundesrepublik Deutschland. „Ein sehr heterogenes Spektrum“, so Klarmann.