Während Hass, Häme und Hetze spürbar zunehmen, setzen Bürger aus dem Kreis Euskirchen auf Zusammenhalt.
Kultur und DemokratieKreis Euskirchener arbeiten mal ganz undeutsch ohne Aber und Müssen
Gemessen an den Klischees war diese Veranstaltung sehr undeutsch: keine starre Tagesordnung, keine vorgegebenen Themen und die Wörter „Aber“, „Problem“ und „Müssen“ waren tabu. Fielen sie dennoch in den Arbeitsgruppen, wurde das per Handhupe lautstark moniert. Schlechte Zeiten für Bedenkenträger.
Etwa 50 Bürgerinnen und Bürger fanden die Überschrift des Treffens „Zesamme! Kultur und Demokratie in unserer Heimat stärken“ so spannend, dass sie in die Alte Tuchfabrik in Euskirchen gekommen waren – zu einem Beteiligungsformat, das bewusst unstrukturiert sein sollte. Oder, wie es Moderator Dr. Tim Becker nannte: eine „Unkonferenz“.
Kreis Euskirchen: Teilnehmer bestimmten das Programm selbst
Dass daraus durchaus etwas entstehen kann, zeigte sich schon zu Beginn, als einige der Teilnehmer spontan die Themen ansprachen, die sie gerne in den sieben Arbeitsgruppen besprechen würden. Sie konnten über alles reden – nur nicht länger als eine Minute. „Jetzt haben Sie es geschafft“, stellte Tim Becker hinterher fest, „in 15 Minuten einer unstrukturierten Veranstaltung Struktur zu geben“.
Welche Spannbreite der Themenbereich „Zusammenhalt, Kultur und Demokratie“ aufweist, wurde rasch deutlich: Von der „Stärkung des Ehrenamts“ über „Jugend an die Macht“ und „Kultur zu den Menschen bringen“ bis hin zu „Angst entgegenwirken – generationsübergreifende Demokratieförderung“ reichte die Palette der Themen.
Oder auch ganz praktisch: Wie wäre es etwa mit einem kreisweiten Veranstaltungskalender? Ach ja, schön wäre es auch, wenn man mit dem Öffentlichen Personennahverkehr etwa von Hellenthal zum Waldfest nach Engelgau käme, merkte ein Teilnehmer an.
Die Kultur braucht nach Corona und Flut teils noch Wiederaufbau
Denn Kultur auf dem Lande – auch das zeigte die Debatte – kommt sehr vielfältig daher. Sie spannt den Bogen vom klassischen Bereich, den vor Ort die Euskirchener Musikschülerin und mehrfache „Jugend musiziert“-Preisträgerin Viktoria Becker mit einem exzellenten Kurzauftritt an der Gitarre spiegelte, bis hin zum Sommerfest der dörflichen Löschgruppe.
Dass es hier wie dort zuweilen, wohl auch wegen Corona und Flut, des Wiederaufbaus bedarf, merkte Teilnehmer Heinz Oberrem an. Der Ortsbürgermeister von Lommersum erinnert sich noch an Vorlesungen, die vor gar nicht so langer Zeit in seinem Ort stattfanden und die er zum Teil auch selbst veranstaltet habe. „Heute müssen meine Frau und ich in weiter entfernte Orte fahren, um solche Veranstaltungen besuchen zu können“, stellt der 74-Jährige bedauernd fest.
Liegt es an der Jugend? Hat sie überhaupt noch Interesse daran? Wer jedoch als Älterer von ihr mehr Engagement fordere, müsse auch bereit sein, Verantwortung abzugeben, wurde in der Ehrenamt-Gruppe sehr offen diskutiert. „Wie viele Vereine werden jahrzehntelang von einer oder zwei Personen geführt?“, fragte einer der Diskutanten. Wenn sie dann doch irgendwann ausscheiden, fehle es oft an Nachwuchs.
Wobei dieses Wort bei einer anderen Gruppe direkt mal mit einem Tabu-Status versehen wurde. „Jugend ist kein Nachwuchs“, wurde dort auf dem großen Zettel notiert. Soll heißen: Junge Menschen sind vollwertige Mitglieder der Gesellschaft. Sie an deren Entscheidungen zu beteiligen, dürfe kein gnadenvoll überreichtes Geschenk sein, das ihnen von den Älteren höflicherweise zugestanden werde.
Kultur auf dem Land: Vom klassischen Konzert bis zum Feuerwehrfest
Das Hupen jedenfalls wurde immer weniger, die Tabu-Worte immer seltener gebraucht. Auch wenn bei dieser Auftaktveranstaltung ganz konkrete Beschlüsse weder zu erwarten noch geplant waren, zeigte sich Moderator Tim Becker, der auch in anderen Kreisen dieses vom Bund mit vielen Millionen Euro bezuschusste Programm moderiert, sehr angetan: „Die Auftaktveranstaltung in Euskirchen war erfolgreicher als in anderen Kreisen.“
Als nämlich am Ende die Teilnehmer gefragt wurden, wer an Bord bleiben wolle, wenn es ans Konkrete und an die Umsetzung gehe, zeigten alle auf. Wohl auch in dem Bewusstsein, das eine Dame zu Beginn in zum Nachdenken anregende Worte fasste: „Ohne Demokratie geht auch die Kultur den Bach runter.“ Und umgekehrt gilt das wohl auch.
„Aller. Land“: Erhält Kreis Euskirchen 1,5 Millionen Euro vom Bund?
Die Auftaktveranstaltung fand im Rahmen des Förderprogramms „Aller.Land – zusammen gestalten. Strukturen stärken.“ Es soll Kultur, Beteiligung und Demokratie in strukturschwachen ländlichen Regionen in ganz Deutschland stärken.
Gefördert wird „Aller.Land“ durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sowie durch die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Programmpartner ist das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI). Der Bund stellt von 2023 – 2030 insgesamt 69,4 Millionen Euro zur Verfügung.
„Es ist also großes Kino, aber es macht auch Spaß“, freute sich Sabine Sistig, Leiterin Kommunalen Bildungs- und Integrationszentrums (Kobiz) des Kreises, das das Projekt mit Vogelsang ip im Kreis leitet, über eine rege Teilnahme.
„Aus den erarbeiteten Herausforderungen werden im nächsten Schritt Fragen formuliert, die auf einer Postkarte platziert und breit in die Netzwerke gestreut werden“, so Sistig. Damit hätten noch mehr Interessierte Gelegenheit, sich zu beteiligen. In Kürze werde die Beteiligungskarte auch online auf der Homepage des Kreise Euskirchen verfügbar sein.
Wie der Moderator der Auftaktveranstaltung in Euskirchen, Dr. Tim Becker, erklärte, nehmen bundesweit 96 Kreise an dem Programm teil. Eine Jury entscheide in etwa einem Jahr, welche 30 Gebietskörperschaften für die Umsetzung jeweils 1,5 Millionen Euro bekommen (bei einem Eigenanteil von zehn Prozent) erhalten sollen.